Grün-GR Mag. Alexander Atzl (Bild links) begrüßte zum Info- und Diskussionsabend "Wohnen im Alter" im Tagungshaus Wörgl u.a. Nationalrätin Carmen Gartelgruber, Vizebgm. und Sozialreferentin Evelin Treichl.
Die Stadt Wörgl steht vor der Herausforderung, das 2003 mit 120 Betten eröffnete Wörgler Seniorenheim zu erweitern. Der Sozialplanung des Landes zufolge wird ein Zubau mit 30 Betten empfohlen. „Mit dem heutigen Abend wollen wir der eigens gegründeten Arbeitsgruppe Bettenausbau eine Entscheidungshilfe bieten und alternative Pflegemodelle vorstellen“, eröffnete GR Alexander Atzl den Infoabend, den die Grünen in Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Tirol und dem Tagungshaus Wörgl organisierten. Länger daheim leben senke Kosten für die öffentliche Hand, benötige aber Ausbildung und Unterstützung der Pflegenden ebenso wie neue Wohnformen und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.
„Es geht nicht um Betten“, widersprach der Sozialwissenschafter Dr. Dipl.-Phys. Heinz Blaumeiser gleich eingangs. Wohnen im behinderten Alter finde zum Großteil im Bett statt – egal, ob diese in Heimen oder in privaten Wohnungen stehen und rät dazu, dass Gemeinden statt dem Neubau von Heimplätzen vermehrt auf andere Betreuungsformen setzen sollten. Die neue Rolle der Stadt im „Wohlfahrtsmix“ sieht er nicht in der Finanzierung von Heimplätzen, sondern in der Begleitung von kleineren Wohngruppen und solidarischen Lösungen in Kooperation mit Wohnbauträgern und Nachbarschaftshilfe mit Förderung des Ehrenamtes.
Blaumeiser wies auf systembedingte Mängel in der Prognoseplanung hin, die zwar die demografische Bevölkerungsentwicklung hinsichtlich der Alterspyramide berücksichtige, andere wichtige Faktoren aber nicht sehe und deshalb zu falschen Ergebnissen führen könne. Bestes Beispiel sei hier der Wegfall des Angehörigenregresses, der zu einer starken Steigerung der Nachfrage nach Heimplätzen geführt habe.
Wörgl habe hier drei Besonderheiten aufzuweisen: „Wörgl ist unter 70 österreichischen Städten die zweitjüngste, was das Alter der Bewohner betrifft, und hat einen untypisch geringen Anteil an Senioren. Über 20 % der Wörgler Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund – diese Menschen sind jetzt noch nicht im Heim, werden aber kommen – da wird kultursensible Altepflege ein Thema werden.“
Der größere Teil der Pflege finde immer noch zu Hause statt, das gelte es auch sichtbar zu machen und bestmöglich zu unterstützen. „Beteiligen Sie dabei die Bürger, machen Sie eine Zukunftswerkstatt zum Wohnen im Alter“, riet Blaumeiser ebenso wie dazu, die Wohnbaugesellschaften in Kontakt mit den Sozialinstitutionen zu bringen. Die neuen Wohnformen ersetzen allerdings nicht Seniorenheime – diese würden zunehmend die Rolle von Hospizen einnehmen, meint Blaumeiser und stellt die von Bund und Land vorgegebenen Rahmenbedingungen in Frage: „Derzeit werden vor allem Baukostenzuschüsse für Heime gewährt – hier könnte umgestellt werden auf Förderung von Betreuungspersonen.“
Was Heimplätze kosten, rechnete Kurt Dander von der DASTA GmbH – Lösungen für Generationen vor: „Ein Pflegeplatz verursacht der Gemeinde Baukosten von 120.000 Euro – ohne Einrichtung, und die laufenden Kosten pro Pflegeplatz und Jahr liegen bei 15.000 Euro.“ Dander sieht die Zukunft der Altenbetreuung in einem Zwei-Säulen-Modell, das neben professioneller Einrichtungen den Ausbau neuer Betreuungsformen unter verstärktem Einbinden Ehrenamtlicher vorsieht. Das Ziel: „Alle sollen möglichst lang zuhause bleiben können.“ Betreute Wohnungen, auch Mehrgenerationenhäuser statt Altenheime, Angebote für pflegende Angehörige und integrative Altenarbeit gelte es ebenso auszubauen wie stationäre oder teilstationäre Angebote zum Ausbau der Kurzzeitpflege und Tagesbetreuung. Angesagt sei die professionelle Begleitung Ehrenamtlicher und der Wohngemeinschaften sowie der Einsatz von „Kümmerern“ als verbindende Anlaufstelle zwischen Betroffenen und Einrichtungen.
