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TIWAG will Zwangsarbeiter-Mahnmal in Kirchbichl errichten

Im Innkraftwerk Kirchbichl informierten Mag. Karsten Wink von der archäologischen Grabungsfirma ARDIS, Mag. Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt, TIWAG-Vorstandsdirektor DI Johann Herdina, der Historiker Mag. Erich Schreder, TIWAG-Projektleiter DI Andreas Heel und Kirchbichls Bürgermeister Herbert Rieder über das archäologische Projekt im Rahmen der Umvweltverträglichkeitsprüfung (Bild links v.l.).

Seit über 70 Jahren nutzt das Kraftwerk Kirchbichl das Gefälle der dortigen Innschleife zur Erzeugung elektrischer Energie. Die TIWAG reichte im Juli 2013 ein Projekt zur ökologischen Sanierung und Erweiterung des Kraftwerkes Kirchbichl zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. "Das Erweiterungsprojekt basiert auf drei Grundlagen. Die Herstellung der Fischdurchgängigkeit wie vom Land Tirol gewünscht wird dadurch erreicht, dass künftig ganzjährig Wasser in die Innschleife abgegeben wird. Aus technischer Sicht wird Augenmerk auf höhere Hochwassersicherheit und zusätzliche Energiegewinnung gelegt", informierte Projektleiter DI Andreas Heel von der Tiwag über die Ausgangslage.

Im Rahmen des Projektes wurde eine archäologische Grabungsfirma mit der Untersuchung des ehemaligen Barackengeländes am Wehr beauftragt. Das Innkraftwerk in Kirchbichl wurde von 1938 bis 1941 erbaut. In den Jahren darauf wurden weitere Arbeiten im Staubereich, beim Ausbau der 110 kV-Leitung, der Entwässerung von Angath und Uferschutzbauten im Unterwasserbereich, u.a. von den Bauunternehmen Innerebner & Mayer sowie Elin und Schorch-Werke AG, durchgeführt. Auf der Baustelle wurden zur Realisierung dieses Großprojektes auch ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt und in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Barackenlagern, dem sog. „Polenlager“ (1938 – 1941) und dem „Lager am Wehr“ (1941/42 – 1945), festgehalten.

Anfang Oktober 2013 konnten die archäologischen Grabungsarbeiten im Bereich des ehemaligen „Lagers am Wehr“ unmittelbar südöstlich des Triebwasserweges abgeschlossen werden. Die Vorgangsweise dabei schildert Karsten Wink von der archäologischen Grabungsfirma ARDIS: "Zunächst führten wir drei Sondage-Schnitte durch. Aufgrund der vorgefundenen baulichen Strukturen entschied das Bundesdenkmalamt, eine flächige Grabung durchzuführen." Neuzeitliche Ausgrabungen seien in Westösterreich dünn gesät, die Geschichte von Zwangsarbeiterlagern generell noch wenig erforscht, da bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung Konzentrationslager Vorrang hatten. Dass das Barackenlager beim Wehr nachweislich keine Außenstelle eines KZ´s war, bestätigen die Munitionsfunde: "Aufgrund von Gravuren ist klar, dass hier die Wehrmacht zur Bewachung der Zwangsarbeiter stationiert war und nicht die SS", so Wink, der weiteres Fundmaterial wie Keramik, Geschirr, Hygieneartikel wie Zahnpastatuben, Münzen, Knöpfe und eine französische Taschenuhr präsentierte.

 

Mag. Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt erläuterte das Ausmaß der Grabungsfläche und die vorgefundenen Gebäudereste von Arbeiterbaracken und den besser ausgestatteten Bebäude der Bewacher. Betroffen reagierte Bürgermeister Herbert Rieder (Bild Mitte). Aus den gefundenen Gegenstände lassen sich Rückschlüsse auf das Leben im Lager ziehen.

"Das NS-Regime hat schon 1936 und 1937 in Österreich Kraftwerke geplant und nach dem Anschluss 1938 ans Deutsche Reich wurde mit dem Kraftwerksbau in Kirchbichl begonnen", berichtete der Historiker Andreas Schreder. Die Kraftwerke in Tirol standen zur damaligen Zeit ebenso wie andere Energieerzeuger im Einflussbereich der 1938 neu gegründeten Alpenelektrowerke AG. Erst wurden von den deutschen Arbeitsämtern im Zuge der Rassenideologie "freiwillige Wanderarbeiter" aus Polen vermittelt, ab dem Kriegsbeginn 1939 kamen zunehmend Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter zum Einsatz, wobei diese aus Frankreich, Belgien und dem Osten kamen. Wieviele Zwangsarbeiter hier lebten, geht aus den archäologischen Grabungen nicht hervor.

