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Vortrag über Islam und Politik in Österreich am 29. September 2011 im Tagungshaus Wörgl

   

Zum Vortrag im Tagungshaus Wörgl mit Buchautor Thomas Schmidinger begrüßten Tagungshausleiterin Edith Bertel und IGZ-Geschäftsführer Kayahan Kaya.

"Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Islam und Politik in Österreich" unter diesem Titel luden das Tagungshaus Wörgl in Zusammenarbeit mit dem Integrationszentrum Wörgl am 29. September 2011 zu Vortrag und Diskussion mit dem Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturantropologen Thomas Schmidinger, der gemeinsam mit Dunja Larise vor drei Jahren mit dem gleichnamigen Buch eine faktenreiche Diskussionsgrundlage schuf. Und stießen damit auf reges Interesse - rund 40 Interessierte, darunter auch politische Vertreter der Stadtgemeinde wie Kulturreferent Johannes Puchleitner, Umweltreferent Richard Götz und Bildungsreferentin Christiane Feiersinger - folgten der Einladung, ebenso Wörgls Integrationsbeauftragter DI Peter Warbanoff.

Schmidinger bezeichnete einleitend gängige Positionen zum Islam wie Pauschalverdächtigungen von Rechts und die als Gegenreaktion darauf fehlende Kritik an Missständen aus Angst vor Rassismus-Vorwürfen als falschen Zugang. Falsch sei auch die Annahme, dass es ein homogenes Bild von Muslimen gäbe und diese grundsätzlich demokratiefeindlich wären. Schmidinger sieht in Österreich auch keine Terrorgefahr: "Die Sympathisanten mit dem Terrorismus sind eine sehr kleine Gruppe, eine handvoll Leute - aber die Diskussion fokussiert sich auf diese."

Grundsätzlich sei das Spektrum politischer Positionen in der muslimischen Bevölkerung gleich wie in der Mehrheitsbevölkerung. Fundamentalisten und extreme Positionen seien überall zu finden. "Leider besteht die grundsätzliche Tendenz, dass sich autoritär Denkende in islamischen Vereinen mehr organisieren als die schweigende Mehrheit, die nicht so denkt", so Schmidinger. So entstehe in der Öffentlichkeit das Bild, dass Muslime konservativer seien als die einheimische Bevölkerung.

Einen detaillierten Überblick über islamische Organisationen in Österreich gibt das Handbuch, an dem auch Studierende mitgewirkt haben. Bei der Recherche stieß man auf die Tendenz, dass in Europa extreme Positionen zunehmend nicht von zugewanderten Muslimen eingenommen werden, sondern von Konvertiten. "Immer mehr junge Menschen konvertieren - aber nicht zum Islam, sondern zum Islamismus", erklärt Schmidinger. Nicht aus Gründen der Religion, sondern einer Ideologie. So seien besonders totalitäre Vorstellungen von Islamischer Ordnung bei zwei Organisationen mit Personen ohne Migrationshintergrund zu finden. Die Schlussfolgerung daraus dürfe nicht eine Stigmatisierung einer Migrantengruppe sein, das Problem sei die totalitäre Ideologie

Das Bild des Islam in der Öffentlichkeit sei stark von Äußerlichkeiten wie Frauen mit Kopftuch und Männer mit Bart geprägt, das nicht der Lebensrealität entspreche. Dass diese schwer zu fassen ist, liege auch daran, dass es keinen einheitlichen Islam gäbe. Während sich Öffentlichkeit und Politik einen einheitlichen Ansprechpartner wie bei anderen hierarchischen Kirchen wünschen, gibt es diese legitimierte Vertretung in Form einer Person in der muslimischen Bevölkerung nicht. Auch nicht in der offiziell anerkannten muslimischen Glaubensgemeinschaft, die Österreich aufgrund seiner Geschichte schon zu Zeiten der Donaumonarchie vor 100 Jahren gesetzlich anerkannt hat.

Wahlberechtigt seien in dieser nur zahlende Mitglieder. "Nur rund 4 % der österreichischen Muslime haben tatsächlich gewählt. Was der Präsident sagt, ist nicht repräsentativ für alle. Wenn man Muslime ernst nehmen will, muss man die Gruppen selbst hören", so Schmidinger, der auf das Deutsche Modell der Islam-Konferenz verweist, das ein breiteres Spektrum abdecke. Außerdem würde auch niemand auf die Idee kommen, einen Zentralrat der Christen zu gründen - was von den Muslimen verlangt würde. Der sunnitische Islam habe keine Kirchenstruktur, keine traditionelle religiöse Hierarchie. Auch der Buddhismus sei anders organisiert.

  

Schmidinger sieht innerhalb der muslimischen Bevölkerung Diskussionsbedarf bei Themen, die die persönliche Freiheit des Menschen betreffen. "Fragen wie die Geschlechterrollen, Säkularismus, Staat und Religion, sexuelle Selbstbestimmung und Homosexualität gehören offen diskutiert." Die Diskussion darüber sei in den Herkunftsländern des Islam teilweise schon auf höherem Niveau als in Europa. In Österreich trägt zur offenen Diskussion das Forum für emanzipatorischen Islam bei, das sich als Reaktion auf das Handbuch "Zwischen Gottesstaat und Demokratie" gegründet hat und von Buchautoren mitgetragen wird. Bisher organisierte Vorträge befassten sich mit den Themen Islam und Sexualität sowie das Verbot von Homosexualität im Islam, das sich auf eine Stelle im Koran bezieht, die allerdings auch anders ausgelegt werden kann: Engel wurden für die Vergewaltigung von Männern bestraft. Die Sünde sei nicht der Sex mit Männern, sondern die Vergewaltigung.

Im Handbuch über muslimische Organisationen in Österreich fehlen zwei große Einrichtungen aufgrund ihrer Verbindung zu den Herkunftsländern: ATIB als verlängerter Arm des türkischen Amtes für Religion und der Dachverband der Bosniaken. 

Wie es um die Integrationswilligkeit des Vereins ATIB bestellt sei, lautete die erste Frage, die die Publikumsdiskussion eröffnete, vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse rund um ATIB-Vereinsräumlichkeiten in Kufstein und Wörgl. Hier zeigt sich wie auch bei anderen Konflikten, dass Alltagsprobleme als religiöse oder kulturelle Konflikte wahrgenommen werden, die eigentlich einen anderen Hintergrund haben: Es geht nicht um die Religionsausübung, sondern um Parkplätze, Lärm und Nachbarschaftsprobleme.

Schmidinger nannte ein weiteres Beispiel problematischer Wahrnehmung im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit - hier werde als Problem nicht der Klassenkonflikt Unterschicht gesehen, sondern die ethnische bzw. religiöse Zugehörigkeit der Jugendlichen.