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Stadt Wörgl lud zum Hochwasserschutz-Informationsabend am 26. Juni 2014 |
vero / 28.06.2014 09:26
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Mit diesem Riesenandrang beim Hochwasserschutz-Infoabend hatte die Stadtführung nicht gerechnet - da war die bereitgestellte Saaltechnik im Volkshaus überfordert: zu wenig Lautsprecher, Powerpoint-Präsentationen auf einer viel zu kleinen Leinwand, was den ohnehin verärgerten Betroffenen zusätzlich Anlass zu Kritik bot.
Mit einem Rückblick auf die Ereignisse seit dem letzten Hochwasserschutz-Infoabend am 11. April 2013 eröffnete Bürgermeisterin Hedi Wechner den Infoabend am 26. Juni 2014 im Volkshaus Wörgl. Der nun vorliegende Gefahrenzonenplan-Entwurf wurde der Stadt am 26. Mai 2014 vom Land präsentiert. Damit wurde bekannt, welche Gebiete als "Rote Zone" ausgewiesen wurden, die nicht für Besiedelung und übergeordnete Verkehrswege geeignet sind. Um das zu verhindern, hatte die Stadtgemeinde Wörgl den Bau eines Dammes beschlossen, der zur Genehmigung beim Land eingereicht wurde. Dass er dort als "nicht genehmigungsfähig" eingestuft wurde, wird mit dem Fehlen von ausgewiesenen Retensionsflächen begründet.
Dass der rechtliche Anspruch auf Schutz vor einem hundertjährlichen Hochwasser bestehe, teilte Hubert Steiner, Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft beim Land Tirol mit und erläuterte die bisherige Vorgangsweise: "Wir müssen erst die Gefahren darstellen, um dann den Schutz zu entwickeln." Die Basis für die Erstellung dieser Gefahrenzonenpläne ist eine Bundesrichtlinie. Sie würden erstellt, um durch Vorsorgemaßnahmen das Schadenspotential zu verringern, so Markus Federspiel vom Land Tirol. Der Gefahrenzonenplan, kurz GZP, ist ein Fachgutachten, mit dessen Erstellung das Ingenieurbüro Schönherr vom Land Tirol beauftragt wurde. Daraus werden mit der Regionalstudie Tiroler Unterland die Schutzmaßnahmen abgeleitet, die sowohl die Raumordnung, die Flächenwidmung als auch Bebauungsbestimmungen für Grundstücke sowie Vorsorgemaßnahmen für den Katastrophenfall beinhalten.
Bei der Erstellung der Gefahrenzonenpläne wird von drei Szenarien ausgegangen: 30jährlichen, 100jährlichen und 300jährlichen Hochwasserereignissen. In der HQ30-Zone besteht Bewilligungspflicht. Als Bemessung für Schutzvorrichtungen gilt HQ100, wobei die davon betroffenen Gebiete in Rote, Gelbe und Rot-gelbe Zonen eingeteilt werden, die sich hinsichtlich der Gefährdung unterscheiden. Der Gefahrenbereich HQ300 ist ein Hinweisbereich ohne rechtliche Folgen im Gegensatz zum HQ100-Bereich. Kriterien für Rote Zonen sind eine Wassertiefe von mehr als eineinhalb Metern oder eine Fließgeschwindigkeit von mehr als 2 Metern pro Sekunde, was als Personengefährdung eingestuft wird. "In der Roten Zone wird von einer Bebauung abgeraten und wenn eine erfolgt, dann unter sehr aufwändigen Auflagen", so Federspiel.
Am Podium: DI Josef Schönherr, Markus Federspiel, Hubert Steiner, Bürgermeisterin Hedi Wechner und Vizebgm. und Raumordnungsreferent Dr. Andreas Taxacher. Als Moderator war Günther Schimatzek vom ORF im Einsatz (Bild rechts).
