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Buchpräsentation "Tunnelblick - der Brennerbasistunnel" am 17. April 2008 in Wörgl
vero / 21.04.2008 18:44
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Wörgl  Verkehr  Tirol  Transit  Brennerbasistunnel  BBT  Gütertransport 

Fakten, Argumente und Meinungen dies- und jenseits des Brenners packte die Südtiroler Journalistin Jutta Kußtatscher in ihr 2007 im Studienverlag erschienenes Buch "Tunnelblick - der Brennerbasistunnel". Bei der Buchvorstellung in Wörgl gab sie einen Überblick übers Projekt und widmete sich vor allem jenen Fragen, die auf ihrer Suche nach Fakten unbeantwortet blieben.

"Der Brennerbasistunnel ist 56 km lang, reicht von Innsbruck bis Franzensfeste und bildet das Mittelstück der von des von der EU gewünschten Korridors 1 von Berlin bis Palermo", leitete die Journalistin ihre Ausführungen ein. Das Bahnprojekt ist Bestandteil der Transeuropean Networks, in deren Rahmen an die 30 Projekte in der Schublade liegen, dem Korridor 1 aber Priorität zukomme. Dieser sieht den viergleisigen Ausbau der Bahnstrecke München-Verona für Güter- und Personentransport mit dem Herzstück BBT vor. Der Streckenabschnitt von München bis Innsbruck umfasst 460 km, jener von Franzensfeste bis Verona 240 km.

Kußtatscher sieht die Sinnhaftigkeit des BBT durch fehlende Zulaufstrecken in Deutschland und Italien für in Frage gestellt. In Österreich wird die Bahnlinie im Unterinntal derzeit bereits vierspurig ausgebaut.  "Der Zulauf in Bayern ist derzeit zweigleisig und es gibt keine Signale, dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird. Ähnlich wenig wie in Bayern gibt´s dazu südlich des Brenners. Für die Strecken Franzensfeste bis Verona wurden lediglich für die Teiletappen Umfahrung Bozen und Umfahrung Trient Vorprojekte in Form von Ideenschmieden vorgelegt. Etwas Konkretes gibt es nicht." Kußtatscher geht zudem davon aus, dass  bei den Bahnbaukosten nicht nur der BBT selbst, sondern auch die Zulaufstrecke südlich des Brenners  mit 8 Milliarden Euro  viel zu niedrig kalkuliert wurde: "Auch hier müssten weite Strecken untertunnelt werden."

BBT - wieviel Euro schluckt das schwarze Loch?

"Als das Projekt erstmals auftauchte, sprach man 2004 von 3,5 Milliarden Euro Baukosten. 2006 waren es bereits 5 Milliarden, 2007 schon 6 Milliarden Euro. Und die letzte Zahl, die ich von Karel van Miert gehört habe, sind jetzt 10 Milliarden Euro - wobei sich diese aus den 6 Milliarden Baukosten plus rund 3 Milliarden Euro Finanzierungskosten zusammensetzen könnten", so Kußtatscher. Damit sei aber kostenmäßig noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht: "Ein Wiener Tunnelbau-Experte, der auch als Gutachter fürs Ministerium tätig ist, beziffert die Baukosten mit 15 Milliarden Euro als Untergrenze und nennt bereits 25 Milliarden als realistisch."

Die Finanzierung ist lediglich für den Bau des 430 Millionen Euro teuren Sondierungsstollens gesichert: Die Hälfte zahlt die EU, ein Achtel Tirol (76 Mio. Euro), ein Achtel der Staat Österreich und  ein Viertel der Kosten soll Italien aufbringen. "Mit dem Bau wurde Ende November 2007 auf italienischer Seite begonnen. Aufgrund der dabei gewonnenen geologischen und hydrologischen Erkenntnisse kann dann erst eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Mit dem Vortrieb der beiden Hauptstollen, die jeweils einen Durchmesser von 12 Metern aufweisen und eingleisig ausgebaut werden, könnte 2010 begonnen werden." Die Finanzierung fürs Hauptprojekt stehe noch in den Sternen, so Kußtatscher.

Zu den Unsicherheiten des Projekte zählt nicht nur die Geologie des Hauptalpenkamms, sondern auch das geplante Betriebskonzept: "Für den Betrieb des BBT ist Mischverkehr aus Güter- und Personenzügen vorgesehen. Genau das gilt aber als Problem - bis heute wird ein Konzept aus langsamem Güterverkehr und Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr propagiert. Die Effizienz dieser Strecke hängt am Betriebskonzept", so Kußtatscher.

