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Vortrag von Christian Felber am 25.2.2010 in Wörgl: Neue Werte für die Wirtschaft

Auf Einladung der Lernwerkstatt Zauberwinkl in Zusammenarbeit mit dem Unterguggenberger Institut Wörgl und Südwind Tirol referierte am 25. Februar 2010 Christian Felber im Wörgler Jugendfreiraum ZONE über "Neue Werte in der Wirtschaft - Kooperation statt Konkurrenz" und wurde dazu von Helmut Mayr, Obmann der Lernwerkstatt Zauberwinkl begrüßt (Bild links). Christian Felber präsentierte eine Reihe von Vorschlägen, darunter die "Demokratische Bank" (Bild Mitte) und zeigte auf, dass der systemische Umbau nicht nur die Finanzbranche sondern tiefgreifend im strukturellen Aufbau unserer Gesellschaft verankert werden müsste.

Christian Felber: "Neue Werte für die Wirtschaft"

Zum Einstieg ins Thema analysierte Christian Felber, von Beruf freier Publizist und derzeit an der Wirtschaftsuni in Wien tätig, die Finanzkrise und zeigte die Wirkungsweise unseres Finanz-Kapitalismus auf, die bereits 1929 zur Weltwirtschaftskrise und in der Folge zum 2. Weltkrieg geführt hatte. Auf die systemischen Krisenursachen hatte die Nachkriegs-Weltfinanzordnung, die in Bretton Woods 1944 vereinbart wurde, mit einer starken Regulierung der Finanzmärkte und festen Wechselkursen reagiert. Zum Wiederaufbau Europas und zur Stabilisierung wurden die Weltbank und der Internationale Währungsfonds geschaffen. Die Reglementierung bescherte dem Kapitalismus 30 Jahre lang eine krisenfreie Phase, die Massenwohlstand geschaffen hat. Das Bretton-Woods-System zerbrach schließlich an einem Konstruktionsfehler: Die Weltwährung war nicht in Form einer internationalen Verrechnungseinheit gestaltet worden, sondern diese Rolle nahm der US-Dollar ein.

Bretton Woods 1944: Ein Konstruktionsfehler mit Folgen

"Eine Nationalwährung kann nicht Weltleitwährung sein. Entweder man verfolgt nationale, oder internationale Interessen", erklärte Felber und schilderte die Folgen. Für den Vietnamkrieg warf die USA die Notenpresse an. Mit der Aufblähung der Geldmenge ging 1973 die Golddeckung des Dollars verloren, worauf die fixen Wechselkurse freigegeben und damit der Startschuss für die Währungsspekulation gegeben wurde.

Damit wurde das Ende der sozialen Marktwirtschaft eingeläutet, die mit der "neoliberalen Umregulierung" ausgehend von England und den USA in den 1980er Jahren zum jetzigen Casino-Kapitalismus umgestaltet wurde. Zählten in der Nachkriegsordnung noch Gemeinwohlinteressen, so wurden diese zugunsten des Gewinnstrebens von Privatinteressen gezielt durch entsprechende Gesetzesänderungen ausgehebelt: 1994 wurde der Kapitalverkehr liberalisiert, 1995 das WTO Finanzdienstleistungsabkommen in Kraft gesetzt, 1999 der EU-Finanzbinnenmarkt geschaffen. Österreich startet im Jahr 2000 eine Kapitaloffensive und 2004 setzte die Finanz-Industrie die Zulassung hochriskanter Hedgefonds durch.

Der neoliberale Siegeszug führte in die Krise

Während die von August von Hayek und seinen "Chikago Boys" begründete Neoliberale Denkschule nach dem Muster "schlechter Staat - guter Markt" die Devise "Wettbewerb ist die effizienteste Methode" ausrief und plakativ "weniger Staat" forderte, arbeiteten die Lobbyisten der Finanzindustrie gezielt auf jene Gesetzesänderungen hin, die ihre Ziele nach internationaler Gewinnmaximierung auf Kosten der Staaten voranbrachten.

Die Auswirkungen zeigten sich ab den 1990er Jahren in Form von immer öfter auftretenden Finanzkrisen nach platzenden Spekulationsblasen. Die Indonesien-Krise 1997 führte zur Gründung des globalisierungskritischen Netzwerkes ATTAC, das eine Regulierung des Finanzmarktes einfordert und mit Vorschlägen wie der Besteuerung von Finanztransaktionen zunehmend Gehör in der Politik findet: "Das EU-Parlament hat die Umsetzung der Tobin-Steuer 2009 beschlossen - nur leider ist das EU-Parlament kein echtes Parlament", bedauert Felber.