Dem nun vorliegenden GZP-Entwurf, der zur öffentlichen Einsicht aufliegt, liegt eine Abflussuntersuchung des Unteren Inns, der Brandenberger und der Brixentaler Ache zugrunde, die vom Ingenieurbüro Schönherr durchgeführt wurde. Die Geländedaten wurden durch Vermessung der Innprofile mittels Echolot, durch terrestrische Vermessung sowie durch LaserScans aus der Luft ermittelt. Aufgrund des Geländemodells und der Kalibrierung wurden die Gefahrenzonenpläne ausgearbeitet, die auf der Simulation des Ist-Zustandes beruhen.
Markus Federspiel (links) und Josef Schönherr (3. Bild v.l.) bei der Vorstellung des Gefahrenzonenplanes und dessen Grundlagen.
Mit welchen Maßnahmen nun auf den Ist-Zustand reagiert werden soll, bei dem das 2005 überschwemmte Gebiet im Fall eines 100jährlichen Hochwassers ohne Aufbau des mobilen Schutzes wieder überflutet würde, damit befasst sich die Regionalstudie Tiroler Unterland für 38 Gemeinden. "Ziel ist der Schutz von Bauland vor 100jährlichem Hochwasser", erklärte Federspiel und wies auf die Rolle der Retensionsräume hin. Ziel sei in erster Linie der Erhalt der bestehenden Wasserrückhalteflächen. "Ohne diese wäre in Kufstein ein Viertel mehr Wasser, der Wasserspiegel des Inns läge um 25 bis 30 cm höher", so Federspiel. Würde der gewünschte Inndamm in Wörgl-West gebaut, müsse Platz für 5,5 Millionen Kubikmeter Wasser an anderer Stelle gefunden werden. Diese Retensionsräume seien in Tirol vorhanden, indem bestehende genutzt und durch technische Bauten optimiert werden. Die Herausforderung besteht darin, dass die Kompensation in anderen Gemeinden erfolgen muss, da in Wörgl diese Flächen nicht zur Verfügung stehen - Siedlungs- und Gewerbegebiete sind keine Retensionsräume. Federspiel schlägt deshalb die Einrichtung eines Wasserverbandes und eines Entschädigungsmodelles vor.
In der Regionalstudie ist der Dammbau bei Wörgl als Maßnahme vorgesehen (Bild links), womit die Roten Zonen in Gelbe geändert werden. Am Podium v.l. Josef Schönherr, Markus Federspiel und Hubert Steiner.
Rote Zone: Leben in Angst und Schaden für die Betroffenen
"Was mache ich jetzt mit meinem Betrieb? Ich habe Grund für die Erweiterung angekauft, der ist jetzt wertlos. Was machen die Leute, die hier wohnen? Ich habe ein Problem damit, dass jetzt von Amts wegen das als Rote Zone ausgewiesen wird", meldete sich Günther Marschner als einer der Hochwassergeschädigten von 2005 als erster zu Wort, wies auf die Entwertung der Grundstücke und Schädigung der Betriebe und Bewohner hin und wollte wissen, in welchem Zeitraum der notwendige Damm umgesetzt werden kann.
"Wir beschreiben nur, welche Gefahren die Natur birgt und sind die Überbringer der schlechten Nachricht", so Steiner, der zwar Verständnis für Sorgen, Nöte und Ängste der Betroffenen zeigte, aber festhielt: "Mein Job ist die übergeordnete Sicht. Maßnahmen dürfen sich nicht nachteilig auf andere auswirken, die Folgen haben die Unterlieger zu tragen. Moderne Wasserwirtschaft geht über die lokale Situation hinaus." Als Zeitrahmen für die Umsetzung der Maßnahmen im Tiroler Unterland nannte er 10 Jahre, was den Betroffenen wie der Stadtführung als zu lang erscheint. Bürgermeisterin Hedi Wechner drängte auf eine schnellere Umsetzung: "Wir reden jetzt seit einem Jahr darüber, können nichts mehr widmen und die Grundstückswerte sinken. Ich fürchte um manche Betriebe."
Von links: Günther Marschner, Willi Aufschnaiter, Martin Hirner.
