TTIP und CETA – ein Blick hinter die Kulissen

Risiken, Nebenwirkungen und Chancen von internationalen Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA waren Thema einer Podiumsdiskussion am 25. Oktober 2016 im Tagungshaus Wörgl. Am Podium informierten Eva Lichtenberger, bis 2014 EU-Abgeordnete und Mitglied im TTIP-Berichterstattungsgremium, der Kelchsauer Biobauer Christoph Astner, Stefan Garbislander, Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik und Strategie in der Wirtschaftskammer Tirol und Moderator Johnny Nesslinger, seit 2007 selbständig mit seinem Projekt Ridehere-Ridenow – Bewusstes Leben im Hier und Jetzt   in den Bereichen Sustainability – Awareness & Empowerment – Sports (www.ridehere-ridenow.com).

Wörgls Grün-Gemeinderat Richard Götz begrüßte im Namen der Kooperationspartner Tagungshaus, Grüne Bildungswerkstatt, Wörgler Grüne und Unterguggenberger Institut rund 30 Interessierte und fasste einleitend die Positionen von Gegnern und Befürwortern zusammen: „Kritiker sagen, dass Freihandelsabkommen nur dem Schutz der Konzerne dienen. Befürworter sagen, dass es ohne keine Wirtschaftsentwicklung in Europa gibt. Wem nützen also TTIP und CETA, die nicht nur den Handel, sondern auch Dienstleistungen betreffen?“

Lichtenberger, die sich in der Vorwoche noch detailliert in Brüssel über aktuelle Entwicklungen informiert hat, gab einen umfassenden Einblick: „Handelsabkommen sind nichts Neues, es gibt sehr viele Verträge.“ Die Abschaffung von Zöllen, die ohnehin schon sehr niedrig sind, ist nur Teil der Abkommen, die auf die Abschaffung von Handelshemmnissen zielen. „Europa will auf dem amerikanischen öffentlichen Beschaffungsmarkt anbieten – Lkw, Züge, technische Infrastruktur. Der US-Congress hat allerdings mit dem „Buy American Act“  gesetzlich festgelegt, dass Güter für alle Investitionen in öffentlichem Interesse in Amerika und nicht im Ausland gekauft werden“, erklärte Lichtenberger anhand von TTIP, was beispielsweise unter einem Handelshemmnis zu verstehen ist, wobei hier ein Nachgeben der Amerikaner nicht erwartet werde. Unterschiede im öffentlichen Beschaffungswesen bestehen auch anderweitig – während in den USA das Billigstbieterprinzip vorgeschrieben sei, können in Europa ökologische Kriterien geltend gemacht und das Bestbieterprinzip angewendet werden – auch das gilt als Handelshemmnis.

Wer will also TTIP und CETA? „Große Industriebetriebe auf beiden Seiten des Atlantiks“, so Lichtenberger. Dabei gehe es u.a. um die Angleichung von Testverfahren, beispielsweise in der Auto- oder Pharmaindustrie. „Das Problem dabei ist, dass hinter den Testverfahren unterschiedliche Werthaltungen stehen. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip – bevor ein Produkt auf den Markt kommt, muss es sicher sein. In den USA werden Produkte auf den Markt gebracht und dann wartet man auf Klagen, wobei dann die Strafen sehr hoch sind. Das ist bei vielen Düngemitteln und Gentechnik sehr problematisch.“ Diese Beweisumkehr zähle zu den großen Knackpunkten. Lichtenberger zieht daraus den Schluss, dass der Konsument verlieren würde und man auf diese Weise Umwelt- und Gesundheitsschutznormen loswerden wolle.

Umstritten sind die Schiedsgerichte, bestehend aus Rechtsanwälten, ohne Öffentlichkeit abseits der staatlichen Justiz. Ursprünglich als Schutz gegen Enteignung der Investoren gedacht – was in diktatorischen Regimes vorkommen kann – habe sich hier aufgrund von „findigen Anwälten“ eine Klagsindustrie entwickelt, die sich darauf spezialisiert, auf Basis „enteignungsähnlicher Vorschriften, die den zu erwartenden Gewinn schmälern können“, Staaten auf diesen Entgang zu klagen. „Die Vorteile haben dabei nicht die Firmen, sondern die Anwälte“, erklärte Lichtenberger. Für diese Klagen auf entgangenen Gewinn gibt es dann keine Berufungsmöglichkeit, zudem verursachen sie hohe Anwaltskosten und würden geführt, um als Drohkulisse auf Staaten Druck auszuüben – etwa gesetzliche Bestimmungen im Interesse der Konzerne und nicht im Interesse von Umwelt und Gesundheit zu erlassen. Als bekanntestes Beispiel zitierte Lichtenberger den Vattenfall-Prozess nach dem Atomenergie-Ausstieg Deutschlands – hier machen die Anwaltskosten bis 2015 allein schon 7 Millionen Euro aus. „Diese Schiedsgerichte haben ein grundsätzliches Ungleichgewicht. Konzerne können Staaten klagen, aber nicht umgekehrt – und sie sind nicht demokratisch kontrolliert“, so Lichtenberger. Geld, das in diese Klagsindustrie für „entgangene Gewinne“ gehe, fehle in den Sozialsystemen und in der Wirtschaftsentwicklung.