Ineffiziente Finanzindustrie statt funktionierender Banken

Er sieht in der neoliberalen Umregulierung auch die Ursache der aktuellen, tiefgreifenden Wirtschaftskrise: "Dadurch sind der Finanzmarkt und die Banken ineffizient geworden." Waren die Banken in der Zeit des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg noch gemeinwohlorientiert, so haben sich die Ziele durch den neoliberalen Umbau entscheidend geändert. Und damit auch die Funktionsweise der Finanzwirtschaft. Mit dem Ziel globaler Wettbewerbsfähigkeit wurden Großbanken geschaffen. Dieses "Heranzüchten systemrelevanter Banken" sieht Felber als gravierenden Strategiefehler: "Damit wurde der freie Markt abgeschafft."

Die Banken wurden zu groß und zu mächtig und sie erfüllen ihre Kernfunktion - die Versorgung der Wirtschaft mit Geld - nicht mehr. "Die Kredite sind heute teuer und die Banken verlangen wesentlich mehr Sicherheiten, obwohl soviel Geld wie noch nie da ist", schildert Felber die Auswirkung des neoliberalen Kurses, der die Banken weg von der kollektiven Daseinsvorsorge hin zur spekulationsbasierten Gewinnmaximierung trieben: "Die Banken locken in die kollektive Gier."

Mit der Folge, dass auch mit Rohstoffpreisen spekuliert wird und das zur starken Zunahme des Hungers geführt hat: "Während vor 10 Jahren noch 820 Millionen Menschen hungerten, sind es heute bereits mehr als eine Milliarde - Tendenz stark steigend."

Derivate - finanzielle Massenvernichtungswaffen

Zu den gefährlichsten neuen "Finanzprodukten" zählen Derivate: "Das sind Wetten auf Wertentwicklungen. Diese bringen viel mehr Gewinn als das traditionelle Bankgeschäft." Wie verheerend das Potenzial dieser "finanziellen Massenvernichtungswaffen" mittlerweile ist, zeigt ein Blick in die Statistik des Jahres 2008: Machte der Welthandel in diesem Jahr 14 Billionen US-Dollar und das Welt-BIP 55 Billionen US-Dollar aus, so wurden von der Finanzindustrie im selben Jahr bereits Derivate in der Höhe von 683 Billionen US-Dollar mit einem an den Börsen gehandelten Volumen von 2.244 Billionen US-Dollar geschaffen.

Ineffiziente, nicht mehr durchschaubare Finanzmärkte sind das Resultat der neoliberalen Politik. "Wir wissen heute, was schiefgelaufen ist. Das Problem ist nur - warum unternimmt keiner was dagegen", so Felber, der darauf auch gleich die Antwort gab. Das "Drehtürgeschäft" zwischen Regierungspolitikern und Großbanken verhindert eine wirkungsvolle Neuordnung: "Es herrscht eine viel zu große Nähe zwischen Spitzenpolitikern und der Großkapital-Finanzindustrie." Großbanken locken Polit-Pensionäre mit lukrativen Manager-Jobs und immer wieder steigen Finanzakteure in die Politik ein. 

Dazu beeinflussen Lobbyisten die Politik - nur die Wallstreet gab von 1998 bis 2008 rund 5,1 Milliarden Dollar für Lobbying aus. Christian Felber zitierte dazu den Ex-IWF-Chefökonom Simon Johnson: "Alle Finanzkrisen sind dadurch entstanden, dass eine wirtschaftliche Elite zu viel Macht bekam."

Wachsende Ungleichheit wirkt sich negativ aus

Die Geld- und Vermögenskonzentration, die der neoliberale Finanzkapitalismus geschaffen hat, gefährdet mittlerweile die Demokratie. "Dabei haben die Menschen keine Ahnung, wie groß die Ungleichheiten schon sind", so Felber, der als Beispiel dazu die Entwicklung der Managergehälter aufzeigte: Während in Österreich Manager durchschnittlich das 600fache des Mindestlohnes verdienen, kassieren ihre deutschen Kollegen bereits das 5.000fache ab. Industrie-Manager in den USA streichen das 65.000fache ein und wer glaubt, das könnte nicht mehr getopt werden, irrt: "US-Hedgefonds-Manager verdienen das 360.000fache!" Und das, obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für eine Beschränkung der Gehälter ausspricht.

Weshalb davon so wenig in der Zeitung steht? "Die Massenmedien vertreten die Meinung der Eliten", stellte Felber fest und weist auf die Auswirkungen zunehmender Ungleichheit in der Gesellschaft hin: "Menschen in Gesellschaften mit wachsender Ungleichheit legen kürzer, sind öfter krank. Mehr Kriminalität und Gewalt sind ebenso die Folge wie rapide abnehmendes Vertrauen."

Die Vermögens- und Machtkonzentration bei Finanzakteuren hat ein Ausmaß erreicht, dass Einzelne ganze Staaten unter Druck setzen können. Um zurück zu demokratischen Verhältnissen zu gelangen, schlägt Felber die Zerschlagung systemrelevanter Banken ebenso vor wie die gesetzliche Begrenzung von Managergehältern, Privatvermögen und Unternehmensgrößen.

