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Vortrag mit Silke Helfrich am 1.10.2013 im Tagungshaus Wörgl

Im Tagungshaus Wörgl referierte Silke Helfrich über Commons und stellte zahlreiche Praxis-Beispiele vor.

"Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter" lautet der Titel des Buches, das Silke Helfrich 2009 veröffentlichte, herausgegeben von der Heinrich Böll-Stiftung. 2012 folgte dann ihr zweites Werk "Commons - für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat", mit dem sie gleich vorlebt, wie "Commoning" gelebt werden kann: Der Transcript-Verlag ließ sich auf ein Experiment ein. Das gesamte Buch gibt´s als pdf kostenfrei zum Download - und trotzdem ist es in der Print-Version ein Bestseller und wird jetzt in andere Sprachen übersetzt.

Was verbirgt sich also hinter dem Begriff Commons, für den bisher kein entsprechendes Wort in der deutschen Sprache gefunden wurde? Entstanden ist er erst vor wenigen Jahren 2009. Auf wikipedia - einem der bekanntesten Commons-Projekte - steht da: "Der englische Begriff Commons, abgeleitet von common, dt. gemein(sam), bezeichnet Gemeingut, Gemeinwohl oder Allmende." Silke Helfrich sieht aber noch mehr Bedeutungen: "Commons werden auch die Produktionsweise beeinflussen." Sie sind eine Kultur basierend auf Nutzungsrechten abseits von Eigentums- und Besitzdenken und ein aktiver gesellschaftlicher Prozess.

Silke Helfrich ist freie Publizistin und Mitbegründerin der Commons Stragegies Group. Sie lebt und arbeitet in Jena, war langjährige Büroleiterin für Mittelamerika/Mexiko der Heinrich-Böll-Stiftung und ist Herausgeberin von 'Wem gehört die Welt?' und von 'Was mehr wird, wenn wir teilen'. Und sie sieht ihre Arbeit im politischen Kontext. So wie man "Geld nicht den Banken, Politik nicht den Politikern und Stadtplanung nicht den Stadtplanern überlassen sollte." Commons bewirken "eine neue Politik jenseits von Markt und Staat".

Commons werden gemacht

Das heutige Wirtschaftssystem reproduziere Abhängigkeit und funktioniere nicht mehr bedürfnisorientiert. "Commons bringen eine Erweiterung der Unabhängigkeit", erklärt Silke Helfrich die Grundidee und bringt Beispiele. Für ihre Entstehung sind die Grundlage Ressourcen aus der Natur und Netzwerke/Gemeinschaften, die dann das "Anteilhaben" in einem aktiven Prozess miteinander gestalten. "Es gibt dafür kein Patentrezept, Commons sind Inspiration", zieht sie den Schluss aus den weltweit gesammelten Forschungsergebnissen.

Das betrifft die Gestaltung des öffentlichen Raumes und menschliche Grundbedürfnisse. "Wie sind Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum aufgestellt? So, dass man miteinander zu kommunzieren beginnt? Wo gibt es öffentlich Trinkwasser und Toiletten?", bringt Helfrich praktische Anwendungsmöglichkeiten. In der Schweiz sind öffentliche Trinkwasserbrunnen sogar gesetzlich verankert. Und auf reges Interesse beim Vortrag im Tagungshaus stieß ein Commons-Beispiel in Deutschland: Die "Nette Toilette": "Städte bezahlen Gastronomen, damit sie ihr WC kostenfrei nicht nur ihren Kunden zur Verfügung stellen. Das ist für die Stadt kostengünstiger als selbst Toiletten zu betreiben und nützt vorhandene Infrastruktur besser."

Commons sind eine andere Herangehensweise an Problemlösungen.  "Es geht um Relation, Beziehung, nicht um Transaktion", hebt Helfrich die Bedeutung des sozialen Netzwerkes hervor. Wie kreativ Lösungen gefunden werden, zeigt Gaviotas in Kolumbien, über das Alan Weisman das Buch "Ein Dorf erfindet sich neu" verfasst hat.

Commons verändern unsere Produktionsweise

Wie Commons unsere Produktionsweise verändern zeigt die Online-Enzyklopädie wikipedia. Gegen die Netzwerkstruktur habe das hierarchische Produktionsmodell keine Chance mehr. "Commons based Peer Production" bewirkt hier, dass Wissen permanent geteilt und dabei nicht weniger wird, sondern mehr.

"Prinzipien der P2P-Produktion sind Modularität, Kleinteiligkeit und günstiger Zusammenbau. Dabei geht es nicht um Autarkie, sondern um die Verteilungsfrage. Die Verteilung in Netzwerken funktioniert besser als in hierarchischen Strukturen. Die Produktion sollte so dezentral wie möglich sein. Unsere Kultursaatenvielfalt ist als Commons-Projekt entstanden", erläutert Helfrich das Prinzip. Dabei gehe es darum, Probleme vor Ort mit den Betroffenen zu lösen und die Verantwortung nicht zu deligieren.