Einen Faktencheck zu den Schiedsgerichten lieferte Moderator Johnny Nesslinger, nachdem Stefan Garbislander von der Wirtschaftskammer Lichtenbergers Angaben in Zweifel zog. Nesslinger: „Viele Fälle werden öffentlich nicht bekannt. Von den bis Ende 2013 bekannt gewordenen, entschiedenen 274 Schiedsgerichtsurteilen gewannen 43 % die Staaten, 31 % die Investoren und bei 26 % kam es zu einer Einigung, die immer mit Abstandszahlungen der Staaten verbunden waren – damit gingen 57 % zugunsten der klagenden Konzerne aus.“

Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Interpretation des öffentlichen Interesses. „Bei CETA steht im Protokoll, dass bei berechtigten Interessen der öffentlichen Hand nicht geklagt werden kann. Darüber gibt es aber juristische Zweifel, ob das im Klagsfall auch hält“, so Lichtenberger. Bei TTIP umfasse der Vertragsgegenstand zusätzlich zu Handel und öffentlicher Beschaffung auch die Filmindustrie, was in Europa kritisch gesehen wird. Die Landwirtschaft sei in CETA weniger ein Thema als in TTIP – hier seien die Klagsrechte das Einfallstor für Gentechnik-Landwirtschaft. „In Kanada werden stark gentechnisch veränderte Lebensmittel produziert“, so Lichtenberger. Dass das nicht nach Europa kommt, schließt CETA nicht aus. „Die Haltung zur Gentechnik wird erst nach der Vertragsunterzeichnung in einem Gremium hinter verschlossenen Türen nicht öffentlich verhandelt – das ist problematisch“, so Lichtenberger.

Nichts Gutes für die Landwirtschaft erwartet Bio-Bauer Christoph Astner aus der Kelchsau, Vorstandsmitglied der österreichischen KleinbäuerInnen-Organisation via campesina: „Es besteht jetzt schon eine Irreführung der Konsumenten in höchstem Maß! TTIP und CETA werden daran nicht viel ändern“, so Astner. Als Beispiel nannte er die Käfighaltung von Hühnern. Sie ist seit 2009 in Österreich verboten – und gleichzeitig werden pro Tag 1 Million Eier in Form von Trockenei importiert. „Österreich hat seit dem EU-Beitritt seine Lebensmittel-Exporte um 10 Milliarden Euro gesteigert, die Importe um 11 Milliarden Euro. Und der Stundenlohn eines Bauern liegt weit unter 5 Euro“, so Astner.

Die zu erwartenden positiven Effekte werden gemeinhin als gering eingestuft – wo erwartet sich die Wirtschaftskammer Positives? Stefan Garbislander, der sich gleich eingangs als „Provokateur“ vorstellte, befürwortet Freihandelsabkommen als Bürokratie-Abbau. Einen Vorteil sieht er im Schutz von Ursprungsbezeichnungen wie „Tiroler Speck“ oder „Steirisches Kürbiskernöl“ – derzeit seien solche Produktnamen nicht vor Nachahmung jenseits des Atlantiks geschützt. Was die Schiedsgerichte betrifft, so seien diese in der Wirtschaft Gang und Gäbe. Wobei hier Unterschiede zwischen CETA und TTIP bestehen: „Bei CETA gibt es statt privater Schiedsgerichte ein Handelsgericht.“ Einen Zwang zur Privatisierung öffentlicher Versorgungsbereiche sieht Garbislander durch die Freihandelsabkommen nicht.

Während CETA als „ausverhandelt“ gilt, ist bei TTIP noch kein einziges Kapitel abgeschlossen. Statt allumfassender Freihandelsabkommen plädiert Lichtenberger für sektorale Abkommen, etwa für die Angleichung der Testverfahren in der Autoindustrie: „Damit können Detailprobleme gelöst werden. Es macht nicht Sinn, die Interessen der Autoindustrie abzudealen mit Landwirtschafts- und Lebensmittelstandards.“ Lichtenberger plädiert generell für fairen Handel – dieser helfe, Menschen und Länder aus der Armut zu holen. Dass österreichische Wirtschaftsbetriebe auch ohne CETA und TTIP erfolgreich exportieren und das weiter tun werden, liege an deren hoher Qualität und Spezialisierung.