Wirtschaftskammer-Obmann Martin Hirner berichtete von einer Übereinkunft mit LHStv. Geisler dahingehend, dass bei betroffenen Unternehmen im Einzelfall entschieden und eine Bautätigkeit nicht grundsätzlich abgelehnt werde. Martin Rottler vom Wasserbauamt Kufstein konkretisierte Kriterien für solche Ausnahmen, die andere nicht schädigen dürfen und durch "Zwänge, wie den Druck von Konzernen" begründet sein müssten. Hirner befürchtet durch die Zonenausweisung einen Stillstand für die Wirtschaft im betroffenen Gebiet, weist auf weitere Auswirkungen hinsichtlich der Versicherungsproblematik hin und äußerte Bedenken, wie Banken angesichts der Grundstücksabwertungen bei Kreditsicherstellungen reagieren werden.
Die Frage nach Schadenersatz beschäftigt Betriebe gleichermaßen wie Hausbesitzer. "2011 versicherte mir das Bauamt, dass es kein Problem sei, hier zu bauen - sechs Jahre nach dem Hochwasser. Ich durfte allerdings auch nicht aufschütten, um höher zu bauen. Ich kann nicht abwandern. Bei wem kann ich dann Schadenersatz verlangen?" wollte einer der betroffenen Anrainer wissen. Das gleiche Schicksal teilt Landessanitätsdirektor Dr. Franz Katzgraber, der in der Roten Zone wohnt: "Als ich das Haus kaufte, wurde von der Stadt versichert, dass das behoben sei. Was machen wir jetzt? Bauen wir alle 1,60 Meter hohe Gartenmauern? Viele finden keine Hochwasserversicherung mehr. Dieses Problem ist für viele eine Existenzfrage. Da braucht es mehr als die Vetröstung auf einen Zeitraum von 10 Jahren!"
Dr. Peter Egerbacher vom Stadtbauamt begründete die Bewilligungen damit, dass 2011 der Gefahrenzonenplan noch nicht existiert habe, die Bewilligung damit zulässig gewesen sei. "Warum sind die Betriebe, die nach 2005 im Gewerbegebiet angesiedelt sind, nicht früher gewarnt worden?", lautete ein weiterer Vorwurf, dem mit dem Argument begegnet wurde, dass die Erhebungen und Berechnungen für die Erstellung des Gefahrenzonenplanes entsprechend viel Zeit benötigten, zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht vorgelegen seien, deshalb die Bewilligungen auch "in bestem Wissen" erteilt worden seien. In so einem Fall sei auch kein Schadenersatz vorgesehen. Architekt Markus Moritz stellte fest: "Die Raumplanung unterliegt der Verordnungsprüfung durch das Land. Das Land hat alles abgezeichnet. Durch den neuen Gefahrenzonenplan entsteht eine unerhörte Schädigung der Betriebe."
Von links: Gerhard Unterberger, DI Martin Rottler, GR Manfred Mohn.
Mobiler Damm ja, fixer Damm nein...
"Ich arbeite in der Roten Zone. Wie sicher sind wir? Und sind genug Retensionsflächen vorhanden?" - beide Fragen beantwortete Martin Rottler mit ja. Das Hochwasser habe eine Vorlaufzeit, während der von der Feuerwehr entsprechende mobile Schutzmaßnahmen errichtet werden. "Die Gemeinde hat ein Katastrophenschutzmanagement aufgestellt, die Hilfsmittel für den Bedarfsfall sind da", teilte Bürgermeisterin Hedi Wechner mit.
"Die unterliegenden Gemeinden Angath, Langkampfen und Kufstein haben ihre Dämme sofort erhöht. Warum kann das nicht wie dort auch in Wörgl entschieden werden?" wollte Gerhard Unterberger, selbst Betroffener wissen. Der von Wörgl gewünschte Dammbau wird vom Land mit Hinweis auf die Regensburger Verträge abgelehnt. Wenn die Bürgermeisterin ihn jetzt trotzdem bauen lässt, macht sie sich strafbar. Straffrei ist hingegen die "Notwehr" im Ernstfall - als Katastrophenschutz ist die Aufstellung der BigBags als Damm erlaubt. "Das ist ein juristisches Problem", so Wechner. "Das ist doch schizophren, dass ein mobiler Damm erlaubt ist, ein fixer nicht", brachte Willi Aufschnaiter die Meinung im Saal zum Ausdruck Mit Bravo-Rufen reagierte die Versammlung auf Hedi Wechners Frage an die Landesbeamten "Und was ist, wenn Wörgl den Damm einfach illegal baut?" Worauf Markus Federspiel antwortete: "Die Rote Zone bleibt trotzdem, weil der Damm illegal wäre."
