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Kommentar zum Wörgler Perchten-Verbot von Veronika Spielbichler |
Was ist Tiroler Brauchtum und was ist nicht mehr Tiroler Brauchtum? Diese Frage beschäftigt nach den Einschränkungen der Wörgler Stadtführung fürs diesjährige Perchtentreiben in der Stadt nicht nur die jungen Perchtengruppen selbst. Hörner nicht länger als 40 Zentimeter und kein Feuer - weder als bengalisches Feuer noch als Rauch. Begründet wird das Verbot mit der Tradition und dem Argument der Sicherheit - dass es im vergangenen Jahr Verletzte gegeben hätte.
Sehen wir uns also die Argumente genauer an. Perchten tragen Gewänder aus Maiskolbenblättern. Mais ist bekanntlich keine ursprüngliche Tiroler Vegetation, sondern ziert unsere Äcker erst seit der Entdeckung Amerikas. Ah, man könnte bei dem Argument "zurück zu den Wurzeln" dann vielleicht noch einwenden, dass Mais ja mittlerweile "eingebürgert" ist, weil er ja hier wächst. Aber was ist dann mit den Autotanks, auf denen frisch drauf los getampert wird? Die hat´s zum sozusagen nachweislichen Beginn des Perchtenbrauchtums im Tiroler Unterland sicher auch noch nicht gegeben. Und hergestellt werden sie nach wie vor nicht in Tirol. Was die Exotik der Hörner betrifft - beim üblichen Weihnachtsbrauchtum stört´s niemanden, dass weder Zimt noch Weihrauch noch Zitrusfrüchte in unseren Breiten wachsen.
Dann wäre da noch das Argument, dass Feuer nicht zum Brauchtum gehöre. Wie war das doch gleich noch mal mit den Rauhnächten, in denen die Ställe und Wohnungen mit Weihrauch gereinigt werden? In Alpbach waren es über Jahrhunderte die Rauhnächte, in denen die Perchten über die Felder zogen. Feuer zur Sonnenwende - ein Brauch, überliefert aus vorchristlicher Zeit. Es ist kein Zufall, dass die katholische Kirche ihre Feiertage nach diesen heidnischen Ritualen einrichtete: drei Tage nach der Wintersonnenwende feiern wir Weihnachten, drei Tage nach der Sommersonnenwende den Heiligen Johannes. Von den Osterfeuern ganz zu schweigen.
Schauen wir uns also mal die Sicherheits-Argumente an. "Keine besonderen Vorkommnisse" meldete das Bezirkspolizeikommando nach dem Perchtentreiben 2006 (siehe Bericht auf vero-online.info vom 7. Dezember 2006 - hier anklicken). Wenn man sich jetzt auf Verletzte beruft - hier die Anzeigen vom Vorjahr: Die Polizei registrierte in Zusammenhang mit dem Spektakel rund um den Krampus- und Nikolaustag zwei Unfälle. Am 4. Dezember erlitt eine Frau in Wörgl leichte Verbrennungen durch eine "Baby-Rakete", die ein Kind in die Luft geworfen hatte. Der Feuerwerkskörper war in die Kleidung der Passantin gefallen. In der Wildschönau sprangen zwei Krampusse in der Dunkelheit in ein Auto, überstanden den Zwischenfall aber unverletzt.
Für die Menschenmassen bei Perchtenauftritten und Umzügen ist die Vorjahresbilanz ein sogar sehr gutes Zeugnis für die Disziplin der jungen Brauchtumspfleger! Wird hier vielleicht Sicherheit mit zweierlei Maß gemessen? Für die Fußball-Europameisterschaft rechnet das Rote Kreuz Kärnten bei einem Spiel mit 400 bis 500 Verletzten! Da gibt´s Sicherheitskonzepte - warum verbietet man bei dem Gefährdungspotenzial nicht gleich den Fußball?
Und was den Alkohol-Konsum angeht - auch hier misst unsere Gesellschaft gern mit zweierlei Maß. Solange Straßen mit Schnaps-Zuprostungen - siehe Eröffnung der B178 - "eingeweiht" werden (don´t drink and drive!) kommen erhobene Zeigefinger bei der Jugend mehr als schlecht rüber. Das Glaubwürdigkeitsdefizit mit Verboten ausgleichen zu wollen erinnert ein wenig ans 19. Jahrhundert - womit wir wieder bei der Tradition wären. Nur wollen wir wirklich alle Traditionen fortführen? Die Prügelstrafe wurde ja mittlerweile auch abgeschafft.
