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Gedenktafel-Enthüllung am Friedhof Süd am 2. November 2009 |
Im strömenden Regen versammelten sich am 2. November 2009 im Wörgler Friedhof Süd die TeilnehmerInnen der Gedenkfeier für die Euthanasie-Opfer der NS-Zeit, darunter Pfarrer Theo Mairhofer und Diakon Toni Angerer, Vizebgm. Maria Steiner, die Gemeinderäte Emil Dander, Ekkehard Wieser, Alexander Atzl und Evelyn Huber.
Fritz Seelig von den Wörgler Grünen sprach zur Enthüllung der Gedenktafel. "Wir wollen der Menschen aus Wörgl und Umgebung gedenken, die im Verlauf des sogenannten "Euthanasie-Programmes" des Nationalsozialismus ermordet wurden, wir wollen aber auch daran erinnern, dass es nie wieder so weit kommen darf." Die Gedenktafel wird als Anknüpfungspunkt gesehen, sich mit der Geschichte der Opfer auseinanderzusetzen. "Wieviel Gewissen und wieviel Menschlichkeit mussten verschwinden, um von politischer Propaganda zu offener Gewalt, von Ausgrenzung über Unterdrückung zur Vernichtung von Menschen zu verkommen? - Welche Entwicklung ermöglichte es, dass unsere Mitmenschen, Kranke aus Hall, Kinder aus Mariathal abgeholt, geschunden und ermordet werden konnten?"
"Erinnern kann auch unangenehm sein, verdrängen ist meist einfacher", so Seelig. "Wir Österreicher sind zu lange damit durchgekommen, uns als erstes Opfer Nazideutschlands darzustellen. Das war sehr bequem, hat aber sicher nicht dazu beigetragen, besonders widerstandsfähig gegen Chauvinismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu sein. Soll ganz langsam von Unschuldsvermutung zu Generalverdacht gewechselt werden, Überwachung die Zivilcourage ersetzen, wird Migration nicht als Chance und Asyl nicht als Menschenrecht, sondern beides zusammen nur mehr als 'Ausländerproblem' wahrgenommen, brauchen wir uns noch nciht zurückzulehnen, es gibt viel zu tun, wollen wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Denn ist die Distanz zu den Mitmenschen einmal so groß geworden, dass man sie nciht mehr als solche sehen will, ist der Weg frei für Hass und Gewalt. Gewalt bringt aber vor allem eines hervor: Opfer."
Seelig plädierte dafür, die Erinnerung an NS-Verbrechen wach zu halten: "Gelegentlich hört man - es muass amoi a Rua sein! Erinnerung hat aber nichts mit Schuldzuweisung zu tun. Wer keine persönliche Schuld auf sich geladen hat, braucht auch nichts zu fürchten. Es war und ist noch immer nicht leicht, sich dieses Themas anzunehmen. Es gilt, dem Verdrängen und Vergessen eine historisch korrekte Aufarbeitung entgegenzuhalten, sich für eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit einzusetzen."
Die historischen Hintergründe erläuterte anschließend Oliver Seifert. Er berichtete von Opferzahlen - 250.000 bis 300.000 Menschen wurden Opfer des NS-Euthanasie-Programmes - ebenso wie von Widerstand gegen den Abtransport von kranken und behinderten Menschen aus den Reihen von Angehörigen, kommunistischen Gruppen aber auch Geistlichen. Auch nach offizieller Beendigung des Euthanasie-Programmes 1941 wurde weiter gemordet: "Durch Medikamentenüberdosierungen ebenso wie durch Verhungern lassen", so Seifert.
Auf dem Gebiet des heutigen Tirol waren es nachgewiesene 488 Opfer, im "Gau Tirol-Vorarlberg" gesamt 707, wovon 360 von Hall und 61 von Mariatal aus abtransportiert und u.a. in Hartheim ermordet wurden. Weitere 300-400 Menschen fanden den Tod durch Medikamentenüberdosis oder "verhungern lassen" - nur in Hall.
Die vier auf der Gedenktafel erwähnten Opfer stehen stellvertretend für viele andere - weitere sechs rechechierte Oliver Seifert aus Wörgl. Auch er sieht das Denkmal als Anstoß, sich mit der Geschichte der Opfer und ihren Lebensumständen auseinanderzusetzen.