Wörgl drängt auf Dammbau
Damit blieben auch die Probleme der Entwertung von Grund und Boden sowie äußerst komplizierter Bauverfahren und des Entwicklungsstopps im Gewerbegebiet. "Die Rote Zone ist für Siedlungs- und Verkehrszwecke nicht zu nützen. Das Leben von Personen ist bedroht. Das ist die Realität. Es gibt nur eine Lösung: den Damm", stellte Raumordnungsreferent Vizebgm. Dr. Andreas Taxacher fest. "Wir wissen, das ist machbar und die Retensionsflächen gibt es. Der Landtag und die Landesregierung haben rasch, sofort und schleunigst sicher zu stellen, dass der Damm gebaut wird. Es ist Sache der Landespolitik. Auf diese müssen wir Druck ausüben, damit sie tun, wozu sie verpflichtet sind - die Leute zu schützen, die in Gefahr sind."
Von links: Dr. Georg Petzer und am Podium Bgm. Hedi Wechner, Vizebgm. Dr. Andreas Taxacher.
Rechtsanwalt Dr. Georg Petzer brachte eine weitere juristische Sicht ein: "Die Rote Zone bedeutet Gefahr für Menschen. Wenn die Politik da nicht reagiert, läuft sie Gefahr, vor Gericht zu kommen." Wobei Petzer den Dammbau als "Notwehrmaßnahme bei Gefahr in Verzug" sieht und auch damit begründen würde.
In der rund zweistündigen Diskussion kam auch die Ohnmacht und Hilflosigkeit zum Ausdruck, mit der sich die betroffenen Menschen angesichts der Hinhaltepraxis des Landes konfrontiert sehen. Sie resultierte in Vorschlägen wie "bauen wir halt den Damm fast fertig, lassen nur eine Lücke von 50 Metern" ebenso wie im neuerlichen Hinterfragen der Ursache für die Überflutung 2005. Willi Aufschnaiter und Günther Marschner wiesen einmal mehr auf die ihrer Meinung nach nicht fachgerecht erfolgte Verlegung der Tigas-Leitung im Pumphaus-Damm und die daraus resultierende Mitschuld der Tiwag am Dammbruch hin. Den Vorschlag, wie in der Wachau mobile Wände als Schutz zu verwenden, bewertete Hubert Steiner vom Land als nicht zulässig, da durch den Unterbau im Boden diese Methode ein Permanent-Hochwasserschutz sei.
Dass der fixe Damm kommen muss und wird, stellten die Landesbeamten nicht in Frage. Wie der Verhandlungszeitraum hinsichtlich der Vereinbarungen betreffend die Retensionsflächen abgekürzt werden kann, da ist jetzt die Landespolitik am Zug. Um dem Anliegen dementsprechend Nachdruck zu verleihen, kam auch der Vorschlag aus dem Publikum, den Petitionenausschuss im Landtag damit zu befassen.
"Wir haben heute nicht viel erfahren, was wir nicht schon wussten", lautete das Resümee des Infoabends von Bürgermeisterin Hedi Wechner, die abschließend auf Sprechtage für die Betroffenen von 20. bis 23. Juli 2014 hinwies, bei den Landesbeamte in Wörgl zu allen Fragen Auskunft geben werden.
Weitere Bilder vom Hochwasser-Infoabend sehen Sie hier in der Galerie...
Bilder in höherer Auflösung von den Folien der Powerpoint-Präsentationen sind rund eine Woche lang in dieser dropbox online:https://www.dropbox.com/sh/anq78az3kdakeam/AAADIbaBBLXjMFjnpsRLDkF1a