Wenn wir uns zu Brauchtum bekennen, so sollte es auf seine Tauglichkeit hin hinterfragt werden. Menschen brauchen Rituale. Und was unsere Jugend braucht, sind Rituale zum Umgang mit Gewalt. Damit werden sie jeden Tag in den Medien und durch wachsenden Leistungsdruck konfrontiert. Das neu erwachte Perchtenbrauchtum nützt Aggression als positive Kraft, lenkt sie in einen kreativen Prozess. Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Trance- und Rauscherfahrungen - und schließlich war das zu vermitteln auch über Jahrhunderte Hintergrund unseres Brauchtums - und der Mystiker in den Religionen.
Gerade beim Thema Alkohol sind da die Grenzen fließend - vom Gebrauch zum Missbrauch. Wobei letzterer - siehe die Exzesse beim Perchtentreff in St. Johann - vor allem bei den konsumierenden Zuschauern registriert wurde. Als Rezept gegen "unkontrolliertes Volllaufen lassen, wie wir es jetzt in dieser Vermarktungsgesellschaft erleben", empfiehlt der Innsbrucker Wissenschafter Bernhard Rathmayr die Rückkehr zum "ritualisierten Konsum". Im TT-Interview nach den Alkohol-Exzessen in St. Johann stellte er fest, dass unser Brauchtum "entweder einen Bezug zur Gegenwart findet oder ausstirbt."
Die junge Perchten-Szene hat ihren Bezug zur Gegenwart und macht, was auch unsere Vorfahren getan haben: Sie vertreibt böse Geister, mit streng reglementierten Ritualen und in der Szene geltenden Gesetzen, die sie sich selber geben. Wer sich nach der "guten alten Zeit" sehnt, sollte ins Museum oder in jene Gebiete gehen, in denen man freiwillig die alten Perchten-Rituale weiterführt. Wörgl kann sich entscheiden, ob es eine Schlaf- und Konsumstadt mit Museumscharakter oder eine lebendige junge Stadt sein will, die Weiterentwicklung zulässt und beim Auftreten von Konflikten im Sinne der von allen beschlossenen LA21 mit den Betroffenen eine Lösung sucht. Diese durch Verbote in die Illegalität drängen und kriminalisieren ist jedenfalls keine im Sinne der Jugend.
Sehen wir uns also die Argumente genauer an. Perchten tragen Gewänder aus Maiskolbenblättern. Mais ist bekanntlich keine ursprüngliche Tiroler Vegetation, sondern ziert unsere Äcker erst seit der Entdeckung Amerikas. Ah, man könnte bei dem Argument "zurück zu den Wurzeln" dann vielleicht noch einwenden, dass Mais ja mittlerweile "eingebürgert" ist, weil er ja hier wächst. Aber was ist dann mit den Autotanks, auf denen frisch drauf los getampert wird? Die hat´s zum sozusagen nachweislichen Beginn des Perchtenbrauchtums im Tiroler Unterland sicher auch noch nicht gegeben. Und hergestellt werden sie nach wie vor nicht in Tirol. Was die Exotik der Hörner betrifft - beim üblichen Weihnachtsbrauchtum stört´s niemanden, dass weder Zimt noch Weihrauch noch Zitrusfrüchte in unseren Breiten wachsen.
Dann wäre da noch das Argument, dass Feuer nicht zum Brauchtum gehöre. Wie war das doch gleich noch mal mit den Rauhnächten, in denen die Ställe und Wohnungen mit Weihrauch gereinigt werden? In Alpbach waren es über Jahrhunderte die Rauhnächte, in denen die Perchten über die Felder zogen. Feuer zur Sonnenwende - ein Brauch, überliefert aus vorchristlicher Zeit. Es ist kein Zufall, dass die katholische Kirche ihre Feiertage nach diesen heidnischen Ritualen einrichtete: drei Tage nach der Wintersonnenwende feiern wir Weihnachten, drei Tage nach der Sommersonnenwende den Heiligen Johannes. Von den Osterfeuern ganz zu schweigen.
