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Pressekonferenz im Psychosozialen Zentrum Wörgl am 8. März 2012

„In Tirol sind rund 9.000 bis 10.000 Personen an Demenz erkrankt, überwiegend an Alzheimer, aber auch an Mischformen mit anderen Erkrankungen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der Demografie ist die Zunahme dieser Erkrankungen bis 2020 gut berechenbar“, erklärt Josef Marksteiner, ärztlicher Leiter an der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin A im LKH Hall. Während bei der Diagnose in den vergangenen 10 Jahren große Fortschritte gemacht wurden und durch eine bessere Berücksichtigung der Krankheitsauswirkungen bei Einstufung des Pflegegeldes seit kurzem ebenfalls eine Verbesserung zu registrieren ist, fehle es noch an entsprechenden Strukturen zur Betreuung von Patienten und Angehörigen.

„Auch der Bezirk Kufstein wird Lösungen und Strukturen für eine menschengerechte Pflege finden müssen“, so Marksteiner, der für Tirol eine Mischform aus stationären und ambulanten Angeboten als geeignet erachtet, dabei aber die Gefahr sieht, „dass kein Bereich richtig gut entwickelt wird.“ Marksteiner verweist auf Erfahrungen in Deutschland. Bielefeld entschied sich vor 10 Jahren rein für den Ausbau ambulanter Strukturen, Leipzig nur für den Ausbau von Heimplätzen: „Die Bielefelder Lösung war um den Faktor zwei bis drei billiger bei höherer Zufriedenheit“, so Marksteiner.

Das Problem in Tirol sei, dass zu wenig Geld für den Ausbau der ambulanten Strukturen in die Hand genommen werde. Das bestätigte Karl-Heinz Alber, Leiter des Vereins Vaget Tirol, der sich seit 15 Jahren um mobile psychiatrische Pflege für SeniorInnen kümmert, ein Tagestherapiezentrum betreibt und mit einer Angehörigengruppe und dem Pflegekonsiliar-Dienst für Personal in Heimen und Sprengeln auch das Umfeld erfasst.  „Die Erstellung eines Heimplatzes kostet 120.000 Euro. Im ambulanten Bereich gibt es keine Vorleistungen und die MitarbeiterInnen mobiler Dienste sind nicht nur bei den Arbeitsbedingungen schlechter gestellt, sondern auch bei der Bezahlung“, zeigt Alber auf. Anstatt aufgrund zunehmender Erkrankungsfälle mehr Geld in die ambulante Struktur zu investieren, stelle das Land nicht einmal die erforderlichen Mittel zur Bezahlung der gesetzlichen Lohnerhöhungen der Mitarbeiter zur Verfügung. Alber: „Wir wissen nicht, wie das weitergehen soll.“ Die Kosten auf Patienten abzuwälzen sei keine Lösung, schon jetzt würden die verrechneten Selbstbehalte oftmals nicht eingesehen.

„Die Herausforderung besteht darin, eine finanzierbare Struktur für die Zukunft zu finden. Derzeit kommt ein Demenz-Patient auf 50 bis 55 Erwerbstätige – bald wird dieses Verhältnis 1 : 20 sein“, erklärt Marksteiner und fordert, kostengünstigere ambulante Dienste so auszustatten, dass sie auch attraktiv für die Mitarbeiter sind. Marksteiner verweist auf das Modell der „demenzfreundlichen Gemeinden“ in Vorarlberg mit dem Ziel der umfassenden Planung der Versorgungsstrukturen.

Marksteiner wie Alber fordern zudem ein besseres Unterstützungsangebot für pflegende Angehörige. „80 % der pflegebedürftigen alten Menschen werden von Angehörigen betreut, nur 20 % in Heimen“, so Alber. „Viele Angehörige sind hart am Limit und in Gefahr, selbst zu erkranken“, bestätigt Carmen Schwinghammer, Sprecherin des Psychosozialen Zentrums in Wörgl. „Wir begleiten Angehörige und suchen nach Entlastungsmöglichkeiten.“  Eine Angehörigengruppe besteht derzeit nur in Innsbruck. „Wenn in Wörgl sich dafür Interessierte finden, unterstützen wir das“, kündigt Alber an.

Anlässlich des internationalen Frauentages am 8. März wies Primar Marksteiner darauf hin, dass das Bewusstsein für psychische Erkrankungen bei Frauen mehr ansteige als bei Männern. Frauen würden sich immer weniger damit abfinden, über die Maßen niedergedrückt zu sein oder Angst zu haben. Bei den von psychischen Alterserkrankungen betroffenen Patienten seien zwei Drittel kritische, interessierte Patienten, nur ein Drittel zeige wenig Bereitschaft zur Therapie.