Kommentare (0)

Wörgl hat Vorreiterrolle im Bezirk Kufstein: Erster alevitischer Religionsunterricht
vero / 19.12.2014 14:19
Bewertungen 0
Wörgl  Religion  Aleviten  Volksschule  Schule  Religionsunterricht 

 

Am 17. Dezember 2014 fand der erste alevitischen Religionsunterricht in der Religionsklasse der Volksschule Wörgl statt, der mit einer religiösen Zeremonie geleitet von Dede Dursun Camyurdu - im Bild links mit Özgür Erdogan vom Bundesvorstand der Islamisch Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Ein sehr wichtiger Tag für die Glaubensgemeinschaft, wie die Lehrerin Yaprak Tohumci  und Özgür Erdogan vom Bundesvorstand der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich betonten. „Das ist ein historisches Ereignis für die Aleviten, die weltweit nur in Österreich auf staatlicher Ebene als Religionsgemeinschaft anerkannt sind“, so Erdogan."Wir sind dafür sehr dankbar." Die Glaubensgemeinschaft der Aleviten hat ihre Wurzeln im 13., 14. Jahrhundert in Anatolien. Die islamische Glaubensrichtung wurde im Mai 2013 in Österreich als eigenständige Glaubensgemeinschaft anerkannt. Obwohl in der Türkei 20 bis 30 Millionen Aleviten leben, ist das dort nicht der Fall.

Im 13. Jahrhundert folgten die Aleviten bereits dem Rat ihrer Lehrer "Bildet eure Frauen aus!", teilte Özgür Erdogan mit und freute sich, dass in Wörgl "eine Frau diesen Weg gefunden und die Ausbildung zur Religionslehrerin gemacht hat." Der alevitische Religionsunterricht für die beiden Volksschulen in Wörgl ist der einzige im Bezirk Kufstein, in dem schätzungsweise 2.500 der bundesweit rund 80.000 Mitglieder zählenden Glaubensgemeinschaft leben. Die erste Religionsstunde von Yaprak Tohumci wurde mit dem Ritual eröffnet, das alle alevitischen Gottesdienste begleitet - dem Entzünden der Kerzen durch den "Dede" Dursum Camyurdu. Das Licht solle die Seelen erleuchten und gilt als wichtiges Symbol.

 

Lieder sind zentraler Bestandteil der alevitischen Gottesdienste, ebenso das Teilen des Brotes, zu dem ein Gabengebet gesprochen wird.

Erfreut von der Vorreiterrolle erklärte Bürgermeisterin Hedi Wechner, der Religionsunterricht sei eine wertvolle Ergänzung – die Grundsätze der Aleviten wie Toleranz, Friede und Offenheit seien wichtig für das friedliche Zusammenleben aller. Auch Wörgls Stadtpfarrer Theo Mairhofer begrüßte den neuen Religionsunterricht: "Alle Religionen sind Wege zu Gott, alle verbindet die Sehnsucht nach Frieden." Mairhofer und Wechner verurteilten Terrorakte im Namen von Religionen. Der Wert einer Religion hänge aber nicht davon ab, was die Menschen daraus machen, erklärte Mairhofer und sieht durch den neuen Religionsunterricht die Chance, dass ein tiefes Verständnis wachsen kann und damit ein Beitrag zum Frieden in der Welt geleistet wird.

Ali Tohumcu, Obmann des alevitischen Vereins dankte der Stadt für die Einrichtung des Religionsunterrichtes und appellierte an die Eltern, die Kinder auch hinzuschicken.

 

Zu den religiösen Riten der Aleviten zählt bei den Gottesdienstes das Entzünden von Kerzen und das Teilen von Brot, beides wurde auch bei der 1. Religionsstunde in Wörgl praktiziert – im Bild Mitte v.l. Stadtpfarrer Theo Mairhofer, Bgm. Hedi Wechner, VS1-Dir. Isabella Mölk, Dede Dursun Camyurdu, Religionslehrerin Yaprak Tohumci, Özgür Erdogan und hinten Ali Tohumci, Vereinsobmann in Jenbach.

Hintergrund-Info: 

DAS ALEVITENTUM

Wir Aleviten bilden eine eigenständige Glaubensgemeinschaft innerhalb des Islam. Geprägt ist unsere religiöse Überzeugung durch ein eigenständiges Koranverständnis und eine starke Verbundenheit zur Prophetenfamilie (Ehlibeyt). Das Amt des „Dede“, also dem hohen Geistlichen, ist den Nachkommen aus der Familie des Propheten Muhammed vorbehalten.

Zu unseren Glaubensgrundlagen gehört aber genauso die Anerkennung sämtlicher Menschen als gleichrangig in der Schöpfung Gottes. Dies bestimmt auch das Verhältnis zwischen Frauen und Männern, jungen und alten Menschen. Der Gottesdienst (Cem) wird nicht in Moscheen, sondern im Versammlungshaus (Cemevi) abgehalten.

 Den Zeremonien geht eine Befragung der Gemeinde (Versöhnung = Rizalik) voraus, diese dient der Konfliktlösung - denn nur unter der Bedingung sozialen Friedens können die Glaubensrituale der Alevitengemeinschaft beginnen. Diese Befragung der Anwesenden und die Schlichtung etwaiger Unstimmigkeiten eröffnet auch jede Einheit des Religionsunterrichts.

In Wörgl erhalten derzeit 9 PflichtschülerInnen deutschsprachig-alevitischen Glaubensunterricht. Die Religionslehrerin der Aleviten werden seitens der religiösen Würdenträger ALEVI, durch die Gemeinde selbst und durch akademisch ausgebildete Religionspädagogen ihres Glaubens ausgebildet. Das Einverständnis des zuständigen "Dede" Dursun Camyurdu ist Voraussetzung der Lehrbefugnis.

Die Geschichte der Aleviten ist über weiteste Strecken bestimmt durch Ausgrenzung bis hin zu grausamer Verfolgung durch andere islamische Glaubensrichtungen bis zum Ende des osmanischen Reiches. Noch heute ist die zahlenmäßig sehr starke Gruppe dieses Bekenntnisses (etwa zwanzig Prozent allein in der der türkischen Bevölkerung) aber auch am Balkan und in den türkmenischen Ländern vertreten, in der Türkei religiös nicht anerkannt, verfolgt und unterdrückt. Weitere Informationen über das Alevitentum siehe www.alevi.at/de/?page_id=381

Mit der staatlichen Anerkennung der Aleviten, am 22. Mai 2013, hat sich Österreich zu einem weltweiten Vorreiter etabliert. Weltweit haben die Aleviten nur in Österreich diesen Status (gesamtstaatlich) inne. Die „Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (ALEVI) vertritt und repräsentiert den Alevitischen Glauben in unserer neuen Heimat Österreich und stellt somit das Sprachrohr der rund 80.000 in Österreich ansässigen AlevitenInnen dar. In Tirol leben etwa 10.000 AlevitInnen. Weitere Informationen siehe www.aleviten.at

Autor: Özgür Erdogan