Schauen wir uns also mal die Sicherheits-Argumente an. "Keine besonderen Vorkommnisse" meldete das Bezirkspolizeikommando nach dem Perchtentreiben 2006 (siehe Bericht auf vero-online.info vom 7. Dezember 2006 - hier anklicken). Wenn man sich jetzt auf Verletzte beruft - hier die Anzeigen vom Vorjahr: Die Polizei registrierte in Zusammenhang mit dem Spektakel rund um den Krampus- und Nikolaustag zwei Unfälle. Am 4. Dezember erlitt eine Frau in Wörgl leichte Verbrennungen durch eine "Baby-Rakete", die ein Kind in die Luft geworfen hatte. Der Feuerwerkskörper war in die Kleidung der Passantin gefallen. In der Wildschönau sprangen zwei Krampusse in der Dunkelheit in ein Auto, überstanden den Zwischenfall aber unverletzt.
Für die Menschenmassen bei Perchtenauftritten und Umzügen ist die Vorjahresbilanz ein sogar sehr gutes Zeugnis für die Disziplin der jungen Brauchtumspfleger! Wird hier vielleicht Sicherheit mit zweierlei Maß gemessen? Für die Fußball-Europameisterschaft rechnet das Rote Kreuz Kärnten bei einem Spiel mit 400 bis 500 Verletzten! Da gibt´s Sicherheitskonzepte - warum verbietet man bei dem Gefährdungspotenzial nicht gleich den Fußball?
Und was den Alkohol-Konsum angeht - auch hier misst unsere Gesellschaft gern mit zweierlei Maß. Solange Straßen mit Schnaps-Zuprostungen - siehe Eröffnung der B178 - "eingeweiht" werden (don´t drink and drive!) kommen erhobene Zeigefinger bei der Jugend mehr als schlecht rüber. Das Glaubwürdigkeitsdefizit mit Verboten ausgleichen zu wollen erinnert ein wenig ans 19. Jahrhundert - womit wir wieder bei der Tradition wären. Nur wollen wir wirklich alle Traditionen fortführen? Die Prügelstrafe wurde ja mittlerweile auch abgeschafft.
Wenn wir uns zu Brauchtum bekennen, so sollte es auf seine Tauglichkeit hin hinterfragt werden. Menschen brauchen Rituale. Und was unsere Jugend braucht, sind Rituale zum Umgang mit Gewalt. Damit werden sie jeden Tag in den Medien und durch wachsenden Leistungsdruck konfrontiert. Das neu erwachte Perchtenbrauchtum nützt Aggression als positive Kraft, lenkt sie in einen kreativen Prozess. Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Trance- und Rauscherfahrungen - und schließlich war das zu vermitteln auch über Jahrhunderte Hintergrund unseres Brauchtums - und der Mystiker in den Religionen.
Gerade beim Thema Alkohol sind da die Grenzen fließend - vom Gebrauch zum Missbrauch. Wobei letzterer - siehe die Exzesse beim Perchtentreff in St. Johann - vor allem bei den konsumierenden Zuschauern registriert wurde. Als Rezept gegen "unkontrolliertes Volllaufen lassen, wie wir es jetzt in dieser Vermarktungsgesellschaft erleben", empfiehlt der Innsbrucker Wissenschafter Bernhard Rathmayr die Rückkehr zum "ritualisierten Konsum". Im TT-Interview nach den Alkohol-Exzessen in St. Johann stellte er fest, dass unser Brauchtum "entweder einen Bezug zur Gegenwart findet oder ausstirbt."
Die junge Perchten-Szene hat ihren Bezug zur Gegenwart und macht, was auch unsere Vorfahren getan haben: Sie vertreibt böse Geister, mit streng reglementierten Ritualen und in der Szene geltenden Gesetzen, die sie sich selber geben. Wer sich nach der "guten alten Zeit" sehnt, sollte ins Museum oder in jene Gebiete gehen, in denen man freiwillig die alten Perchten-Rituale weiterführt. Wörgl kann sich entscheiden, ob es eine Schlaf- und Konsumstadt mit Museumscharakter oder eine lebendige junge Stadt sein will, die Weiterentwicklung zulässt und beim Auftreten von Konflikten im Sinne der von allen beschlossenen LA21 mit den Betroffenen eine Lösung sucht. Diese durch Verbote in die Illegalität drängen und kriminalisieren ist jedenfalls keine im Sinne der Jugend.