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Podiumsdiskussion im Tagungshaus Wörgl am 28. Mai 2009

Tagungshausleiterin Mag. Edith Bertel begrüßte im Publikum u.a. Wörgls Pfarrer Theo Mairhofer und Bgm. Arno Abler sowie Wörgls Integrationsbeauftragen DI Peter Warbanoff und Kayahan Kaya, den Geschäftsführer des Integrationszentrums Wörgl als Vertreter des mitveranstaltenden Vereines IGZ.

Im Wörgler Jahr der Werte stellt das Tagungshaus Wörgl eine Reihe von Veranstaltungen unter das Thema gelungenes Miteinander in unserer multikulturellen Gesellschaft, auch unter dem Blickwinkel des Miteinanders der Menschen unterschiedlicher Religionen. Zu diesem Miteinander zu kommen, ist eine Herausforderung für uns alle. Voraussetzung für ein Miteinander ist gegenseitiges Verständnis - und genau dazu lieferte der Abend am 28. Mai 2009 im Tagungshaus einen sehr wertvollen Beitrag.

Positiv überrascht von der großen Besucherzahl - 58 interessierte ZuhörerInnen verschiedener Religionen und Nationen - zeigte sich eingangs Moderator Oscar Thomas-Olalde und begrüßte, dass "hier nicht über Menschen anderen Glaubens geredet wird, sondern Repräsentaten dieser Religionen selbst zu Wort kommen." Um Gemeinsames, aber auch unterschiedliche Auffassungen zum Begriff Heimat kreiste dann im Wesentlichen die Gesprächsrunde, in die auch Wortmeldungen aus dem Publikum aufgenommen wurden.

Am Podium: Mag. Oscar Thomas Olalde, Carla Amina Baghajati, Ass.Prof. Dr. theol. Anna Findl-Ludescher und Mag. Thomas Lipschütz. Mag. Dr. Bella Bello Bitugu war eingeladen, weilt aber derzeit in Afrika.

Eine Begriffsdefinition: Was ist Heimat?

Was bringt man mit dem Begriff Heimat in Verbindung - auch im religiösen Kontext? So lautete die Frage an die Podiumsgäste. "Für mich ist es spannend, aus Wien in andere Bundesländer zu kommen - selbst innerhalb Österreichs gibt es unterschiedliche Heimaten", eröffnete die Muslimin Carla Amina Baghajati die Podium-Statements. Einen "muslimischen Heimatbegriff" gebe es nicht: "Der Heimatbegriff ist immer sehr subjektiv und individuell." Für sie bedeute es, den Lebensmittelpunkt hier zu sehen und damit ja zu sagen zu Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Pluralismus. Heimat sei eng verbunden mit Gefühlen der Zugehörigkeit, Sicherheit, des Angenommen Seins und Zuhausefühlens.

Integration sei keine Einbahnstraße - denn wer sich hier nicht angenommen und respektiert fühlt, kann auch kein Heimatgefühl entwickeln. Sie plädierte aber auch dafür, als Neuankömmlinge Sitten und Gebräuche eines Landes zu kennen, zu respektieren und sich einzufügen.

Bei der Verwendung des Heimatbegriffes stehe das Ausgrenzende im Vordergrund. Einen Anknüpfungspunkt, um das Gemeinsame erlebbar zu machen, sieht Carla Amina Baghajati im gemeinsamen Natur-Erleben, etwa beim Bergsteigen. Was den Begriff  Heimat im religiösen Kontext angeht, so sei dieser aus dem Koran nicht herauszulesen: "Wir tragen globale Verantwortung überall dort, wo wir leben. Diese Verantwortung ist nicht an einen Ort gebunden - und sie ist umfassend mit allen Konsequenzen, was etwa nachhaltiges Wirtschaften oder Umweltschutz einschließt." Wie diese Verantwortung aus dem religiösen Kontext zu verstehen sei, erläuterte sie am Beispiel des Propheten Yusuf - dem alttestamentarischen Josef, der dem ägyptischen Pharao die Träume deutete, die sieben Plagen vorhersagte und damit dem Land, das ihn nicht gut aufgenommen hatte, trotzdem einen wertvollen Dienst erwies.

