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Kinderschutzzentrum Wörgl bangt um weitere Finanzierung

  "Von den 861 Beratungen 2009 betrafen 479 Beratungen  und damit 55,62 % den Verdacht auf sexuellen Missbrauch. 221 Beratungen - das entspricht rund einem Viertel - bezogen sich auf physische Gewalt gegen Kinder. Betroffen waren davon 298 Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren, wobei davon 59 Buben und 239 Mädchen waren ", zitierte am 17. Juni 2010 Mag.a Karin Hüttemann aus der Vorjahrsstatistik, deren Trend sich verschärft heuer fortsetzt. Bis zum 31. März 2010 betreuten die beiden Mitarbeiterinnen in Wörgl, die für die Bezirke Kufstein und Kitzbühel zuständig sind, 64 KlientInnen. 

Kindesmissbrauch und Gewalt in der Familie kommt in allen gesellschaftlichen Schichten in gleichem Maße vor. Das Vorurteil, davon seien hauptsächlich sozial auffällige Familien betroffen, stimme nicht: "In solchen Fällen kommt man sogar eher drauf als in sehr isoliert lebenden, abgeschottenen Familien mit wenig Außenkontakten." Eines treffe aber auf alle Fälle zu: "Sexueller Missbrauch an Kindern ist Seelenmord. Den Kindern fehlt zwar oft die Sprache dafür, aber sie spüren genau, dass das, was mit ihnen da gemacht wird, nicht richtig ist."

Dass die Anzahl der Beratungen stark angestiegen ist, sehen die Mitarbeiterinnen allerdings nicht als Beweis dafür, dass tatsächlich so viel mehr passiert als früher: "Durch Präventionsprogramme und öffentliche Thematisierung sowie die Sensibilisierung von Menschen, die beruflich mit Kindern zu tun haben, werden Beratungen öfter in Anspruch genommen", erklärt die Psychotherapeutin Mag.a Anna Lintner, die seit Gründung des Wörgler Kinderschutzzentrums vor 9 Jahren hier arbeitet. Auffällig ist, dass die Anzahl der Missbrauchsfälle bei Buben steigt. Die Kinderschutzeinrichtung geht allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer beim innerfamiliären sexuellen Missbrauch von Kindern immer noch sehr hoch ist.

 

Wer kommt in die Beratungseinrichtung?

Der Kinderschutz Wörgl ist eine Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche, die sexuelle, körperliche und seelische Gewalt erlebt haben. Auch bei Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen ist die Beratungseinrichtung Ansprechpartner. Es kommen Kinder und Jugendliche ebenso wie Eltern, Freunde, Bekannte oder MitarbeiterInnen aus Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.

Die wenigsten KlientInnen kommen aus eigenem Antrieb in die Beratungseinrichtung. 2009 wurden 133 Fälle von den Jugendämtern zugewiesen, 6 von Ärzten, 1 vom Krankenhaus, 93 von sonstigen professionellen Einrichtungen (Kindergärten, Schulen, etc.) und nur 25 kamen direkt. "Die Beratungen sind kostenlos, anonym und vertraulich", teilt Mag.a Hüttemann mit.

Die Arbeit erfordert viel Fingerspitzengefühl. "An erster Stelle steht der Schutz des Kindes - das heißt, dass alles unternommen wird, um die Gefahr fernzuhalten", erklärt Mag.a Hüttemann. Gerade beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist es schwierig: "Kinder haben dafür keine Sprache. Diese Sprachlosigkeit ist eine Riesenhürde. Erst wenn die Opfer benennen können, was passiert ist, kann gehandelt werden", weiß Mag.a Lintner. Handeln heißt dann in der Vernetzung mit Jugendämtern aber auch Polizei und Staatsanwaltschaft weitere Schritte zu setzen. Wieviele Verdachtsfälle dann tatsächlich strafrechtlich verfolgt werden, darüber liegen den Mitarbeiterinnen keine statistischen Zahlen vor.

