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Buchvorstellung: "Die letzte Schlacht" von Stephen Harding über die Befreiung von Schloss Itter |
vero / 10.03.2015 05:42
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Der 4. Mai 1945 - dieser Tag am Ende des Zweiten Weltkrieges steht im Zentrum von Stephen Hardings Buch "Die letzte Schlacht". Jener Tag, an dem Captain John C. "Jack" Lee mit seiner Kompanie als Speerspitze der amerikanischen Truppen in Kufstein eintraf. Wenige Tage zuvor hatte der deutsche Wehrmachtsmajor Josef "Sepp" Gangl in Wörgl beschlossen, dass für ihn und seine Männer der Krieg vorbei war - sie schlossen sich dem Widerstand gegen das NS-Regime an, das nach der Nachricht von Hitlers Tod zunehmend zusammenbrach, nicht ohne verbitterte "Endkämpfe".
Eine dieser letzten Schlachten tobte um Schloss Itter, auf dem 14 französische "Ehrenhäftlinge" festgesetzt waren - darunter zwei ehemalige Premierminister. 1940 wurde das vormals als Luxushotel genutzte Schloss von den Nazis angepachtet, 1943 beschlagnahmt und von KZ-Häftlingen aus Dachau in ein Gefängnis für prominente Kriegsgefangene, die für das Deutsche Reich von großem Wert waren, umgebaut. Am 2. Mai 1943 trafen die ersten drei "Gäste" ein - drei der einflussreichsten Männer Frankreichs vor Kriegsausbruch: Ex-Premier Edouard Daladier, General Maurice Gamelin und Gewerkschaftsführer Léon Jouhaux. Es wirke "fast wie eine Ironie der Geschichte", schreibt Harding, dass ausgerechnet Daladier in jenem Schloss interniert wurde, in dem er Jahre zuvor als Hotelgast logierte, um sich über das Wörgler "Experiment einer lokalen Währung" zur informieren. Daladiers Wörgl-Aufenthalt zur Erforschung des Freigeld-Einsatzes war aber nicht wie von Harding datiert 1932, sondern erst 1934.
Mit Ex-Premierminister Paul Reynaud traf am 12. Mai 1943 Daladiers "erbittertster politischer Gegner" ein. Mit ihm kam der Tennis-Star, Geschäftsmann und Politiker der rechtsgerichteten "Feuerkreuzler" Jean Borotra und Jouhaux´s Lebensgefährtin Augusta Bruchlen in Itter an. Am 2. Juli folgte Reynauds Sekretärin Christiane Mabire, am 5. Dezember wurde der ehemalige Armeechef Maxime Weygand mit Gattin interniert. Michel Clemenceau, Major des Auslandsgeheimdienstes der Armee und der Rechts-Politiker und Leiter einer Widerstandsorganisation Francois de La Roque trafen am 9. Jänner 1944 ein und am 13. April 1945 mit Marie-Agnès und Alfred Cailliau die letzten Gefangenen, die den Nazis wegen ihrer Verwandtschaft zum General des freien Frankreich Charles des Gaulles als wertvolle Geiseln angesehen wurden.
Stephen Harding erzählt detailliert die Lebensläufe der Akteure und Gefangenen, hat dazu ausführlich recherchiert und schildert spannend die Ereignisse der letzten Kriegstage und die wachsende Gefahr für die Gefangenen, nachdem der Schlosskommandant Sebastian Wimmer mit seinen SS-Männern angesichts der anrückenden amerikanischen Truppen die Häftlinge ihrem Schicksal überließ und diese fürchteten, von besonders fanatischen umherziehenden SS-Einheiten getötet zu werden.
In Wörgl formierte sich eine lokale Widerstandsgruppe unter der Leitung von Alois Mayr und dessen Stellvertreter Rupert Hagleitner, zu dem im März 1945 der deutsche Wehrmachts-Major Sepp Gangl und seinen Männern stieß. Gangl, im Krieg mehrfach wegen Tapferkeit ausgezeichnet, beschloss, mit seinen Männern nicht am "Endkampf" teilzunehmen und schloss sich dem Widerstand an. Er versorgte die Widerstandskämpfer mit Waffen, Munition und Informationen. Die Regimegegner bereiteten die Verteidigung Wörgls gegen die letzten Angriffe der NS-Kampftruppen vor, und als er von den Gefangenen auf Schloss Itter erfuhr, bereitete Gangl eine heimliche Rettungsaktion vor.
Mit dem Selbstmord eines hochrangingen SS-Mannes am 2. Mai 1945 spitzte sich die Lage auf Schloss Itter zu. Wie brisant, davon berichtete der entflohene Koch des Schlosses dem Wörgler Widerstand. Mit einem weiteren Hilfeschreiben der Gefangenen machte sich tags darauf ein kroatischer Häftling, der als Elektriker am Schloss beschäftigt war, ebenfalls unter großem Risiko mit dem Fahrrad auf den Weg nach Innsbruck, um die heranrückenden alliierten Truppen zu suchen.
Gangl suchte bei den gerade in Kufstein eingetroffenen amerikanischen Truppen Unterstützung für die Befreiung Itters. Und diese einzigartige Allianz von amerikanischen GI´s, deutschen Wehrmachtsoldaten und heimischen Widerstandskämpfern traf dann auch als erstes am Schloss ein, das es gegen sich formierende SS-Einheiten rund um Itter zu verteidigen galt. Die Verteidiger - darunter auch Häftlinge, die sich aus den Waffenvorräten im Schloss selbst bewaffnet hatten - gerieten unter dem Beschuss der SS arg in Bedrängnis. Gangl wurde dabei getötet, andere verletzt. Als die Munition bereits zur Neige ging, traf gerade noch rechtzeitig die Hilfe der amerikanischen Truppen aus Innsbruck ein.
Der Autor recherchierte für sein Buch "Die letzte Schlacht" in den Vereinigten Staaten, in Österreich, Frankreich, Deutschland, Polen und der Schweiz, Literatur- und Quellenhinweise sowie Anmerkungen füllen 40 Seiten. Zu den namentlich erwähnten Widerstandskämpfern aus Wörgl zählen u.a. Alois Mayr, Rupert Hagleitner, Josef Wegscheider, Hans Scheffold, Höckel, Blechschmidt, Dietrich, das Waffenlager des Widerstandes war im Keller des Gasthofes Neue Post untergebracht. Nach dem gefallenen Wehrmachtsoffizier Josef "Sepp" Gangl ist heute Gangl-Straße in Wörgl benannt. Das empfehlenswerte Buch kostet 25,60 Euro und ist u.a. bei der Buchhandlung Zangerl in Wörgl erhältlich.