Heimat aus Sicht der Religionen

Ass.Prof. Dr. Anna Findl-Ludescher näherte sich dem Heimatbegriff ebenfalls auf zwei Ebenen - der ganz persönlichen, die sie als Vorarlbergerin in Innsbruck macht sowie auf der theologischen: "Im Alten Testament ist Heimat immer ein Thema und konkret an ein Land, einen Ort, an Menschen gebunden. Das Heil wird immer in Verbindung mit einem konkreten Land gesehen. Jesus sagt selten direkt etwas dagegen, aber konkret hat das Land für ihn keine Bedeutung. Jesus sagt `die gehören dazu, die zum christlichen Glauben gehören´. Heimat hat für ihn nicht die Bedeutung, dass daran das Heil abgelesen werden kann. Das hat sich in der Kirchentradition erst wieder im 4. Jahrhundert geändert, als das Christentum zur Staatsreligion wurde." Das sei auch der Hintergrund, warum Kirche, Glaube, Heimat heute bei uns in so engem Zusammenhang gesehen wird.

Im persönlichen Bereich definiert Dr. Anna Findl-Ludescher Heimat als den Ort, von dem sie herkommt: "Heimat bedeutet bei uns ja auch Landwirtschaft. Ich stamme von einem Bauernhof. Seit dem ich weg bin, habe ich auch sentimentale Gefühle. Heimatgefühl hat auch etwas mit Abstand zu tun. Und Heimat fordert zur Arbeit auf."

Heimat als globale Verantwortung

Schwer mit dem Begriff Heimat tat sich Mag. Thomas Lipschütz, Kultusrat der Israelitischen Glaubensgemeinschaft: "Heimat ist sehr subjektiv wahrgenommen. Jude zu sein ist nicht ausschließlich eine Frage der Konfession, sondern eine Frage des Volkes. Jude ist, wer von einer jüdischen Frau geboren wird. Egal, ob der Glaube gelebt wird oder nicht. Es ist also erst in zweiter Linie eine Frage des Glaubens. Heimat ist für uns eine zentrale Größe. Wir beten jeden Tag dafür, ins Land der Väter zurückzukehren. Es gibt keine zentrale Lehrmeinung dazu. Jude sein und Heimat bedeutet in der Welt zu leben. Die Welt als Schöpfung des Ewigen ist uns Heimat und und als Aufgabe gegeben."

Persönlich sehe er Heimat als Ort des Lebensmittelpunktes: "Erst war es Berlin, jetzt ist es Tirol. Ich bin hier Zuhause, habe hier Arbeit, Freunde, meine Erfahrungen. Dieses Land ist meine Heimat geworden." Deutscher Staatsbürger ist er aber geblieben. Was er mit Heimat als Aufgabe verstehe, konkretisierte Thomas Lipschütz so: "Es ist der Auftrag zur Mitgestaltung im Namen von Shalom. Shalom heißt Ganzheit, nicht nur Frieden. Das bedeutet Brüche zu heilen, einander verstehen. An allen wichtigen Stellen der Bibel geht es ums aufeinander Hören. Das Gespräch ist sehr wichtig. So entsteht Heimat. Heimat ist kein jüdischer Begriff. Er führt aus der Enge der eigenen Person in einen größeren Kontext. Daran zu arbeiten, dass Heimat wird, ist ein Prozess."

"Es heißt, die Juden haben nur überlebt, weil sie ihre Heimat im Koffer mitnehmen können - das sind die 12 Bände des Talmud", so Lipschütz. Den Begriff Heimat im jüdischen Kontext gibt es nicht, weil das Judentum auch keine Theologie habe. Und er fügte noch ein persönliches Bekenntnis hinzu: Das einzige Mal, dass er Heimat senitmental empfunden habe war, als die Berliner Mauer fiel.

Den Begriff Heimat gefühlsmäßig im Islam zu verorten sei schwierig, meinte Carla Amina Baghajati. Was jedenfalls anti-islamisch ist: Nationalismus und Rassismus - das sei politischer Missbrauch der Religion.

Heimat sind Bilder im Kopf...

"Mit Heimat ist viel Bildhaftes verbunden. Muslime und Juden haben etwas gemeinsam - die Bildlosigkeit. Es gibt das Verbot, sich ein Bild zu machen. Das meint, sich nicht von Vorstellungen beherrschen zu lassen", tastete sich Thomas Lipschütz an das Thema von einer anderen Seite heran und wurde darin von Carla Amina Baghajati bestätigt: "Bei der Fahrt hierher sind mit die vielen Marterl in der Landschaft aufgefallen. Im Katholozismus gibt es auch viele Prozessionen, bei denen religiöse Gegenstände aus den Kirchen getragen werden. Hier ist das Bildhafte viel mehr mit dem Land verankert."

Und auf noch eine Verankerung wies die Muslimin hin: "Joseph II. stellte die Dominanz der katholischen Religion im öffentlichen Raum sicher. Heimat ist mit Bildern verortet und diese Geschichte wirkt nach. Es ist nicht so leicht zu erwarten, dass eine Baugenehmigung für ein Minarett ausgesprochen wird."