"Die beiden entscheidenden Fragen sind: Wem gehört? Wer kontrolliert?" so Helfrich. Commons bauen eine "eigene Welt neben der ausschließlichen Welt". Sie leben das Prinzip der Fülle im Gegensatz zum Prinzip der Knappheit im bestehenden System und setzen beim fair Teilen an.

"Commons sind kollektive Selbstbestimmung, bedürfnisorientiert."

Silke Helfrich unterscheidet bei den Ressourcen zwischen solchen, die durch den Gebrauch nicht weniger werden (Wissen) und begrenzten Naturressourcen. Das Problem sei, dass beides mit den gleichen Urheber- und Eigentumsrechten belegt sei."Commoning" heiße also bestenfalls "freiwillig und gemeinsam auf Augenhöhe produzieren (P2P), bedürfnisbasiert und problemlösungsorientiert arbeiten, Wissen und Codes teilen, Naturressourcen nachhaltig bewirtschaften und das Ergebnis gemeinsam nutzen."

Setze man dieses Prinzip bei der Energiefrage an, so dürfe "Energieproduktion nicht gewinnorientiert sein, weil die Quellen der gesamten Menschheit gehören." Den Commons-Ansatz bevorzugt Helfrich auch bei der Urheberrechts-Diskussion: Es sei falsch, Wissen einzusperren, da es sich durch Teilen nicht vermindere.

Besitz statt Eigentum

Commons setzen auch beim Begriff von Besitz und Eigentum und deren rechtlichen Definition an. Besitz ist Aneignung, kann nicht verkauft, aber genutzt werden - wie bei der Mietwohnung.  Commons sind auch eine Frage der Macht und brauchen eine "andere mentale Infrastruktur". 

Technische Meisterleistungen in Commons-Projekten

Beeindruckend sind die Beispiele, wo Commons weltweit schon funktionieren: Bei der Software-Entwicklung ebenso wie bei der Energiegewinnung, etwa bei einer Windpark-Kooperation in Dänemark. Dass die Commons-Produktionsweise auch die klassische Autoindustrie in den Schatten stellt, zeigt das Auto "Wikispeed" (Info auch auf http://www.energieleben.at/wikispeed-%E2%80%93-effizientes-auto-gemeinsam-gebaut/): "Die Prototypentwicklung dauerte nur drei Monate - bei der Autoindustrie sind dafür sieben bis 10 Jahre nötig. An der Entwicklung arbeiteten 150 Freiwillige in zehn Ländern unter Nutzung freier Webtools mit. Das Auto hat einen fünf-Sterne-Sicherheitsstandard bei einem Verbrauch von 1,5 Liter, verfügt über einen modularen Aufbau und kann leicht selbst gewartet werden", schildert Helfrich und stellte eine weitere technische Hightech-Gemeinschaftsproduktion vor: Protei (http://www.good.is/posts/protei-an-open-source-fleet-of-oil-spill-cleaning-robot-drones), eine "Open-Source-Segel-Drone" zur Reinigung des Meeres von Erdölverunreinigungen: "Bei diesem Projekt hat die Techniker-Community erstmals seit 5.000 Jahren eine neue Bootsform entwickelt, die nicht mehr über einen starren Rumpf verfügt, sondern ein bewegliches Rückgrat aufweist - wie eine Wirbelsäule."

Commons in Wörgl...

Commons sind keine neue Erfindung, sondern haben lange Tradition in der Geschichte der Menschheit. Die gemeinschaftliche Nutzung von landwirtschaftlichem Grund war in Wörgl über Jahrhunderte mithilfe von Kerbhölzern geregelt, die im Heimatmuseum Wörgl zu sehen sind. Ein Commons-Projekt heute ist der Wörgler Freigarten - der Grund gehört der Stadt, eine Gemeinschaft ehrenamtlicher HobbygärtnerInnen betreut das Areal.

Angetan von der Commons-Idee befürwortet Wörgls Tagungshausleiterin Edith Bertel die Aktion "Nette Toilette" und würde ein Projekt in Wörgl dazu sehr begrüßen. "In Wörgl fehlt eine Versammlungskultur", zeigte Herbert Ringler in der anschließenden regen Diskussion ein weiteres Commons-Potenzial für Wörgl auf. Silke Helfrichs Vortrag bot jedenfalls eine reiche Inspirationsquelle, um über die Gestaltung des Zusammenlebens neu nachzudenken.