Weltwährung statt Dollar-Leitwährung

Ein weiterer Vorschlag zur Gesundung des Weltwirtschaftsystems ist die Einführung einer Warenkorb-gedeckten Weltleitwährung statt des US-Dollars, die u.a. schon John Maynard Keynes vorgeschlagen vor Bretton Woods vorgeschlagen hatte. Die Wechselkurse von Nationalwährungen können dann zur Weltverrechnungseinheit festgelegt werden. Unterstützt wird dieser Lösungsvorschlag mittlerweile von der chinesischen Zentralbank ebenso wie von der UNO, die allerdings von den G20 ausgehebelt wird. "Die G20 berühren die Währungsfrage nicht und klammern die Handels- und Verteilungsfrage auch aus. 20 selbst ernannte Staaten maßen sich an, die Regeln für 172 Staaten zu machen. Das ist eine Verachtung der Demokratie und der UNO", so Felber.

Neue Werte für die Wirtschaft: Demokratische Bank & Gemeinwohl-Ökonomie

Neben den zahlreichen international erhobenen ATTAC-Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte will Christian Felber mit der Demokratischen Bank und einer Umpolung der Wirtschaft hin zur Gemeinwohlökonomie nachhaltig die systemischen Krisenursachen ausschalten.

Im jetzigen Wirtschaftsystem werden durch das Konkurrenz-Prinzip Werte wie Egoismus, Gewinnstreben, Gier, Geiz, Rücksichtslosigkeit und Neid forciert und durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen belohnt. Das steht in krassem Widerspruch zu gelingenden Beziehungen und zerstört das Vertrauen, das die Gesellschaft zusammenhält und die Basis für Gemeinschaften bildet.

"Werte sind das Fundament, nach dem Ziele ausgerichtet werden. Die Menschenwürde ist der höchste Wert. Sie ist an erster Stelle in der Verfassung verankert. Menschenwürde ist die Voraussetzung für Freiheit. Das Übervorteilen anderer, das unser jetziges Wirtschaftssystem praktiziert, zerstört systemisch die Menschenwürde und das Vertrauen. Nur Ökonomen verstehen das nicht!", erklärte Felber.

Eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaft hin zur Kooperation würde dem menschlichen Wesen auch besser entsprechen als das jetzige Konkurrenz-, ja "Kontrakurrenz"-System. "Die effizienteste Methode, Menschen zu motivieren, ist nicht die Konkurrenz - die auf Angst aufbaut, sondern die Kooperation. Eine sinnvolle, autonome Tätigkeit motiviert wesentlich stärker als der Anreiz, besser als andere sein zu wollen. Das sagen heute 9 von 10 Studien und die neuesten Erkenntnisse der Neurobiologie", macht Felber deutlich.

Um den "Leitstern" in der Wirtschaft vom extremen Wettbewerbsdenken der Finanzgewinn-Maximierung hin zur Zusammenarbeit umzupolen, schlägt Felber vor, der Wirtschaft neue Ziele vorzugeben. Wie das Gemeinwohl am besten gefördert werden kann, sollen Wirtschaftskonvente ausarbeiten, die Unternehmensverfassungen erstellen. Als Instrumente dazu soll die Gemeinwohlbilanz dienen, die soziale Verantwortung, Solidarität, ökologisches und demokratischen Wirtschaften misst. Diese Bilanz solle durch Anreizinstrumente wie Steuern, Kreditvergaberichtlinien oder Bevorzugung im öffentlichen Einkauf belohnt.

Da der Geldversorgung der Wirtschaft eine besondere Bedeutung zukommt, sollen die Banken wieder unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Das könne einerseits durch die Gründung einer Demokratischen Bank erfolgen, andererseits durch Umwandlung verstaatlichter Banken. Die Aufgabe des demokratischen Bankwesens, das nicht gewinnorientiert ist und Kredite nach ökosozialen Kriterien vergibt, wäre das klassische Bankgeschäft: günstige Kredite, Gratis-Girokonto und Sicherung der Spareinlagen. Was die Gründung einer eigenen Genossenschaftsbank angeht, so wird dieser Vorschlag im April 2010 von der ATTAC-Mitgliederversammlung behandelt und dann die Umsetzung weiter verfolgt. Unterdessen ist Christian Felber schon auf der Suche nach Menschen, die sich mit 1000 Euro am Eigenkapital der Demokratischen Bank beteiligen würden.

Weitere Infos zu Christian Felber und seine Publikationen finden Sie auf: http://www.christian-felber.at/

Noch ein Veranstaltungstipp: Hintergründe über unser Geldsystem sowie den praktischen Einsatz von Komplementärwährungen dokumentiert der 98-minütige Film "Der Schein trügt", der am Dienstag, 16. März 2010 ab 19 Uhr im Tagungshaus Wörgl gezeigt wird - weitere Infos hier...