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Talk um 4 im Tagungshaus Wörgl am 27. März 2012

 

Talk um 4 im Tagungshaus Wörgl mit Harald Ringer, Annemarie Dinkhauser, Evelin Treichl, Rita Hauser, Michaela Fabiankovits und Martina Walter (Bild links von links).

Welche Anforderungen stellt Wohnen im Alter an Betroffene, Angehörige und die öffentliche Hand? Sind wir für den gesellschaftlichen Wandel angesichts unserer ständig steigenden Lebenserwartung und damit einhergehender Betreuungs- und Pflegebedürfnisse gerüstet? Und welche Hilfsangebote stehen zur Verfügung? Um diese Fragen kreiste der Talk um 4 am 27. März 2012 im Tagungshaus Wörgl.

Zum Einstieg in die Diskussion wies Sprengel-Geschäftsführerin Michaela Fabiankovits auf Hilfsangebote des Gesundheits- und Sozialsprengels wie Hauskrankenpflege, Heimhilfe, Essen auf Rädern sowie Beratung und Vermittlung bis hin zum Rundum-Service durch Friseur- und Fußpflege-Hausbesuche hin. Kann jemand ohne fremde Hilfe den Alltag in den eigenen vier Wänden nicht mehr allein bewältigen oder braucht nach einem Krankenhausaufenthalt Betreuung, so bietet sich der Sprengel als erste Ansprechstelle an. "Bei einem Hausbesuch klären wir dann vor Ort ab, was benötigt wird und erstellen einen Pflegeplan", erklärt Fabiankovits.

So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen, das wünschen sich die meisten Menschen. Wenn das zunehmend schwierig wird, bietet das Seniorenheim Wörgl seit heuer Tagesbetreuung mit Schwerpunkt Demenz-Erkrankung an. "Wir haben in der Tagesbetreuung Platz für 8 bis 12 Personen", erklärt Seniorenheimleiter Harald Ringer. Zur Entlastung pflegender Angehöriger stehen 4 Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung. Die 120 Dauerbetten sind derzeit belegt, in Notfällen bestehe durch Doppelbelegung kurzfristig die Möglichkeit, Personen trotzdem aufzunehmen. In enger Zusammenarbeit mit dem Sprengel sowie dem Krankenhaus, dem Betroffenen und den Angehörigen wird die Vorgangsweise über die künftige Betreuungsform erarbeitet.

"Die meisten Menschen werden nach wie vor Zuhause betreut. Das Ziel der Politik ist der Ausbau ambulanter Strukturen", teilte Wörgls Vizebgm. Sozialreferentin Evelin Treichl mit. Das komme dem Wunsch, solang wie möglich in der eigenen Wohnung zu bleiben, nach und spare Kosten bei der Errichtung von Heimplätzen. Treichl sieht die Zukunft im barrierefreien Wohnbau, der auf Pflege-Bedürfnisse Rücksicht nimmt. "Wir haben vor kurzem 27 seniorengerechte Wohnungen übergeben. In der Anlage gibt es ein Pflegebad und Gemeinschaftsräume. Ausgebaut wird auch das Betreute Wohnen im Gebäude des Sozialsprengels", so Treichl, die auch auf den Ausbau ehrenamtlicher Mitarbeit zur Seniorenbetreuung zählt. Für die Ehrenamts-Koordination im sozialen Bereich stellte die Stadt Wörgl mit März 2012 Christine Deutschmann (Bild rechts) ein, die Freiwilligenarbeit im Bereich von Besuchsdiensten, Essenszustellung oder anderer Hilfsdienste organisieren und die Ehrenamtlichen betreuen soll. Ihre Bürozeiten im Gesundheitssprengel sind Mo, Do, Fr von 8-12.30 Uhr sowie Di von 14-16.30 Uhr, Tel. 05332/74276-18. "Ohne den Aufbau eines Netzes Ehrenamtlicher wird es nicht gehen", meint Treichl.

 

Die Anforderungen an ambulante, mobile Hilfsdienste wachsen ständig, was seine Ursache nicht nur in er erhöhten Lebenserwartung und damit der Zunahme von Alterserkrankungen hat, sondern auch in der Verkürzung der Krankenhausverweildauer: "Dadurch kommen Patienten in schlechterem Zustand nach Hause, brauchen mehr Pflege", weiß Martina Walter, Pflegedienstleiterin beim Sprengel, aus der Praxis. Dazu kommt der Trend zu Kleinstfamilien, vielfach steht die Hilfe daheim nicht mehr  zur Verfügung. Beim Sprengel zeigt sich der Trend in der Verdreifachung des Personals in den vergangenen 10 Jahren. "Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus beträgt nur mehr 4 Tage. Viele Patienten werden mit erhöhtem Pflege- und medizinischen Betreuungsbedarf entlassen, da muss daheim viel geleistet werden. Partner und Angehörige stoßen da oft an ihre Grenzen", bestätigt Christine Pellegrini, im Entlassungsmanagement des KH Kufstein zuständig für Überleitungspflege.

Der Sprengel richtete eine Rufbereitschaft ein, besucht manche Patienten 2 bis 3 Mal am Tag. Keinesfalls zufriedenstellend sei die Versorgung in der Nacht: "Wenn das Land an einen Ausbau der mobilen Strukturen denkt, müssen hier gesetzliche Änderungen vorgenommen und ein Nachtbetrieb ermöglicht werden. Außerdem brauchen wir mehr Personal", so Walter. Und was unisono festgestellt wurde: Eine bessere Entlohnung der Pflegekräfte, da derzeit Pflegepersonal schwer zu finden sei, die Wertschätzung für diesen Beruf fehle. An die Adresse des Landes geht auch der Wunsch nach mehr Geld für die Finanzierung der Rufbereitschaft sowie die Ausweitung den zeitlichen Rahmens von 3 Stunden pro Tag und Patient für ambulante Betreuung.