Zu ihren Kritikpunkten zählt, dass  der Planung des BBT kein Netzwerk-Konzept erstellt wurde, das die Zubringerstrecken aus den Ballungsräumen im Süden und Norden beinhaltet : "So etwas müsste man mitdenken." Auch die bereits in Bau befindlichen Schweizer Tunnelprojekte, die ebenfalls für den Nord-Süd-Transit errichtet werden. Im Gegensatz zum BBT sei die Finanzierung in der Schweiz durch die ständig eingehende leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe gesichert, die 75 % der Tunnelkosten finanziere. Ein Viertel kommt aus Steuergeldern, was ebenso Finanzierungskosten spare. Für den BBT sei eine Sonderfinanzierungsform - also eine Darlehensaufnahme mit eben dazugehörigen Finanzierungskosten vorgesehen. Das Problem bei den Schweizer Projekte sei allerdings, dass sie an der Staatsgrenze enden, hier auch die Zulaufstrecken fehlen.

Welche Entlastung bringt der BBT?

"2007 wurden 42 Millionen Tonnen Güter am Brenner registiert, wobei davon 10 % auf der Schiene und 90 % mit 2,2 MIllionen Lkw transportiert wurden", so Kußtatscher. Laut BBT-Studie würde der Verkehr am Brenner bis 2020 auf 67 Millionen Tonnen anwachsen. Der Tunnel könnte also nur den Verkehrszuwachs ab heute auffangen und würde keine Entlastung der Anrainer vom jetzigen Zustand bedeuten.

Die heute für Tirol gesundheitsschädliche Verkehrspolitik beruht auf der EU-Wegekostenrichtlinie:  "Die heutige Wegekostenrichtlinie macht den Transport auf der Straße billiger als die Benützung des Tunnels. Dort müssten die Fahrten derart subventioniert werden, dass es sinnvoller wäre, dass gar kein Zug fährt!" machte LA Georg Willi auf die paradoxe Situation aufmerksam. Die Maxime des "freien Warenverkehrs" in der EU erleichtert es keinesfalls,  die Güter von der Straße auf die Schiene zu zwingen.  Derzeit ist ein Drittel des Transitverkehrs über den Brenner Umwegverkehr, wobei hier eine zusätzliche Fahrzeit  von bis zu viereinhalb Stunden in Kauf genommen wird. Die Schweiz hat dem Lkw-Transit längst mit einer jährlichen Beschränkung von 690.000 Lkw auf Schweizer Straßen einen Riegel vorgeschoben.

Warum nicht die Häfen im Süden ausbauen?

Ein gesamt-europäisches Verkehrskonzept forderte Wörgls Grün-GR und Landtags-Kandidatin Evelyn Huber: "Die Güterverkehrsströme von Übersee gehen alle zu den Häfen im Norden und werden dann auf die Straße verlagert, um wieder in den Süden gebracht zu werden. Das sind sinnlose Fahrten - warum baut man nicht die Häfen im Süden aus?"

Das Nadelöhr Brennerpass könnte allerdings der europäischen Verkehrspolitik noch anderweitig einen Strich durch die Rechnung machen: Die Autobahn auf Südtiroler Seite führt weite Strecken über Brücken, deren Zustand bereits im Visier der Techniker ist. Auch die Belastung für die Europabrücke auf Nordtiroler Seite hat ihre Grenzen. So forderte eine Zuhörerin eine Tonnage-Beschränkung für die Europabrücke als Transit-Bremse. "Das Thema war schon im Landtag, aber dazu ist der technische Zustand der Brücke noch zu gut. Im Landhaus wurde auch schon ein Dosiersystem für Lkw überlegt. Das scheitert aber an den dafür benötigten, riesigen Auffangparkplätzen", so Willi. Der Vorschlag der Grünen greift die von der Schweiz entwickelte Idee der Alpentransitbörse auf: "Diese geht davon aus, die Transitfahrten im Alpenraum zu deckeln - am Brenner mit einer Million Lkw jährlich, also der Hälfte vom heutigen Lkw-Transit. Diese Zertifikate können dann gehandelt werden. Im Grunde hatten wir das schon einmal mit dem Ökopunkte-System. Jetzt müssten alle Alpenstaaten sich zusammentun, um das in Brüssel durchzusetzen."

Weitere Infos zum Buch "Tunnelblick - der Brennerbasistunnel" gibt´s hier...