"Wir würden aufgrund der steigenden Beratungsnachfrage jetzt schon 10 Stunden pro Woche mehr benötigen. Soziallandesrat Switak hat allerdings schon Budgetkürzungen für nächstes Jahr angekündigt. Wir werden noch ein Gespräch führen und hoffen, dass hier nicht reflexartig beim Opferschutz für Kinder gespart wird", berichtet Mag.a Hüttemann.

Zur Arbeit des Kinderschutzzentrums zählt auch die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung bei Gericht, die immer häufiger angefordert wird: "Es geht darum, das Kind nach einer Anzeige zu schützen. Sie können polizeiliche Aussagen hier im Kinderschutzzentrum machen und müssen nicht auf die Polizeiwache. Wenn Kinder vor Gericht aussagen müssen, begleiten wir sie. Solche Zeugenaussagen sind für die Kinder ein Riesenstress," berichtet die Psychotherapeutin Mag.a Renate Ascher, die nun seit 3 Jahren in Wörgl arbeitet. Immer häufiger würde Prozessbegleitung auch bei nachfolgenden zivilen Schadenersatzprozessen angefordert.

"Wir müssen jetzt schon Kinder weitervermitteln", erklärt Hüttemann. Dabei würden noch längst nicht alle Kinder, die psychotherapeutische Hilfe nach Gewalterlebnissen benötigen, behandelt: "2009 waren in Tirol 947 Kinder von Wegweisungen betroffen. Kinder, die Gewalt in der eigenen Familie erleben, sind in Gefahr, später selbst Täter zu werden. Für diese Kinder gibt es keine Einrichtung, die sich um sie kümmert", so Hüttemann. Die Tiroler Kinderschutzzentren wollen die Öffentlichkeit für die Thematik sensibilisieren und schließen sich jetzt österreichweit mit anderen Einrichtungen zu einem Dachverband zusammen. Hüttemann: "Morgen findet das erste Treffen zur Dachverbandsgründung statt.

Kinderschutz durch Vorbeugung

Nicht erst handeln, wenn etwas passiert ist, sondern Kinder stärken lautet ein weiteres Anliegen des Kinderschutzzentrums, für das die Mitarbeiterinnen direkt in Kinderbetreuungseinrichtungen gehen und auch Vorträge für Eltern halten. "Im Spiel lässt sich mit den Kindern viel erarbeiten. Wir vermitteln ihnen, dass ihr Körper ihnen gehört, dass sie ihn benennen können und besprechen mit ihnen, was gute und was schlechte Geheimnisse sind. Es geht darum, den Kindern Selbstvertrauen zu geben", erklärt Mag.a Lintner.

Sensibilisieren für Kinderschutz: Renate Ascher und Anne Lintner, Mitarbeiterinnen im Kinderschutzzentrum Wörgl, Bürgermeisterin Hedi Wechner und Karin Hüttemann, Geschäftsführerin der Tiroler Kinderschutzzentren.

Erschüttert von den statistischen Zahlen zeigte sich Wörgls Bürgermeisterin Hedi Wechner, die dem Kinderschutzzentrum weiterhin Unterstützung zusagte und anbot, notfalls auch bei der Sponsorensuche behilflich zu sein. Wechner betonte die Wichtigkeit der geleisteten Arbeit und unterstreicht die Forderung nach Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel durch die öffentliche Hand. Bisher wird die Einrichtung durch das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend sowie für Justiz, vom Amt der Tiroler Landesregierung und von der Stadt Wörgl unterstützt.

Weitere Infos zu den Kinderschutzzentren  gibt´s auf der Website www.kinderschutz-tirol.at. Die Wörgler Beratungseinrichtung befindet sich im Fussl-Haus in der Bahnhofstraße 53 und ist montags von 9-12 und donnerstags von 9-12 und von 13-16 Uhr geöffnet, telefonische Anmeldung unter 05332-72148.