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Landesrätin Beate Palfrader zu Bildung und Familie beim PolitDialog in Wörgl

Tagungshausleiterin Dr. Edith Bertel bei der Begrüßung (Bild links) zum PolitDialog mit Landesrätin Dr. Beate Palfrader (rechts).

Ein Land, das mit Bodenschätzen nicht gesegnet ist, sollte in die Bildung seiner Menschen investieren stellte Landesrätin Dr. Beate Palfrader einleitend fest und nannte als Leitlinien für die Bildungspolitik Professionalisierung, Individualisierung und Durchlässigkeit. Bei der Professionalisierung sei entscheidend, dass sie schon im vorschulischen Bereich im Kindergarten beginne. Elementarpädagogik werde noch zu sehr unter dem Aspekt der Kinderbetreuung und zu wenig als Bildung gesehen. Professionalisierung bedeute die beste Ausbildung der Pädagogen, die vor der Herausforderung einer immer heterogener Gesellschaft hinsichtlich Nation, Religion und sozialer Schichten stehen.

Darauf müsse man mit Individualisierung beim Lernen reagieren. Weg vom homogenen Unterricht, wobei die Pädagogen mehr bei den Stärken und der Förderung vom Begabungen als bei den Schwächen der Kinder ansetzen sollten. Palfrader stellte den Schulversuch der gemeinsamen Schule für die Sekundarstufe 1 im Zillertal vor, die diesen Weg gehe. Alle Kinder werden in Kompetenzwerkstätten getestet und individuell unterrichtet sowie die Eltern intensiv mit einbezogen. Lehrerfortbildung und wissenschaftliche Begleitung sind weitere Eckpfeiler des Schulversuches. Das Zillertal habe sich dafür angeboten, da 98 % der Kinder in der Neuen Mittelschule bleiben. 

Die Bildungspolitik setze bei drei Stufen an: Die frühkindliche Bildung müsse ganztägig ganzjährig bei guter Qualität gegeben sein, wozu ein höherer Personalschlüssel erforderlich sei. "Viele Kinder haben extreme Sprachstörungen", so Palfrader, wobei dieses Phänomen nicht nur bei Kindern mit migrantischem Hintergrund zu beobachten sei. Hier mehr Personal einzusetzen sei Prävention.

Im Pflichtschulbereich solle vermehrt Wert auf die Grundkompetenzen lesen, schreiben und rechnen gelegt werden, wofür das Land eine Lesekampagne mit dem Ausbau von Schulbibliotheken startete und 1,2 Millionen Euro in Leseprojekte investierte. Der dritte Schwerpunkt sei eine Technologieoffensive, wobei hier die neuen Ausbildungszweige Mechatronik und die neue Chemie-HTL wichtig für den Arbeitsmarkt seien. Anzusetzen sei auch bei der Berufsorientierung. Der Fachkräftemangel spitze sich weiter zu, die Anzahl der Lehrlinge ist rückläufig, verschärft durch geburtenschwache Jahrgänge und die Konkurrenz berufsbildender Schulen. Ein Problem sei hier auch die frühe Entscheidung im 10. Lebensjahr, so Palfrader.

Auf die Wortmeldung, dass Elterneinbeziehung aufgrund der notwendigen Berufstätigkeit beider Elternteile oft sehr schwer sei, meinte Palfrader, es sei notwendig, ganztägige Schulformen auszubauen. Schulen und Kindergärten ab einer gewissen Größe sollten verpflichtet werden, eine Gruppe bzw. Klasse ganztags zu führen.

Kritisiert wurde vom Publikum, dass die aktuelle Situation vom Idealzustand weit entfernt sei, was fehlende Förderung von Begabungen und Frontalunterricht betreffe.