Auf diesen Beitrag ging Tagungshausleiterin Edith Bertel mit ihrem Statement ein: "Für mich ist es immer ein stückweit Heimat, im meine Kirche zu gehen. Ich bedauere, dass es so schwierig ist, ordentliche Gebetsräume für Muslime zu errichten. Ich würde eine Moschee in Wörgl begrüßen, um die Religionsfreiheit auch zu praktizieren. Wenn ich meine Heimat in meiner Kirche habe, habe ich auch kein Problem damit."

Die im Publikum postwendend erhobene Forderung, dass dann auch in der Türkei Kirchen gebaut werden müssten, blieb so nicht stehen: Zum Einen können hier lebende Menschen nicht für Handlungen in anderen Staaten verantwortlich gemacht werden - solcherart "innere Einmischung" würden wir uns als Gesellschaft auch verbieten. Zum Zweiten bestehe ein Ungleichgewicht in der Religionsausübung, die per Gesetz seit 1912 in Österreich zwar verankert ist, aber nicht mit allen Konsequenzen umgesetzt wird - hier klaffen die rechtliche Lage und das allgemeine Bewusstsein zu dem Thema auseinander.

"Der Auftrag lautet, anderen Religionen Raum zu geben, ohne Bedingungen daran zu knüpfen", plädierte Anna Findl-Ludescher dafür, nicht der "Auge-um-Auge-Mentalität" zu folgen. Die Religion bestehe aus drei Elementen - institutionell, intelektuell und mystisch. "Es kommt immer darauf an, auf welcher Ebene wir reden. Auf der mystischen haben wir uns immer sehr gut verstanden - auf der institutionellen weniger."

Heimat und Politik

... lautete eine weitere Themenstellung des Abends. Zu den Aspekten die "Heimat ist in Gott" und die "Heimat als Besitz" stellte Moderator Oscar Thomas-Olalde die Feststellung, dass mit Heimat Politik gemacht werde und fragte die Podiumsgäste, welchen Beitrag die Religionen leisten können, um das zu verhindern.

Carla Amina Baghajati bedankte sich daraufhin bei den christlichen Glaubensvertretern für die Statements zum aktuellen Wahlkampf mit Slogans wie "Abendland in Christenhand". Religion dürfe nicht missbraucht werden - hier sollten bewusst Gegenbilder gesetzt werden. Sie bezog sich dabei auch auf den Koran, wo sie in der 5. Sure die Pluralität der Gesellschaft verankert sieht, auf die sich auch Lessing in der Ring-Parabel bezog - nach dem Motto "jeder Gemeinschaft haben wir ihren Weg schön erscheinen lassen" gelte es Gutes für alle zu tun und die Frage, was denn nun die endgültige Wahrheit sei, einer höheren Instanz zu überlassen.

"Wir sollten uns auf den einen Gott neu besinnen und als gestalterisches Element begreifen. Gott wirkt im Shalom - und das erlebbar machen. Das ist die Forderung unseres gemeinsamen Gottes, dafür sollten wir arbeiten", meinte Thomas Lipschütz und forderte auf, dass bei allen menschenverachtenden Äußerungen von Politikern wie aktuell zum Thema Asylrecht "unsere Vertreter auf der Matte stehen müssen", um solchen Entwicklungen entgegenzutreten.

Angesprochen auf die Situation in Isreal hielt Thomas Lipschütz fest, dass dies seiner Meinung nach kein Krieg der Religionen, sondern ausschließlich ein politisches Problem sei und kein religiöser Konflikt.

Um die vielfältigen bestehenden Konflikte zu lösen, holt sich Thomas Lipschütz Rat in den religiösen Schriften, auf die sich sowohl Juden, Christen und Muslime beziehen und zitierte dazu die Geschichte von Loths Frau: "Sie blickte zurück und erstarrte zur Salzsäule. Wer in die Vergangenheit starrt, verliert die Dynamik zu Bewältigung der Zukunft. Der Blick zurück im Zorn hat uns noch nie weitergebracht. Je mehr man sich an der Vergangenheit festmacht, umso weniger kann man sich bewegen. Es gilt aber, die Zukunft zu gestalten - und miteinander in die Zukunft zu gehen."

Mit diesem Statement ging die Podiumsdiskussion zu Ende, die anschließend beim Smalltalk in etlichen Gesprächen in gemütlicher Atmosphäre noch fortgeführt wurde.