Kurt Dander wies auf die Möglichkeiten hin, die sich im Rahmen von LA21 Gemeindeentwicklungsprozessen zum Thema Wohnen im Alter bieten: "Bis zu 75 % der Nettokosten dafür werden vom Land Tirol über die Dorfentwicklung mitfinanziert." Themen der LA21 Prozesse seien Leben und Wohnen im Alter, Zusammenleben der Generationen, Aufbau von Ehrenamt, Einführung eines Case-Managements und die Vernetzung ambulanter und stationärer Strukturen. Aktuelle Beispiele sind der Aufbau eines Zentrums für Ehrenamt in der Stadt Schwaz sowie das LA21-Ideenprojekt Klostergarten oder das Haus des Lebens in Ybbsitz des Vereins AGYL.
Wörgls Bürgermeisterin Hedi Wechner betonte die hohe Betreuungsqualität im Wörgler Seniorenheim, zu der auch ehrenamtliche HelferInnen beitragen. Am Podium stellten sich Heinz Blaumeiser und Kurt Dander den Fragen des Publikums, den Abend moderierte Karin Bachhuber. Kurt Dander (rechts) berichtete aus der praktischen Umsetzung von Wohnen im Alter-Projekten im Rahmen von LA21-Gemeindeentwicklungsprozessen u.a. in Schwaz, Ybbsitz, Jochberg und im Oberen Stanzertal.
Die Einbindung Ehrenamtlicher wird in Wörgl derzeit sowohl im Seniorenheim als auch beim Sozialsprengel schon umgesetzt, wobei beide Einrichtungen auf je 30 bis 40 freiwillige HelferInnen zurückgreifen können. „Damit ist der Plafonds erreicht“, merkte Seniorenheimleiter Harald Ringer an und Wörgls Bürgermeisterin Hedi Wechner stellte in ihrem Statement fest, dass die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit durchaus da sei, aber gerade in der Pflege nur beschränkt einsetzbar sei.
„Mit dem Ehrenamt können nicht einfach kostenlose Großfamilienleistungen auf nicht Verwandte übertragen werden und es ist ein Trugschluss zu glauben, dass alle nur darauf warten, für ehrenamtliche Tätigkeiten abgeholt zu werden“, meldete sich eine Sozialsprengelleiterin aus dem Publikum - vor allem Menschen mit wenig Einkommen können sich das Ehrenamt nicht leisten und es wird hier zusätzliche Anreizsysteme brauchen. Dazu können Zeittauschsysteme ebenso zählen wie andere Vergünstigungen, etwa bei der Benützung städtischer Einrichtungen. Eine Versicherung der Ehrenamtlichen zähle ebenso dazu wie die Rückerstattung von Fahrtkosten. Fazit: Freiwilligenarbeit wird zwar kostenlos erbracht, ist aber bei guter Organisation nicht kostenlos und benötigt professionelle Begleitung.
Was den Zubau zum Seniorenheim betrifft, sei dieser Aufgabe der Stadt und in Form von Wohngemeinschaften geplant. „Wir wollen aber auch neue Wege gehen und sind offen für Ideen“, so Wechner. Zusätzlich lege man schon jetzt großen Wert auf die Zusammenarbeit von Seniorenheim und Sozialsprengel bei der Versorgung Pflegebedürftiger ebenso wie beim betreuten Wohnen. Auch die Ausbildung Ehrenamtlicher könne über den Sprengel erfolgen. Wechner kritisierte die gängige Praxis, dass bei der Einstufung des Pflegegeldes dieses sofort hinaufgesetzt würde, sobald jemand ins Heim kommt: „Das ist eine Ungerechtigkeit gegenüber daheim Pflegenden.“
Kritisch zur Betreuungsqualität in Heimen generell meldete sich Michael Vogl, Bewohnervertreter vom VertretungsNetz zu Wort. Das Personal habe zu wenig Zeit, teilweise fehle es an Ausbildung: „Die Situation jetzt ist vielfach unbefriedigend. Es ist nicht richtig so zu tun, als seien Heime DIE Lösung – hier braucht es grundsätzlich etwas Anderes.“
Keine Daten gibt es dazu, wie viele Menschen in Wörgl eine 24-Stundenbetreuung über ausländische Betreuungskräfte etwa aus Osteuropa in Anspruch nehmen, es seien nach Einschätzung von Sprengel und Seniorenheim aber „viele“. Gewünscht wird von den beiden Einrichtungen die Einsetzung eines Casemanagers – also „Kümmerers“ oder „Kümmerin“ zur individuellen Beratung Betroffener und Koordination des Vorgehens mit den Einrichtungen.