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Podiumsdiskussion "GAP`s uns ned" am 4. Februar 2012 in Hopfgarten über die Zukunft der Landwirtschaft

 

Am Podium von links: Heinz Gstir, Irmi Salzer, Moderatorin Brigitte Warenski, Christine Ritter und Josef Hechenberger.

"GAP´s uns ned" - die Zukunft der europäischen Landwirtschaft

Via Campesina heißt der bäuerliche Weg - weltweit zählt die Bewegung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, Via Campesina rund zwei Millionen Mitglieder, viele davon in Südamerika - im österreichischen Verein ÖBV sind 200 Mitglieder registriert. "Die Organisation des EU-Austausches zwischen Kleinbauern mit einwöchigen Arbeitseinsätzen zählt zu unserer Vereinsarbeit", stellte einleitend ÖBV-Vorstand Lisa Hofer mit. Bei Via Campesina gehe es um eine weltweite Perspektive: Die Ernährung für alle zu sichern, nicht nur für ein paar Priveligierte.

Eine klare Position zur GAP - der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU nach 2013 - zu beziehen lautete die Fragestellung ans Podium, an dem Vertreter unterschiedlicher bäuerlicher Organisationen Platz genommen hatten.

Für eine Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und Familienbetriebe, nicht der Industriebetriebe tritt Tirols Landwirtschaftskammerpräsident Ing. Josef Hechenberger ein. "Wir haben 90 % Grünland und nur 10 % Ackerland in Tirol, da ist die Viehwirtschaft das Beste", so Hechenberger. In Tirol seien doppelt soviele Almflächen wie Heimwirtschaftsflächen beweidet. Zur Garantie der Lebensmittelsicherheit stehe Regionalität im Vordergrund. "Wir erwarten mehr Gerechtigkeit in der Säule 1 der EU-Landwirtschaftsföderung und wollen ein Regionalmodell für ganz Österreich und einen Anreiz für die Viehhaltung. Im Umweltprogramm der Säule 2 sollte es Ausgleichszulagen für klimatische Benachteiligungen geben, nicht nur Investitionsförderungen."

Weniger Abhängigkeit von importierten Futtermitteln und Treibstoff, den Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen und die Verankerung von Bio als Qualitätsstandard, um auf EU-Ebene die ökologische Landwirtschaft voran zu bringen - das wünscht sich Christina Ritter von Bio Austria Tirol: "WEnn Österreich eine Bio-Nation bleiben will, muss man was tun."

Die Bedeutung der Kleinbauern für die Sicherung der Lebensgrundlage durch gesünde Böden und gesundes Wasser betonte Heinz Gstir aus Niederndorferberg von der Bioalpin Genossenschaft: "Das GAP muss über Absichtserklärungen hinausgehen - damit soll vernünftige Kreislaufwirtschaft gefördert werden!" Der Ernährungssouveränität in Europa stünden derzeit Futtermittelimporte in großem Maßstab entgegen: "Europa ist der größte Futtermittelimporteur der Welt, wobei das Soja vorwiegend aus Südamerika und Afrika kommt, mit tragischen Folgen. Unsere Rindviecher werden als Umweltsauen hingestellt - das kann so nicht stehen bleiben. Die Grünlandbewirtschaftung ist die ökologischste Landwirtschaft und das geht nur mit Wiederkäuern", plädiert Gstir für die Anpassung des Viehstandes an die natürlichen Futterbestände vor Ort. Die österreichischen Futtermittel-Importe haben von 40.000 Tonnen 1995 auf jetzt 150.000 Tonnen jährlich zugenommen. "Wenn ich das mit Almflächen gegenrechne, werden damit schon die halben Almflächen ersetzt."

Intensität und Effizienz gelte es in der Landwirtschaft auseinanderzuhalten. Je hochgezüchteter die Tiere seien, umso problematischer. Gstir: "Die Standardkuh heute ist für klassische Almen nicht mehr brauchbar. Diese Effizienz der Tiere entspricht nicht  der Grundlage für eine Kreislaufwirtschaft." Mit dem problematischen Effekt, dass mittlerweile Futtermittel auf die Almen geliefert werden.

"Bei den heutigen Lebensmittelpreisen kann der Bauer nicht ohne Ausgleichszahlungen überleben", stellte Gstir fest und fordert eine Abgeltung für die schwierigeren Produktionsbedingungen in der Berglandwirtschaft und für ökologische Wirtschaftsweise. "Ernährungssouveränität kann nur von möglichst unabhängig von industrieller Landwirtschaft erreicht werden, die immer mehr abhängig von Futtermittel- und Energieimporten wird."