Palfrader kündigte an, dass in Tirol 100 Planstellen für sonderpädogischen Bedarf geschaffen werden und diese Lehrkräfte an Brennpunktschulen mit besonders großem Migrationshintergrund eingesetzt werden. Angesprochen auf die Auflassung von Sonderschulen und die gemeinsame Schule für alle - die Kärnten bereits umgesetzt hat - entgegnete Palfrader, dass sie darin nicht den richtigen Weg sehe: "Dort pendeln Kinder aus in andere Bundesländer", so Palfrader. Sonderschulen werde es immer brauchen, allein schon wegen der Ausstattung für gewisse Bedürfnisse. Außerdem bestehe das gesetzliche Wahlrecht für die Eltern. Auch der Bezirk Reutte zeige, dass die Auflassung der Sonderschulen keine Lösung sei - auch hier würden die Kinder auswärts in anderen Landesteilen in Internaten untergebracht. 

Für die Integration im Alltag fehle Personal. "Laut Bund haben 2,7 % aller Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf. Tatsächlich sind es 4,5 %", so Palfrader. Obwohl die Wahlmöglichkeit der Eltern besteht, landen aufgrund von Personalmangel auch Kinder mit Downsyndrom in Sonderschulen und stehen beim Schulabschluss mit dem Schwerstbehindertenzeugnis vor einer Hürde am Arbeitsmarkt, weshalb der Wunsch vorgetragen wurde, in solchen Fällen die Formulierung auf "mit erhöhtem Förderbedarf" abzuändern.

Angefragt wurde auch die Haltung des Landes betreffend die Aufweichung der Schulsprengel. "Der Gemeindeverband ist darüber not amused", teilte Palfrader mit und erklärte, dass das Schulwesen für die Gemeinden planbar bleiben müsse. Bei Landessprengeln für Schwerpunktschulen wie die Fußballschule in Wörgl oder die Kletterschule in Imst sei das kein Problem.

Ansätze in der Familienpolitik

"Wir müssen uns vom herkömmlichen Familienbegriff verabschieden", so Palfrader, die fünf Kriterien für die Familienpolitik sieht: 1. Familienzeit in Form von sinnvoller, leistbarer Freizeit. Dazu biete das Land mit der Familiencard ein Angebot, das jetzt auch auf Südtirol ausgeweitet werden soll. 2. Finanzierungssicherheit durch 2 Jahre Karenz mit Rechtsanspruch auf Wiedereinstieg im Job und Kinderbetreuungsgeld, wobei sie für dieses die Absetzbarkeit von der Steuer verbessern will. 3. Entlastung der Familien durch Eltern-Kind-Zentren und Beratung. 4. Familien-Know-How durch die Schulung von Tagesmüttern und niederschwelliger Angebote und 5. den Ausbau von Kinderbetreuungs-Infrastruktur. Da sei schon viel passiert, es sei aber auch noch viel nötig. "2008 betrug der Personalkostenzuschuss des Landes 26 Millionen Euro, jetzt liegen wir bei 49 Millionen Euro", zieht Palfrader Bilanz und kündigt im Hinblick auf den weiteren Ausbau an, dass kleine Gemeinden hier vermehrt zusammenarbeiten müssten. Im Seniorenbereich wolle man die Computerias weiter ausbauen und mit dem Projekt Miteinand generationenübergreifend arbeiten.

Auf das knappe Platzangebot bei den Wörgler Kleinkindbetreuungseinrichtungen wies eine junge Mutter hin: "Mein Kind ist jetzt fünf Monate, ich muss arbeiten gehen. Ich habe es jetzt ab dem 20. Monat angemeldet und keine Zusage - wir stehen auf der Warteliste. Da erwartet die Wirtschaft immer flexible Mitarbeiter - aber ohne entsprechende Kinderbetreuung geht das nicht!"

"Teilzeitarbeit ist eine Armutsfalle für Frauen im Alter. Mit Einführung des neuen Pensionskontos werden viele Frauen mit ihrer Rente im Alter nicht leben können", machte Tagungshausleiterin Dr. Edith Bertel auf einen weiteren Missstand aufmerksam. Palfrader bestätigte, dass das ein "brennendes Thema" sei wie überhaupt die Armut meist weiblich sei. Sie plädiere dafür, Kindererziehungszeiten anders anzurechnen.