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EU-Projekt zur Chancengleichheit - Städtetag in Wörgl am 27. September 2011

  

Dina Malandi (Bild links) von ZARA erläuterte im Komma Wörgl einleitend das Projekt, das österreichweit von ZARA – Zivilcourage und Anti‐Rassismus‐Arbeit koordiniert und im Rahmen eines EU‐Projektes mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz finanziert wird. Jasmin Duval de Dampierre und Johannes Ungar von innovia zeigten mit vielen Beispielen, worauf es beim verständlichen Formulieren ankommt, damit die Informationen auch ankommen (Bild Mitte und rechts).
 
Der Städtetag in Wörgl wartete mit einem interessanten Programm auf, das im Komma Wörgl sowie in Wörgler Schulen durchgeführt wurde. Neben den Vormittags-Workshops zu verständlicher Sprache und Informationsvermittlung sowie zum Thema Diskriminierung und Gleichstellungs-Gesetzeslage liefen parallel in Schulklassen Workshops zum Umgang mit Vielfalt und zum Thema "Kenne deine Rechte". Erfahrungen im Dunkeln sammeln und so selbst Behinderung erleben war nachmittags Inhalt des Workshops "Finger fertig los" in der Komma-Blackbox, der mit 25 Teilnehmern ausgebucht war. Ein weiterer Beitrag befasste sich mit Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit. Unter den Teilnehmern waren Mitarbeiter von Organisationen wie der Lebenshilfe, dem Integrationszentrum, Pro Juventute und der Wörgler Jugendabteilung. Leider nicht erreicht wurde die Zielgruppe der öffentlichen Verwaltung.
 
Leicht Lesen und Capito - so wird Information verständlich
 
Wer wünscht sich nicht eine verständliche Bedienungsanleitung fürs Handy oder Formulare, die ohne vorheriges Studium ausgefüllt werden können? Oder gut lesbare Hinweisschilder in öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln? Für Menschen mit wenig Schuldbildung, Lernschwierigkeiten, Behinderungen, ältere Leute oder Migranten stellt die Amts- und Juristensprache oft genug eine große Hürde dar.
 
Weil für alle Menschen Informationen wichtig sind, sollte auf diese Beeinträchtigungen Rücksicht genommen und entsprechend formuliert werden. Das ist das Ziel des capito-Netzwerkes, zu dem das Innsbrucker Unternehmen innovia gehört. 
 
Jasmin Duval de Dampierre erklärte die Kriterien, die für die Informationsvermittlung unter dem Qualitätssiegel von Capito - was der 3. Leistungsstufe Hauptschulniveau entspricht - sowie des "Leichter Lesen"-Gütesiegels, das noch konkretere Vorgaben umfasst. 
 
Verständliche Informationsvermittlung beginnt bei der Wahl der Schrift und Schriftgröße, wobei hier Arial, Tahoma und Helvetica mindestens 14, besser 16 Punkt groß als Richtschnur gelten. "Texte sollten linksbündig, nicht in Blockschrift oder kursiv verfasst werden. Wörter nicht trennen, auf guten Kontrast zum Hintergrund achten, keine Bilder als Hintergrund verwenden. Das Datum ausschreiben, bei der Uhrzeit immer die Digitalzeit - z.b. von 09:00 bis 13:00 Uhr - angeben", erklärte Jasmin.
 
Texte mit Zwischentiteln unterteilen und klar formulieren. Keine Sprichworte, Vergleiche und Wortspiele verwenden, auch keine Querverweise und Fußnoten. Ganz konkrete Tipps gab Jasmin weiters zum Satzbau sowie zur Verwendung von Zeiten und zum Aufbau von Texten.
 
Die gemeinnützige GmbH innovia mit Sitz in Innsbruck und 18 Beschäftigten bietet in ihrem Dienstleistungsangebot die Qualitäts-Zertifizierung nach den Regel von capito und "Leichter Lesen" an. "Das Wichtigste ist dabei die Überprüfung durch die Zielgruppe, ob der Text verstanden wird. Diese Überprüfung wird immer von mindestens drei Personen und einem Assistenten durchgeführt. Je nach Zielgruppe gelten unterschiedliche Kriterien", erklärt Johannes Ungar und verweist auf Beispiele, wo bereits nach diesen Regeln vorgegangen wird: innovia erstellte leicht verständliche juristische Texte wie Untermiet- oder Angestelltenverträge, übersetzte den Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderung in LL-Standard, erstellte Lehrlings-Unterlagen für die integrative Berufsausbildung mit den 10 häufigsten Berufsbildern in unterschiedlichen Medien - als Spiralbuch ebenso wie als CD-Rom - oder überarbeitete Web-Auftritte von Unternehmen. Innovia bietet auch Kurse und Workshops an, die die Regeln verständlichen Formulierens vermitteln und trainieren.
 
Angesichts der Gleichstellungs-Gesetze in Österreich tauchte die Frage auf, ob Informationen der öffentlichen Hand aufgrund der Gesetzeslage nicht alle im Leicht-Lesen-Standard verfasst werden müssten. Hier hinkt die Praxis dem Gesetz weit hinterher. "Laut Konsumentenschutzgesetz dürfen Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht benachteiligt werden. Die praktische Umsetzung fehlt, auch das Bewusstsein dafür", weiß Johannes Ungar, seit der Gründung 2007 Mitarbeiter von innovia. Das Unternehmen bietet Wege zur Chancengleichheit, bildet selbst Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderung aus, engagiert sich für barrierefreien Tourismus, bietet Beratung für Barrierefreiheit und mit dem Projekt Trapez berufliche Integration. Weitere Infos zum innovia-Angebot auf www.innovia.at 
 
 
   
 
Beim 2. Vormittags-Workshop informierte innovia über das Behinderten-Gleichstellungs-Paket und die gesetzlichen Grundlagen, über die Arten von Diskriminierungen und was man aktiv dagegen unternehmen kann. 
 
Bei Diskriminierung unterscheidet der Gesetzgeber drei Arten: mittelbare und unmittelbare Diskriminierung sowie Belästigung. "Nicht jede Barriere ist eine Diskriminierung. Im Zweifelsfall gibt das Bundessozialamt dazu Auskunft", teilte Jasmin mit. Das Bundessozialamt führt auch Schlichtungsverfahren durch, österreichweit bisher rund eintausend, die Hälfte davon betreffen mangelnde Barrierefreiheit bei Gebäuden. In Tirol wurde die Schlichtung erst 85 Mal beansprucht. Vor Gericht landen nur wenige Fälle, da das Kostenrisiko bei den Klagenden bleibt.
 
Diese erhalten Begleitung vom Klagsverband für Opfer von Diskriminierungen sowie von der Organisation "Freiraum Europa" (Info: http://www.freiraum-europa.org/). Der Weg zu Gericht bleibt trotzdem beschwerlich und endet oft unbefriedigend: "Wenn man einen Prozess gewinnt, erhält man zwar Schadenersatz, aber die Barrieren werden deshalb nicht beseitigt", weiß Dietmar Janoschek von Freiraum Europa.  Das Kostenrisiko beim Gang zu Gericht ist auch mit ein Grund dafür, weshalb nicht öfter geklagt wird.