"Die wissenschaftliche Aufarbeitung beschränkt sich nicht nur auf die archäologischen Funde, sondern zieht auch andere Quellen wie Archive, Fotos und Zeitzeugen heran", teilte Johann Pöll vom Bundesdenkmalamt mit, das der TIWAG auferlegte, die Kulturgüter zu erfassen und die wissenschaftliche Bodenuntersuchung durchzuführen. "Das Lagergelände ist jetzt Gewerbegebiet. Es stellt sich nun die Frage, wie damit in Zukunft umgegangen wird. Ein Teil kann beim Kraftwerksbau erhalten bleiben. Es geht darum, Informationen zu vermitteln, vor Ort zu erinnern."

Betroffen meldete sich Kirchbichls Bürgermeister Herbert Rieder zu Wort. Es sei wichtig, die schrecklichen Ereignisse aufzuzeigen, nichts zu verschweigen. "Hier sind Menschen zu Tode gekommen", so Rieder, der bei der Errichtung eines Mahnmales die Bevölkerung einbeziehen will. Die Todesfälle waren zwei Hinrichtungen von polnischen Zwangsarbeitern aus dem Lager im "Hoadara Wald". Ihre Liebesbeziehung zu zwei einheimischen Frauen wurde mit der Hinrichtung durch Erhängen bestraft. "Die Frauen wurden für 16 Monate in die Konzentrationslager Ravensbrück und Ausschwitz eingeliefert", informierte Schreder. Aus dem 2. Lager beim Wehr seien keine Todesfälle bekannt. Wieviele Zwangsarbeiter tatsächlich hier eingesetzt waren, müssen weitere Recherchen ergeben. Schreder wies im Hinblick auf die historische Aufarbeitung und Erinnerungskultur auch auf das Durchgangslager in Wörgl - Söckingen hin: "Da wo heute drei Wohnblocks stehen, war ein Durchgangslager, durch das mit 31 Transporten 31.700 Personen durchgeschleust wurden, zum Teil auch für Zwangsarbeitseinsätze in Oberbayern." Heute erinnere dort nichts mehr daran.

"Wir als TIWAG leisten unseren Beitrag zur historischen Aufbereitung, wir haben dazu eine Verpflichtung", erklärte Herdina mit dem Hinweis darauf, dass die TIWAG nach dem Krieg die Kraftwerksanlagen wieder übernommen hat. Weite Teile der Ausgrabungen erfolgten aufgrund der Sensibilität der Bodenschichten manuell. Die untersuchte Gesamtfläche beträgt in etwa 1660 m². „Der ehemalige Bestand des Lagers ist mittels historischer Archivdokumente – darunter Schriftstücke, Bilder, Pläne – dokumentiert, sodass über die einstigen Gebäude des Lagers bereits vor unseren Grabungsarbeiten Informationen vorlagen. Die Menge an archäologischen Funden, in Summe etwa 40 Kisten, umfasst zum Teil genau datierbare Zeugnisse, vor allem in Form von Werkzeugen und aus dem häuslichen Bereich, aber auch monetäre Funde und Militaria. Über sie lassen sich nun noch detailliertere Aussagen zu den damaligen Lebensumständen – sowohl der Opfer als auch der Täter – treffen“, erläutert Mag. Karsten Wink, Geschäftsführer und Archäologe der Grabungsfirma ARDIS. Die Fundstücke werden an das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum übergeben,  die TIWAG will zur Erinnerung an den Leidensweg der Zwangsarbeiter ein Mahnmal errichten.

30 Jahre Leben in 10 Zentimeter Boden - beim Lokalaugenschein vor Ort erläuterten die Archäologen die freigelegten Gebäudestrukturen, zu denen auch ein Kellerraum in der "Führerbaracke" zählte. Vermutlich wurden hier Waffen aufbewahrt. Nach dem Krieg dienten die Baracken noch als Wohnungen für TIWAG-Mitarbeiter bis in die 1960er Jahre. Weitere Bilder hier....