„Die Drittweltländer sind Opfer unserer protektionistischen Agrarpolitik – sie schadet den Bauern in Afrika und Asien mehr als die Konzerne“, meinte Stefan Garbislander. Durch die WTO seien Handelszölle bereits abgebaut worden. Das funktioniere aber jetzt nicht mehr, weshalb der Zugang zu Märkten mit internationalen Abkommen geregelt werde. „Dabei ist mir lieber, dass die EU, USA und Kanada die Standards setzen und nicht die Asiaten oder Chinesen“, so Garbislander. Kritik am landwirtschaftlichen Fördersystem wurde auch in der Diskussion laut. Nachhaltiger ökologischer Wirtschaftsweise sollte klar der Vorzug gegeben werden. Dass das Fördersystem so nicht in Ordnung ist, bestätigte auch Christoph Astner: „Die größten Agrarsubventionsempfänger in Österreich sind Konzerne wie Red Bull.“

Einig waren sich Lichtenberger und Garbislander in der Beurteilung der Zusatz-Protokolle zu den Abkommen – diese seien eine „Beruhigungspille“ für die Leute, da die Rechtswirksamkeit nicht gesichert ist.

„Warum übernimmt man nicht wechselseitig immer die höchsten Standards? Dann kann auch niemand mehr etwas dagegen haben“, meinte Johnny Nesslinger und informierte, dass lediglich bei Tabak, Medikamenten und Finanzprodukten die amerikanischen Standards höher als die europäischen seien. In der Praxis  scheitert diese einleuchtende Idee wohl u.a. am Gentechnik-Einsatz jenseits des Atlantiks – der allerdings längst in Europa angekommen ist, weitgehend aber nicht bewusst wahr genommen wird: „Jährlich werden 600.000 Tonnen Soja als Futtermittel importiert – 90 % davon sind gentechnisch verändert und werden in der konventionellen Landwirtschaft verfüttert.“

„Das Wichtigste wären lesbare Kennzeichnungen der Lebensmittel“, fordert Biobauer Christoph Astner und weist auf die Macht des Konsumenten hin. Die Käfigeier seien sofort aus den Regalen verschwunden. „Wenn der Kellner heute fragen würde, ob ein Bio-Ei oder ein Käfigei in den Schmarrn soll, wäre das auch gleich geklärt“, so Astner. Lichtenberger wies darauf hin, dass die Kennzeichnung der Lebensmittel derzeit als Handelshemmnis eingestuft wird.

In der Publikums-Diskussion kam die klare Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel zum Ausdruck. Gentechnik einmal freigesetzt ist nicht rückholbar. „Ist mit CETA die Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel möglich? Wenn ja, dann ist es abzulehnen“, lautete eine Wortmeldung. „CETA schließt das nicht explizit aus – das wird jetzt hinter verschlossenen Türen nicht öffentlich von einem gemischten Ausschuss verhandelt, von dem man nicht einmal weiß, wer drinsitzt“, wies Lichtenberger auf die weiterhin bestehende Gefahr hin, dass durch diese Vorgangsweise gentechnisch veränderte Produkte im Handel landen können.

Künftig wird also der Konsument noch mehr gefordert sein als bisher – was allerdings die Staaten nicht von Gesetzen zum Schutz der Konsumenten entbindet. „Zur Konsumentensouveränität benötigt man Geld, das viele Menschen heute nicht mehr haben – sie können sich die teureren Bio-Produkte einfach nicht leisten“, meldete sich GR Richard Götz – wobei Tirol das Bundesland mit den niedrigsten Löhnen und höchsten Lebenshaltungskosten sei. Eine Einschränkung der Konsumentensouveränität sieht Lichtenberger auch in der Verringerung der Vielfalt und Wahlmöglichkeit durch große Handelsketten – nicht nur bei den Lebensmitteln, auch bei der Bekleidung.

Was soll also durch CETA und TTIP noch schlechter werden? Kann es nicht „eh schon wurscht sein“? lautete eine weitere Wortmeldung. „CETA und TTIP beschleunigen eine weitere Zentralisierung und Monopolisierung  der Wirtschaft und sind schlecht für einen guten Wettbewerb“, erklärte Lichtenberger und will ein „Umsteuern – mehr auf Konsumentenschutz und Klein- und Mittelbetriebe schauen, diese entlasten.“ Es könne nicht sein, dass international agierende Konzerne die wenigsten Steuern bezahlen. Anders schätzte Garbislander CETA und TTIP auch als Chance für KMU´s ein, die exportieren. „Ich kenne allerdings keinen einzigen Kleinunternehmer, der TTIP braucht“, stellte dazu Johnny Nesslinger fest, der seit Jahren als Netzwerker tätig ist: „Viele KMU´s wollen es nicht und sind der Plattform KMU gegen TTIP beigetreten.“