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Uraufführung des Volks-Schauspiel-Musicals "Kleiner Mann bleib dran" des Stadttheaters Kufstein am 2. Juni 2012

Vor der Uraufführung, gespannt auf die Publikumsreaktionen: Choreograph und Co-Regisseur Reda Roshdy, Komponist Stefan Fritz, Autor und Regisseur Dr. Ekkehard Schönwiese, Musiker Kurt Wieser (Bild links von links). Eine Ausstellung informiert über die Biografien der historischen Persönlichkeiten, deren Schicksal in "Kleiner Mann - bleib dran" gezeigt wird. Bildliche Eindrücke vom Beginn des 20. Jahrhunderts vermittelt die Projektion von historischen Fotos, für deren Bereitstellung Schönwiese mit dem Österreichischen Zeitzeugenarchiv sowie dem Virtuellen Haus der Geschichte Tirol (http://www.virtuelles-haus-der-geschichte-tirol.eu) zusammenarbeitete - im Technikteam dabei: Daniel Kapfinger von der Gaststubenbühne Wörgl (3. Bild v.l.) Stadttheater-Obfrau und Produktionsleiterin Hildegard Reitberger begrüßte zur Uraufführung u.a. die Kufsteiner Vizebürgermeister Walter Thaler und Werner Salzburger sowie die Gemeinderäte Brigitta Krail, Richard Salzburger und Saksia Fuchs-Roller sowie Hans Mauracher vom TVB Ferienland Kufstein und mit Horst Rankl den Präsidenten des bayerischen Theaterverbandes. .

"Kleiner Mann bleib dran" ...

Schon der Titel des Volks-Schauspiel-Musicals, formuliert als Aufforderung, lässt ahnen, dass hier keine nostalgische Rückschau auf längst vergangene Zeiten in ein Freilichtspektakel gegossen wird, sondern dass die brisanten Themen des gesellschaftlichen Umbruches auch heute angesichts der Banken- und Wirtschaftskrise und mit ihr einhergehender politischer Entwicklungen beklemmend aktuell sind.

"Kleiner Mann - bleib dran" spielt zur Zeit des Ersten Weltkrieges und danach, der umwälzenden Rolle der Eisenbahn zu Beginn des industriellen Zeitalters entsprechend rund um den Kufsteiner Bahnhof. Das Stück vom Wandel beruht weitgehend auf wahren Biografien, die Stückautor Dr. Ekkehard Schönwiese akribisch recherchiert hat. Der gebürtige Grazer wuchs in Kufstein auf, inszenierte vor Jahren bereits auf der Festung das Theaterstück Hexen, Adel, Antihelden und trug die Idee zum historischen Bilderbogen mit Ortsbezug seit rund 20 Jahren in sich. Die Umsetzung nun geriet zum Meisterstück, bei dem Schönwiese - der bis aufs Moor-Soldaten-Lied auch alle Liedtexte verfasste - mit dem Komponisten Stefan Fritz und dem Choreografen und Co-Regisseur Reda Roshdy geniale Partner fand.

Die letzten Kriegstage am Kufsteiner Bahnhof - die Weichen für die Zukunft werden gestellt, von der Überwachung dunkler Drahtzieher begleitet: In die Rolle der Spitzel schlüpfen die "Herren Wunderlich" Georg Anker und Herbert Oberhofer, die im Trio mit Volkswehrführer Sissinacki, dargestellt von Gunther Hölbl auftreten. Junges Schauspiel-Talent als Kolporteur und Ausrufer: Kai Dessalines (3. Bild v.l.). Ankunft am Kufsteiner Bahnhof: Adele Stürzl (Susanne Anker) und ihr Mann, Schneidermeister Hans (Stefan Schimmele).

Der Zug fährt ein im Kufsteiner Bahnhof - der Zug der Zeit, der schließlich alle mitnimmt. Ins Verderben des Ersten Weltkrieges mit dem Sterben an der Front und dem Leid der Frauen und Kinder daheim. Frauen, die als Arbeitskräfte in Fabriken ausgebeutet werden, hungern. Unrecht, gegen das einzelne aufbegehren - wie die Tiroler Frauenrechtlerin Maria Ducia und die Widerstandskämpferin Adele Stürzl, die 1944 hingerichtet wurde. Sie kommen am Kufsteiner Bahnhof an - ebenso wie die Geliebte von Waldemar Pabst, die sich schließlich von ihm trennt und ihren Weg als emanzipierte Frau geht. Pabst war verantwortlich für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die Niederschlagung der linken Bewegung in Deutschland. Er setzte sich ins Tiroler Exil ab und bewaffnete die Heimwehr.

Bespitzelt: Frauenrechtlerin Maria Ducia (Gina Dessalines), Adele und Hans Stürzl. Bewegte Familiengeschichte: Hubert Petter als Christian Mandler, genannt der rote Christl und Stefan Bric als dessen Sohn Karl Mandler (Bild rechts).