Gstir kritisiert weiters den überbordenden Bürokratismus sowie Hygiene-Vorschriften, die für Industriebetriebe Sinn machen, nicht aber für kleine landwirtschaftliche Produzenten. Die Lebensmittelskandale verursachen die Großen, nicht die Kleinen - die würden durch solche Auflagen zum Aufgeben gezwungen.

   

Von links: Lisa Hofer, Josef Hechenberger, Heinz Gstir, Irmi Salzer.

Die Ziele der Kleinbauernvereinigung: Mehr Fairness

Irmi Salzer von Via Campesina Austria ist selbst Bäuerin im Burgenland und bewirtschaftet 2 Hektar. "85 % der Landwirtschaftsbetriebe weltweit sind kleiner als 2 Hektar", leitete sie ihr Statement ein und folgerte: "Die Zukunft unseres Planeten liegt in der Hand der Kleinbauern." Salzer kritisiert, dass die EU exportorientierte Landwirtschaft fördere und bezeichnet den GAP-Kurs der EU als "Behübschung der Agrarpolitik", aber nicht als notwendige Strukturänderung. Wie sie am Beispiel der Obergrenzen für Förderungen klar macht: "Davon sind nur 0,02 % der Subventionen betroffen - in Österreich gerade einmal sieben Betriebe."

Die EU pumpe 500 Milliarden Euro in eine Landwirtschaft, die zunehmend für Krisen verantwortlich sei: "Wir haben einen massiven Humusverlust, Wasserreinigungskosten und Tierseuchen nehmen zu. 20 % der Betriebe werden in acht Jahren zugesperrt sein. Und dazu kommt ein massiv anhaltender Verlust von Biodiversität und Arten", so Salzer, die weiters die Probleme anspricht, die durch die EU-Exporte im "globalisierten Süden" entstehen. All das werde nicht wesentlich verbessert.

"Wir sind für die Regional- und gegen Investitionsprogrammförderungen. Wir brauchen mehr Betriebe und Familien. Es ist nicht fair so zu tun, als wäre alles o.k.", so Salzer, die auch im Hinblick auf Tierethik artgerechtere Tierhaltung einfordert. "Es braucht das Bekenntnis zur Regulierung von Produktionsmengen - wir brauchen ein besseres Quotensystem", ist sie überzeugt. Sozialpolitik solle auch nicht mit billigen Agrarpreisen gemacht werden. Landwirtschaftliche Einkommen sollen nicht auf Almosen und Förderungen aufbauen - und ebenso brauche es vernünftige Löhne.  

  

Von links: Josef Hechenberger, ein Blick ins Publikum, Christina Ritter.

Wie also die Förderpolitik gestalten? Bei der Arbeitskraft ansetzen - doch auch hier bestehen unfaire Rahmenbedingungen. Das Arbeitskraftmodell forciere Großbetriebe - da zahle der Steuerzahler Fremdarbeitskräfte, da diese die Fördergrenzen erhöhen. "Auch die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft Tirols zeigt, dass das Einkommen in Gunstlagen mehr angestiegen ist wie in Zone 4 - in Zukunft soll extreme Steilflächenbewirtschaftung stärker gefordert werden", wünscht sich Hechenberger.

"Laut Studie des Bergbauerninstitutes gibt es ein Modell, das die statistisch benötigte Arbeitskraft je nach Lage, Viehzahl etc. ausweist und damit eine gerechtere Basis wäre. Aber das ist politisch nicht gewollt", wandte Irmi Salzer ein und sieht den Pferdefuß in der Hektarförderung. Der Hektarsatz liegt derzeit in Niederösterreich bei 320 Euro, in Tirol bei 110 Euro. Hier müsse eine Umverteilung hin zum Maßstab Arbeitszeitbedarf gehen. So forderte auch Heinz Gstir eine "vernünftige Kleinerzeugerregelung", da der Lobbyismus in Brüssel nur den Konzernen in die Hand spiele. 

    

Heinz Gstir, Irmi Salzer und ein Gruppenbild von ÖBV- und PodiumsteilnehmerInnen.

Ökologische Landwirtschaft - was soll gefördert werden?

