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Wirtschaftskunde-Unterricht am BRG Wörgl einmal anders - Herbert Salcher beantwortete SchülerInnenfragen |
Mit großer Aufmerksamkeit folgten die SchülerInnen der 7a-Klasse des BRG Wörgl den Ausführungen von Herbert Salcher, Finanzminister von 1981 bis 1984 und stellten ihre Fragen.
"Wir behandeln gerade unterschiedliche Ansätze der Wirtschaftspolitik und fanden es deshalb spannend, jemand aus einer vom Keynesianismus geprägten Zeit im Gegensatz zur neoliberal angelehnten Wirtschaftspolitik heute einzuladen", erklärt Geografie- und Wirtschaftskundelehrer Mag. Peter Traxler.
Lebenserfahrung gepaart mit Wissen und der Gabe, das alles spannend und interessant zu erzählen - Ex-Finanzminister Herbert Salcher fiel es dann auch nicht schwer, die volle Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu erhalten. Zu Kreiskys Regierungszeit verfolgte Österreich den keynesianischen Ansatz, durch staatliche Nachfrage die Konjunktur anzukurbeln.
Auf die Frage "Würde Kreiskys Politik heute noch funktionieren?" lautete Salchers Antwort: "Theorethisch ja, es wäre möglich, aber nicht unverändert. Politik soll Handlungsanleitungen für heute geben, die Zukunft gestalten, aber nicht die Vergangenheit fortsetzen." Der 78Jährige rechtfertigte die "Schuldenpolitik" der Kreisky-Ära mit einem Rückblick in Österreichs Geschichte. Das Trauma der Sozialdemokraten sei Österreichs Vergangenheit nach dem Ersten Weltkrieg gewesen - ein Staat, den niemand wollte, in dem die Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren zu hoher Arbeitslosigkeit führte. So stand beim Öl-Schock in den 1980er Jahren das Schreckgespenst hoher Arbeitslosigkeit vor der Tür, das man mit drei Beschäftigungsprogrammen draußen halten wollte.
Zur Vorsicht rät der Ex-Politiker in der Frage des EU-Beitrittes der Türkei. Die heuer neu hinzu gekommenen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien seien zwar auch nicht EU-reif, die große Frage sei allerdings die Mitgliedschaft der Türkei, an der die USA großes Interesse zeige. Die Türkei sei NATO-Staat und mit einem Beitritt würde die EU mitverantwortlich für den Irak, Syrien und den Iran. Die Frage sei, ob die EU-Wirtschaft die Aufnahme der Türkei verkraften würde. Salcher zog als Vergleich den Zusammenschluss von BRD und DDR heran: "Die Deutschen kauen heute noch an der Wiedervereinigung. Ein Vielfaches an Problemen würde die im Vergleich zum europäischen Durchschnitt unterentwickelte Wirtschaft der Türkei mit sich bringen", so Salcher, der die Türkei auch hinsichtlich religiöser und politischer Grundvoraussetzungen als nicht EU-reif erachtet. Er warnt vor diesem Schritt, bevor die Zeit dafür nicht reif sei.
Als "sehr gescheite, aber sehr schwer zu beantwortende Frage" deklarierte Salcher jene, ob er das Ende des Kapitalismus sehe. Und zog sich auf philosophischen Boden zurück - die Gesellschaft entwickle sich in dialektischen Gegensätzen. Wenn der Shareholder Value und damit die Kapitalinteressen immer mehr zum Maßstab würden, komme es an den Punkt, wo die Arbeitnehmer Widerstand leisten. So könne es zu einer schrittweisen Veränderung kommen. Im Zuge der jetzigen Globalisierung stehe den international organisierten Banken und dem Kapital noch keine Gegenkraft gegenüber. Die Gewerkschaften seien machtlos, bestenfalls länderweise organisiert. Den Privatkapitalismus abzuschaffen und gegen einen kommunistischen Staatskapitalismus einzutauschen sei auch keine Lösung.
Leichter tat sich der ehemalige hochrangige SPÖ-Politiker bei der Frage, wie er denn die jetzige Regierung beurteile. Gut kam Gusenbauer und sein Team dabei nicht weg. Salcher fehlt "die Aufbruchstimmung" ebenso wie "die Autorität des Kanzlers". Es werde viel zu viel um Kleinigkeiten diskutiert. Er vermisse die Zusammenarbeit, dass "auch mit dem Kopf des anderen gedacht wird", um Lösungen zu erarbeiten. Salcher: "Wenn die Regierung so weitermacht in der öffentlichen Präsentation, wäre jede andere Konstellation als eine große Koalition besser."
An eine sehr schwierig zu beantwortende "Journalistenfrage" fühlte sich Herbert Salcher erinnert, als er gefragt wurde, was er finanz- und gesundheitspolitisch erreicht habe: "Einer allein macht nichts - die Regierung macht es." Als erstes zählte er da die "Salcher-Polizze" auf - jene Lenkungsmaßnahme, mit der sich der Finanzminister die Versicherungswirtschaft an die Brust nahm und Steuergeld in Beschäftigungsprogramme umleitete. Dann war da die Einführung des Mutter-Kind-Passes, mit dem die Säuglingssterblichkeit halbiert wurde. Die Geburtenbeihilfe wurde in seiner aktiven Politikerzeit ebenso eingeführt wie die Vorsorgeuntersuchungen, die Schülerfreifahrt, die kostenlose Schulbuchaktion oder Lotto-Toto und die Kapitalertragssteuer, damals noch 7,5 %. Zur Bildungsoffensive zählte der Bau vieler Schulen.
Als die Pausenglocke die Schulstunde beendete, waren leider längst nicht alle vorher schon von der Klasse ausgearbeiteten Fragen gestellt - etwa jene nach der Staatsverschuldung und wie man damals vorhatte, diese wieder abzubauen. Aber vielleicht gibt´s ja noch einmal Gelegenheit für eine lebendige Diskussionsstunde mit Herbert Salcher.