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Rund um das alte Perchten-Brauchtum entsteht eine neue Jugendkultur
vero / 28.11.2006 13:59
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Wörgl  Brauchtum  Tirol  Unterland  Perchten  Jugendkultur 
Neuer Kult um altes Brauchtum
 
Höllisches Treiben herrscht im Herbst in zahlreichen Kellern und Garagen: Die „Peaschtl-Passn“ bereiten sich auf ihre Saison vor. Kritik am rivalisierenden „Wettrüsten“ kommt mittlerweile aber auch aus den eigenen Reihen.
 
Da feiert ein alter Brauch fröhliche bis unsinnige Urständ und begeistert seit etwa zehn Jahren von Jahr zu Jahr vor allem immer mehr jugendliche Anhänger. Mit traditioneller Brauchtumspflege hat die neue Szene längst nichts mehr am Hut. Hier geht´s viel mehr um die Eroberung von Neuland – da werden Reviere abgesteckt, eigene Gesetze aufgestellt, männliches Imponiergehabe artet in immer schwereren und gruseligeren Kostümierungen aus. Perchtenadjustierungen bringen bis zu 140 kg auf die Waage – wenn´s regnet sogar noch mehr, an ein Fortbewegen ohne Lkw ist nicht mehr zu denken.
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Ernst Schiller von der Wörgler „Söckinger-Pass“ plädiert für eine Rückkehr zu den traditionellen Wurzeln.
Kritik aus den eigenen Perchten-Reihen
Kritik kommt  nicht nur aus jenen Ortschaften, aus denen der althergebrachte Fruchtbarkeitsbrauch stammt. „Es geht immer mehr darum, wer die größere Show aufzieht. Da regiert der Kommerz. Die Bratschengewänder werden immer breiter und schwerer“, kritisiert Ernst Schiller von der Wörgler „Söckinger-Pass“, die 1973 nach dem Vorbild der Angerberger Perchten entstand und viele Trends vorgab. Jetzt ist aber das Limit erreicht. Nachdem heuer alle Masken und Gewänder vom Hochwasser vernichtet wurden, will man bei der Neueinkleidung fürs nächste Jahr zurück zu den Wurzeln: Leichtere Gewänder und traditionelle Tiroler Masken, Feuerwerk wird weiterhin generell abgelehnt. „Der Perchtenlauf soll kein Fasching mit Horrormasken werden“, ist Schillers Anliegen.





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percht5.jpgDie „Hauserwirts-Pass“ bei den Vorbereitungsarbeiten – im Keller werden die Kostüme genäht, die Gewänder vorbereitet.
Anderer Meinung sind viele in den vergangenen Jahren entstandene „Peaschtl-Passn“. „Mir erklärte das die Weiler-Pass einmal so: Wir betreiben einen Brauch, wo er nie ausgeübt wurde – also brauchen wir uns auch nicht an diese Regeln zu halten“, liefert der Wörgler Kürschner Siegfried Sanoll die Erklärung für das Eigenleben in der „Perchten-Szene“. Sanoll spezialisierte sich vor neun Jahren auf die Perchtenausstattung, mit der er mittlerweile über die Hälfte seines Jahresumsatzes erwirtschaftet. Für die handgeschnitzten Holzmasken werden zwischen 600 und 1200 Euro auf den Ladentisch gelegt, fürs komplette Krampuskostüm 1.500 Euro. „Wir sind das einzige Fachgeschäft. Der Großteil läuft auf privater Basis“, weiß Sanoll, der an die 40 Perchten- und Krampusgruppen kennt und die Szene auch kritisch sieht: „Der Trend zu immer mehr Gewicht ist krank.“ Manche verausgaben sich da nicht nur körperlich, sondern auch finanziell. Vor allem Kinder und Jugendliche bremst Sanoll immer wieder ein, von Kinderholzmasken rät er ab.
 
Die Begeisterung kennt aber bei vielen Gruppen fast keine Grenzen. Fast jedes Jahr kommen neue „Passn“ dazu. In und um Wörgl tummeln sich die Fluckinger-, Weiler-, Hauserwirts-, Widdakopf- und Gegsi-Pass, um Nachwuchs braucht man sich keine Sorgen zu machen. Der zehnjährige Marco beispielsweise rückt heuer mit der Hauserwirtspass aus – erstmals steckte er mit drei Jahren im Perchtengewand.
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Marco Berger - seit sieben Jahren als Peaschtl unterwegs!
 
Perchtenlauf als Megaspektakel
Der Perchtenlauf mutiert zum organisatorischen Megaspektakel. Wenn die Hauserwirtspass mit 22 Kostümierten ausrückt, sind ein Kameramann, ein Fotograf, zwei Lkw-Fahrer und zwei Helfer nebst dem Fanclub auf den Beinen, um bei den Auftritten dabei zu sein. Im September beginnen alljährlich die Vorbereitungsarbeiten mit dem Abholen der Mais-Bratschen fürs Nähen der Gewänder in Udine. Die Larven stammen aus Salzburger und Kärntner Schnitzwerkstätten, zum Auftritt gehören bengalische Feuer, Rauch, Zylinderfackeln und Blitze. Das Gruseln wird inszeniert. Mit immer komplizierteren Rhythmen, aufwändigeren Inszenierungen.

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Die Hauserwirts-Pass aus Wörgl (zum Vergrößern anklicken).
 
Einig sind sich die finsteren Gestalten auf Zeit nur bei einigen grundlegenden Regeln: Wenn eine andere Peaschtl-Pass ihren Auftritt hat, hält man Abstand, „tampert“ nicht dazwischen. Um früher häufigen Schlägereien aus dem Weg zu gehen, gibt´s zudem ungeschriebene Gesetze. „Breitenbach, Angerberg und Kundl sind tabu, da wird nicht hingefahren“, erklärt Peter Berger von der Hauserwirtspass. 
„Wir gehen. Und beim Tampern sind die Masken auf dem Gesicht, nicht oben“, erklärt Ernst Schiller von den Söckingern.
Viele gemeinsame Regeln gibt´s nicht – dafür ein starkes Konkurrenzdenken zwischen den Gruppen. Fellteufel ja oder nein? Und was ist mit den Mädels? Da ist Kufstein übrigens die Ausnahme: Dort sind auch Frauen in Krampusgewändern unterwegs. Und was verrät wohl die Tatsache, dass in der Männerdomäne des Perchtenlaufens die Hexe – natürlich dargestellt von einem Mann - Chef der Truppe ist?
Eine einheitliche Organisationsform der Perchtengruppen gibt´s nicht, auch keinen Dachverband. Manche sind als Verein angemeldet, andere nur lose Gruppen. Eine Verbandsgründung schätzt Siegfried Sanoll, Kenner der Szene, aufgrund der großen Rivalitäten auch schwierig ein. Einige Tipps hat er noch für alle Teilnehmer von Nikolaus- und Perchtenumzügen parat: Die „Passn“ sollten Feuerlöscher mitnehmen, die Zuschauer Abstand halten. Gerade die großen Hörner können für auf den Schultern sitzende Kinder zur Gefahr werden. Gewalt gegen Zuschauer sieht er nicht als Problem – mehr das der Verschmutzung: „Mit Ruß anschwärzen, das gehört zum Fruchtbarkeitsbrauch“, so Sanoll. Also – dunkle Kleidung anziehen und das höllische Treiben als Spektakel genießen!