Kurzzeitpflege besser regeln

"Unzureichend geregelt ist derzeit die Kurzzeitpflege. Das Land fördert maximal 28 Tage pro Jahr, keinen Tag länger. Ab dem 29. Tag wird die Förderung überhaupt abgelehnt, ohne Übergang. Diese Frist müsst auf das Doppelte ausgedehnt werden, um wirklich eine Entlastung für Angehörige zu bringen", formulierte Harald Ringer einen Appell an die Politik. Da braucht zu einem geplanten Urlaub nur ein Krankenhausaufenthalt kommen - da reichen 28 Tage im Jahr schnell nicht mehr aus. Alles ab 28 Tage falle in die Grundsicherung, was als stationäre Aufnahme ins Heim gewertet wird. Damit tritt die Regelung in Kraft, dass das Land zwar die Kosten für den Heimaufenthalt übernimmt, aber dazu auch die Pension des Betroffenen zu 80 % zur Kostendeckung eingezogen wird. Damit ist eine Rückkehr in die eigene Wohnung meist ausgeschlossen, die Miete kann nicht mehr bezahlt werden. "Die jetzige Regelung ist viel zu wenig durchdacht", so Ringer, der sich hier Verbesserungen wünscht. "Die 28 Tage sind in 80 % der Fälle zu wenig - ein Oberschenkelhalsbruch etwa braucht 6 Wochen Nachbetreuung", bestätigt Christine Pellegrini, die Angehörigen bei der Organisation der benötigen Hilfe nach der Entlassung der Patienten unterstützt. Dabei arbeitet sie mit 30 Heimen in Tirol zusammen und registriert, dass es immer schwieriger wird, Heimplätze zu finden: "Wir haben Fälle, wo wir Patienten aus Brandenberg im Ötztal unterbringen müssen, weil es nirgens mehr freie Plätze gibt." Wichtig wäre es, im Krankenhaus Kufstein eine Station für Übergangspflege einzurichten, lautete eine weitere Forderung. 

Hilfe für die Helfer

Als großes Problem registrieren die Einrichtungen die Hemmschwelle pflegender Angehöriger, selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einerseits aus Scheu, andererseits aus Unwissen. "Angehörige haben das Recht, im Krankenhaus vom Personal in die Pflege eingeschult zu werden. Die meisten wissen das aber nicht und trauen sich nicht fragen", erklärt Christine Pellegrini und ermutigt zum Nachfragen. 

Für die Schulung von pflegenden Angehörigen werde generell zu wenig getan. Das Krankenhaus Kufstein biete zwar vierteljährlich "Pflege Einmaleins-Schulungen" an, aber das sei zu wenig. Gerade nach Krankenhausaufenthalten seien Angehörige oftmals überfordert. Aber auch jahrelange Pflegetätigkeit kann zur nicht mehr tragbaren Belastung werden, durch soziale Isolation und Vereinsamung. "Angehörige sollen ohne schlechtes Gewissen Hilfe holen! Ein freier Tag pro Woche steht jedem zu. Pflege ist ein 24-Stunden-Job - die Gefahr des Burnouts ist hier hoch", erklärt Michaela Fabiankovits. Eine Erfahrung, die auch Evelin Treichl kennt: "Ich muss oft viel Überzeugungsarbeit leisten und Angehörigen das schlechte Gewissen ausreden, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber das ist notwendig - was nützt es, wenn der Pfleger dann selbst Pflege braucht?"

Unterstützung für pflegende Angehörige bieten Einrichtungen wie der Verein für Übergangspflege VAGET (http://www.vaget.at/), der mobile psychiatrische Pflege mit Hausbesuchen durchführt. Auf die Betreuung pflegender Angehöriger von Demenzkranken hat sich Elisabeth Mader (www.demenzberatung.org) als selbständige Beraterin spezialisiert.

Begleitung im letzten Lebensabschnitt, häufig bei Krebspatienten, bietet die Tiroler Hospiz Gemeinschaft mit ihrer Regionalstelle in Kufstein (Info hier) in Form eines ehrenamtlichen Besuchsdienstes. "Was hier fehlt, wäre ein Palliativ-Team für ambulante Betreuung - der Bedarf zur Schmerzbehandlung wäre da", erklärt Sabine Zangerl von der Hospiz-Gemeinschaft.  In Aufbau befindet sich derzeit auch ein Caritas-Projekt zur Unterstützung pflegender Angehöriger, wie Heidi Rißlegger vom Caritas-Zentrum Wörgl mitteilte. Für Wohnungsfragen steht Sozialreferentin Evelin Treichl als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

Vorbildliche Vernetzung in Wörgl

"Die Vernetzung von Seniorenheim und mobilen Angeboten ist in Wörgl schon weit fortgeschritten", hob Annemarie Dinkhauser hervor. Mit dem Sozialsprengel steht seit 25 Jahren eine Anlaufstelle im Krisenfall zur Verfügung, die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Das neue Konzept zur Stärkung mobiler Strukturen solle in den nächsten fünf Jahren die Tagesbetreuung in der Bevölkerung gut einführen sowie ein Ehrenamtlichen-Netz aufbauen, wünscht sich Harald Ringer, räumt aber ein: "In 10 Jahren brauchen wir den Seniorenheim-Zubau, wobei wir hier in Wohnbereichen denken."

Dass Wörgl im Sozialbereich bisher wohl auf dem richtigen Weg ist, zeigten Wortmeldungen aus dem Publikum, die nicht mit Lob für die Arbeit der Wörgler Sozialeinrichtungen sowie für das Engagement der Stadt sparten.