Zivilcourage zeigte der "rote Christl" Christian Mandler, der zu Kriegsende als Lokführer zwei Waggons Lebensmittel nach Kufstein brachte und deren Verteilung durchsetzte. Sein Sohn Karl liest Bücher - das Kapital von Karl Marx - und strandet in "zwei Leben", der idealen Welt der Bücher und der Realität. "Der Sozialismus hat versagt, weil Geld alles schluckt und wir in Schulden ertrinken", sagt Karl Mandler auf der Bühne. Karl Mandler, sozialdemokratischer Parteiobmann und Feminist starb 2003 und verfasste 1997 das Buch "Verlorene Jahre" über die Geschichte der Österreichischen Sozialdemokratie.

Abschied am Bahnhof zum letzten Truppentransport an die Front mit Lokführer Christian Mandler. Monsignore Bramböck (Franz Osl) versucht noch einmal, im Namen des Kreuzes und des Kaisers für den vaterländischen Krieg zu begeistern (Bild Mitte). "Leb wohl sagt der Mund doch die Stimme verstummt" - beginnt das Lied "Habt ihr schon einmal den Krieg gesehen", das die Greuel des Krieges drastisch vor Augen führt.


Ekkehard Schönwiese erzählt mit viel Einfühlungsvermögen Frauenschicksale, die nicht im Rampenlicht der offiziellen Geschichtsschreibung stehen. Eine Lehrerin, konfrontiert mit verwaisten Kindern. Maschine Mensch -  Frauen in der Fabrik, an der Front des Wirtschaftskrieges: "Es geht ums Ausschalten von Konkurrenzen..."

"So ist einmal die Welt gemacht. Der eine weint der andre lacht",  singt der Spitzelchor "... Die einen herrschen, andre dienen - die einen haben Geld, andere verdienen." Nachzulesen gibt es sämtliche Liedtexte im umfangreichen Programmheft. Aufbegehren aus der Not: "Sich fügen heißt lügen!" - Frauenrechtlerin Maria Ducia (Bild Mitte) ruft zum Ungehorsam auf: "Es geht ums Leben - um unser Leben". Alltag im Chaos des Umbruches, begleitet von Hunger und Anstellen für Lebensmittel (Bild rechts).

Dramatischer Höhepunkt vor der Pause: Schrebergartenfrüchte - zum Überleben, aber auch zum Fürchten - mit einem großartigen Frauentrio: Margarethe (Christiane Atayi, links im Bild) sowie Rosa (Varina Weinert) und ihre Tochter Nelly Weinert, die als talentierter Bühnen-Neuling ihre Gesangsrolle bravourös meisterte. Das "Lied der Moorsoldaten" (Bild rechts) entließ das Publikum mit Gänsehaut in die Pause. 

 

Das kollektive Kriegstrauma wirkt bis in die persönlichen Beziehungen: Trauer um die Opfer (Bild links Christina Atayi), Verarbeiten erlittener Gewalt (Bild Mitte Siegi Riebl und Stefanie Griesser). Aufbruch und Neuanfang bringen Lebenslust und Befreiung von alten gesellschaftlichen Zwängen, was auch in der Mode zum Ausdruck kommt: Mann und Frau stürzen sich ins Freizeitvergnügen.

Doch nach dem Krieg ist vor dem Krieg. "Wir überhören die Zeichen der Zeit!" sagt Maria Ducia zum Kultur-Gemeinderat Genosse Bäumler (Bild links, Harald Rella und Gina Dessalines), während Operetten-Seligkeit und Charleston Einzug halten.

Die Mahner werden überhört - zu ihnen zählt Karl Mandler, wenn er sagt: "Das Geld hat uns zu entfremdeten Wesen gemacht - es wird gehortet, ist nicht im Fluss." Am Ende beklagt der "rote Christl" die fehlende Solidarität unter den Menschen - gelingt diese wirklich nur in Notzeiten? Ekkehard Schönwiese liefert keinen moralischen Schluss - die Geschichte hat kein Ende. Sie geht weiter. Und es liegt an uns, welche Rolle wir darin spielen.

Für die Darstellung auf der Bühne gab es für alle Mitwirkenden nach der Premiere tosenden Applaus für die auf allen Ebenen gelungene Umsetzung des außergewöhnlichen, ambitionierten Projektes, das Schauspiel, Gesang, Tanz und Live-Musik, vorgetragen von Stefan Fritz und Kurt Wieser, zu einem einzigartigen Theatererlebnis verschmilzt. Weitere Aufführungen stehen am 6., 8. und 14. Juni sowie am 2. und 4. Juli 2012 am Spielplan, Beginn ist jeweils um 20:30 Uhr, gespielt wird in der überdachten Festungsarena bei jeder Witterung. Karten im Vorverkauf sind um 18 bzw. 16 Euro bei der Volksbank Kufstein erhältlich. Der Lift ist nicht in Betrieb, der Aufgang erfolgt ausschließlich über den Kaiserjägerweg von der Kinkstraße aus. Weitere Infos auf www.stadttheater-kufstein.at

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