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400 Jahre Passionsspiel in Erl - ein Kommentar zur Neufassung von Veronika Spielbichler |
vero / 24.06.2013 19:51
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"Event der Extraklasse" titelte der "Alpen Guide" nach der Premiere des Passionsspieles in Erl am 26. Mai 2013 - ob sich Jesus Christus über so eine Headline wohl gefreut hätte? Die "Krone" machte daraus "Ein revolutionäres Hochamt" und "Erl: Jesus bricht mit Normen" stellte der "Tiroler Sonntag", die Kirchenzeitung der Diözese Innsbruck fest. "Von der Mitterer Passion berührt" titelte etwas verhaltener der katholische Pressedienst der Erzdiözese Salzburg auf dem Kirchenportal und veröffentlichte im Vorfeld ein Interview mit dem Autor (hier nachlesen), bei dem die "Kompromiss-Lösung" bereits anklang: Mit Rücksicht auf die Darsteller wurde einiges gestrichen, manches davon dann doch wieder aufgenommen.
Jesus beim Abschied von Maria Magdalena (links) und mit Judas (Bild Mitte, fotografiert von Roman Potykanowicz). Bild rechts: Die Abendmahl-Szene (Foto: Kitzbichler).
Woran entzündete sich der Unmut in konservativen Kreisen und beim Erzbischof, der vorab "unter der Hand" ein Textbuch zugesandt bekommen hatte? An der Frauenrolle der Maria Magdalena. Eine Neuinterpretation der Frauen in der Passion war im Vorfeld angekündigt - und Felix Mitterers Originaltext sieht Maria Magdalena als Jesu Geliebte, die beim Abendmahl neben ihm am Tisch sitzt, gleichberechtigt mit den Aposteln. Sie ist die Frau, die ihm anbietet, dem Kreuzesleid doch eine Familiengründung in Ägypten vorzuziehen. Beides vermisst man in der Umsetzung - Felix Mitterer machte schweren Herzens Zugeständnisse, um des Friedens Willen. Maria Magdalena´s Rolle ist trotz der Änderungen aufgewertet, der Ehrentitel "Apostelin der Apostel" bleibt ihr.
Felix Mitterer rehabilitiert in der Erler Passion 2013 auch den "Verräter" Judas, beleuchtet dessen Beweggründe und Hoffnungen, die er in Jesus als Erlöser von der weltlichen Macht der Römer gesetzt hat und macht sein Handeln verständlich. Nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Hoffnung auf Befreiung und Entfachung eines Volksaufstandes durch den Prozess gegen den Messias liefert Judas ihn aus. Hofft, dass Jesus vom Kreuz steigt und so seine Macht demonstriert.
Die eindrucksvolle und bildgewaltige Umsetzung trägt die Handschrift des jungen Tiroler Regisseurs Markus Plattner, dessen Regie-Ideen die rund 600 DarstellerInnen mit Begeisterung umsetzen. Erl 2013 ist eine Volkspassion und zeitgenössisches Theater mit großartigen Schauspieler-Leistungen, ganz besonders in den Hauptrollen. In Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Annelie Büchner setzt Plattner effektvolle Metaphern ein - die Tempelreinigung ist in die Börse verlegt. Jene Tafeln, auf die der Laserlichtstrahl Zahlen projeziert, während die nervöse "Börsen-Fieberkurve" im Raum schwebt, werden später aufgeklappt zum bebenden Gesicht der Angst, aus der Jesus die Menschen durch seine Botschaft der Nächstenliebe befreit.
Szenenbilder aus der Erler Passion 2013 - fotografiert von Roman Potykanowicz.
An anderer Stelle irritiert das Bühnenbild allerdings - es steht im Widerspruch zur Vision der gleichberechtigten, gleichwertigen, hierarchielosen Gesellschaft, die Jesu Botschaft vermittelt. Sehr kontroversiell wurde die Abendmahl-Szene denn auch vom Publikum aufgenommen, die nicht an einer Tafel stattfindet, sondern im projezierten Weltraum. Ein Ring senkt sich von oben über Jesus im Zentrum. Um diesen dürfen sich die Jünger scharen. Dann schließt sich ein weiterer Ring, hinter dem sich die Frauen aufstellen dürfen - und dann mit etwas Abstand das modern gekleidete Volk. Dieses Bild mag die katholische Kirchensicht und deren Zirkeldenken (Frauen bleiben draußen) recht gut wiedergeben, wohl kaum aber die Gesellschaft, die der Religionsgründer angestrebt hat.
Starke Bilder, die sich einprägen ins Gedächtnis, liefert nicht nur der erste Teil der Passion, in dem wesentliche Stationen aus Jesu Wirken eingebaut sind. Der zweite Teil, der den Leidensweg und die Auferstehung beinhaltet, beginnt mit der Nacht am Ölberg. Das Bühnenbild unterstützt die düsteren Visionen aus der Schattenwelt eindrucksvoll. Beim Prozess wird Jesus Zug um Zug Schach matt gesetzt, visuell untermalt vom Schachbrettmuster am Boden. Doch auch hier findet sich wieder die hierarchische Pyramidenform der alten Welt, Jesus an die Spitze gestellt.
Das Lichtdesign von Ralf Wapler und die eigens von Wolfram Wagner komponierte, live auf der Bühne vorgetragene Musik tragen ihren Teil zum Bühnenerlebnis bei, das nach epischer Darstellung im ersten Teil im zweiten dann straff geschnitten das Publikum in seinen Bann zieht. Beim Prozess duellieren sich Pilatus, der Hohe Rat und König Herodes hollywoodreif. Der Kreuzweg führt durchs Volk, von oben nach unten. Dem Sterben am Kreuz gibt Markus Plattner Zeit - und beschert dann ein ungewohntes Ende: Während der Gekreuzigte abgenommen wird und in den Armen seiner Mutter liegenbleibt, erkennt Maria Magdalena den Auferstandenen im Volk.
Der Brückenschlag in die heutige Zeit mit Mitteln des zeitgenössischen Theaters gibt der 400 Jahre alten Erler Passion die besten Rahmenbedingungen für den Fortbestand. Die sehenswerten Passionsspiele sind noch bis 5. Oktober am Spielplan, Karten sollte man sich allerdings möglichst rasch sichern. Schon bei der Premiere waren 45.000 der 50.000 Karten verkauft, weitere Zusatzvorstellungen gibt´s am 9., 18. und 23. August sowie am 1. September. Weitere Infos auf http://www.passionsspiele.at
Das Textbuch zur Erler Passion mit dem Theaterstück und einem Vorwort von Autor Felix Mitterer erschien beim Haymon-Verlag als Taschenbuch und ist im Shop beim Passionsspielhaus sowie im Buchhandel erhältlich.
Großes Medieninteresse herrschte bei der Premiere der Erler Passion 2013 - bei Interviews: Autor Felix Mitterer (Bild Mitte) und Jesus-Darsteller Erwin Kronthaler (rechts), der abwechselnd mit Florian Harlander Jesus verkörpert.
Zu den Premierengästen zählten u.a. BH Dr. Christian Bidner sowie die Bürgermeister von Wörgl, Hedi Wechner und Kufstein, Martin Krumschnabel mit Gatten (Bild links) sowie Wörgls Pfarrer Mag. Theo Mairhofer, im Bild Mitte mit STR Mario Wiechenthaler und Gattin (ganz links), weiters im Bild rechts Theaterfachmann Dr. Ekkehard Schönwiese und Schauspieler Roland Astor (rechts).