Während die Bauernvertreter am Podium bei vielen Punkten einen Konsens erzielten, ging die Meinung über die Förderkriterien im Umweltprogramm Ö-Pool auseinander. Während Josef Hechenberger und Heinz Gstir durchaus dafür plädierten, den Verzicht chemischer Produkte unter dem Aspekt Ertragsverzicht abzugelten, sieht Irmi Salzer darin den falschen Weg: "Es ist keine Leistungsabgeltung, wenn man Geld bekommt, weil man die Natur nicht schädigt. Es ist keine Leistung, flächendeckend auf Kunstdünger und Unkrautbekämpfungmittel zu verzichten. Solche Produktionsformen dürften nicht mit Steuergeld finanziert werden."

Dass Ö-Pool-Maßnahmen nicht greifen berichteten Diskussionsteilnehmer aus Niederösterreich anhand des zunehmenden Nitrat-Problems im Marchfeld und Weinviertel. "Obwohl die Bauern jährlich aus dem Ö-Pool eine Milliarde Euro für umweltgerechtes Wirtschaften bekommen (vorwiegend in Ostösterreich), nehmen die Umweltprobleme zu. Wir sollten wirklich innovative Landwirtschaft  wie Humusaufbau und Permakultur fördern", so Salza, die die Probleme der Zukunft nicht im Peak Oil, sondern im weltweiten Humusverlust sieht.

"Greening" - pro und contra

Als Beitrag zur Ökologisierung der Landwirtschaft sieht Salzer auch das Greening-Programm: "Das heißt 7 % ökologische Vorrangflächen schaffen, was fälschlicherweise als Stilllegung von Flächen propagiert wird. Gemeint sind damit extensive Formen der Landwirtschaft wie Bienenweiden, Streuobstwiesen oder Legominosen."

"Ich halte nichts vom Greening", konterte Hechenberger. Biobauern seien davon übrigens ausgenommen. "Das würde bedeuten, dass wir in Tirol 160.000 Hektar nicht mehr bewirtschaften. Wir brauchen aber alle Flächen."

Milchquoten fallen ab 2015

"Wir wollten die Milchquoten erhalten. Ab 2015 sollen alternativ Lieferverträge eingeführt werden. Ob dann in Seitentälern noch Milch produziert wird, ist fraglich", teilte Hechenberger seine Bedenken mit. "Die Abschaffung der Quoten ist im Interesse der Milchindustrie, um billigeren Rohstoff zu erhalten", kritisiert auch Heinz Gstir. Das kapitalistische System mache den Kleinbauern das Leben schwer: "Der Bauer hat gute Produkte, aber nicht das Geld für die Vermarktung. Die Bauern haben nicht die Marktmacht."

Rege Publikumsdiskussion

Die Publikumsdiskussion warf weitere Aspekete und Fragen auf. Wie können zerstörte regionale Strukturen wieder aufgebaut werden? Was wird an den Landwirtschaftsschulen über Humusaufbau und gesunden Boden gelehrt? Die landwirtschaftliche Ausbildung konzentriert sich auf konventionelle Anbauweise, nicht auf ökololgische. "Die Ausbildung sollte Bio sein, das ist schwieriger - dann kann man das andere auch", meinte dazu Christina Ritter.

Wie kann der Einstieg für Nicht-Bauern in die Landwirtschaft gefördert werden? Hier gibt es ebenso Defizite wie beim Wissen über die Saatgutbeize bei Mais, die auch in Tirol zu Bienensterben führt. Kritische Stimmen erhoben sich zur Grundverkehrsproblematik. Heinz Klier fordert weiterhin "eine breite Eigentumsstreuung bei Grund und Boden. Ich warne vor einer Lockerung vor den großkapitalistischen Ambitionen der EU. Großindustrielle reißen sich die schönsten Höfe unter den Nagel. Mir sind lieber Tiroler Bergbauern als Großindustrielle wie in Schweiz."

"Unser System ist pervers. Es streut den Profit hin zu wenigen. Wir haben ein Modell, das nur auf fossiler Energie und Wachstum aufbaut. Die Landwirtschaft sollte erkennen, dass sie im kapitalisten System die Avantgarde und Vorreiter für ressourceneffiziente, nachhaltige Kreislaufwirtschaft sein kann", plädierte Irmi Salzer.

 

Fazit: Will man Ernährungssouveränität fördern, ist der Konsument auch selbst gefragt - einerseits um Kooperationen mit Bauern in der Region einzugehen, andererseits um wieder vermehrt selbst aufs Land zu ziehen und Lebensmittel zu erzeugen. Im Blickpunkt steht dabei auch die Konsumenteninformation über Produktionsbedingungen, die noch viel zu wenig bekannt seien.