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Lebensadern aus Stahl: 150 Jahre Eisenbahn
Wörgl feiert gern. Und hat für 2008 einen besonderen Anlass gefunden: 150 Jahre Eisenbahn. 1858 dampfte nach dreijähriger Bauzeit das erste Stahlross der Bahnlinie Kufstein Innsbruck durchs Inntal. Mit dem Bau der Giselabahn 1873 bis 1875 von Wörgl nach Salzburg rückte Wörgl als Knotenpunkt der Bahnlinien aus allen Himmelsrichtungen ins Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung des Tiroler Unterlandes.
Wer heute bequem in geheizten Zügen durch die Landschaft gleitet denkt nicht mehr an die Geschichte des Bahnbaues, die Reinhard Mey treffend in seiner Eisenbahnerballade besingt: „Und bald fauchte das Dampfroß funkensprühend übers Land. Manch neue Industrie und manch Imperium entstand. Manch unschätzbarer Reichtum, doch an jedem Meter Gleis, jeder Brücke, jedem Tunnel klebten Tränen, Blut und Schweiß.“
So findet sich in Kufstein das Grab eines Mannes, der als Visionär die Bedeutung der Eisenbahn für die Entwicklung der Volkswirtschaft erkannte, dem aber die Anerkennung dafür versagt blieb: Friedrich List. Der deutsche Gelehrte, der mit seinen Wirtschaftstheorien ebenso in die Geschichte einging wie mit dem Bau der ersten deutschen Fernreise-Bahnstrecke von Leipzig nach Dresden, die 1839 in Betrieb ging.
Friedrich List diente das amerikanische Eisenbahnwesen als Vorbild. Er entwickelte zahlreiche Pläne für deutsche Bahnlinien und gründete zur Bewerbung seiner eisenbahnpolitischen und weiteren ökonomischen Ideen 1835 das „Eisenbahnjournal und National-Magazin für die Fortschritte in Handel, Gewerbe und Ackerbau“, von dem bis 1837 vierzig Ausgaben erschienen sind. Trotz seiner Verdienste um den Bahnbau erfüllten sich seine Träume von einer leitenden Position im deutschen Eisenbahnwesen nicht. Er fungierte zwar als Ideengeber, hatte aber selbst von seinem Engagement keinen materiellen Vorteil.
List erlitt das Schicksal vieler Visionäre – verkannt zu Lebzeiten, sowohl was seine wirtschaftstheoretischen Arbeiten als auch seine Bahnpläne betraf, nahm er sich am 30. November 1846 in Kufstein das Leben.
Nicht einmal ein Jahrzehnt nach Lists Tod begann die Verwirklichung seiner prophetischen Pläne. 1855 startete unter der Leitung von Dr. Carl Ritter von Ghega der Bau der Strecken Innsbruck-Wörgl und Wörgl-Kufstein. Zeitgleich errichteten die benachbarten Bayern die Bahnlinien München-Rosenheim-Kufstein und Rosenheim-Salzburg. Der Bau der Tiroler Strecke geht bis auf den Einsturz eines Brückenpfeilers während eines Hochwassers in Kirchbichl ohne Zwischenfälle zügig voran. Am 24. November 1858 feierte das ganze Land den technischen Fortschritt: Hatte eine Postkutsche bis dahin von Innsbruck nach Kufstein 20 Stunden benötigt, so schaffte es das Dampfross jetzt in dreieinhalb Stunden.
Der wirtschaftliche Aufschwung für Wörgl setzte mit dem Bau der Giselabahn durchs Brixental nach Salzburg ein. Die innerösterreichische Ost-West-Verbindung wurde nach der Kaiserstochter benannt. Warum die Bahnlinie damals nicht über die 100 Kilometer kürzere Strecke über Söll, Ellmau und Scheffau nach St. Johann geführt wurde, zählt zu den unbeantworteten Fragen der Geschichte.
Fest steht allerdings, dass die Brixentaler keine rechte Freude mit dem Bahnbau hatten und sozusagen zwangsbeglückt wurden. Mit Ausnahme von Itter. Der Bürgermeister wollte eine Bahnstation im Ort, was aber aus technischen Gründen nicht möglich war. Der Streckenverlauf blieb im Tal und stellte sich besonders zwischen Hopfgarten und Westendorf als schwierig heraus. Blutzoll forderte im Juli 1874 der Einsturz des Itterer Tunnels, bei dem 13 Arbeiter ums Leben kamen.
Die Glanzzeit der Eisenbahn-Ära erlebte Wörgl um 1900, als die exklusive internationale Pariser Schlafwagengesellschaft, bekannt durch den Orientexpress, einen Stützpunkt mit eigens erbauter Remise in Wörgl betrieb. Stolz waren die Wörgler auch auf den Kaiser-Besuch 1909 (Foto aus dem Wörgler Heimatmuseum). Seine Majestät nahm hier die Huldigung der Bezirke Kufstein und Kitzbühel entgegen. Er hatte seine Fahrt zu den 100 Jahr-Tiroler-Freiheitskampf-Feierlichkeiten in Innsbruck unterbrochen.
Während des Ersten Weltkrieges erreichte das Verkehrsaufkommen dann Rekordhöhen, der gesamte Nachschub für die Tiroler Südfront rollte durch Wörgl, wofür die Bahnanlagen entsprechend ausgebaut wurden. Diese wurden im Zweiten Weltkrieg Wörgl zum Verhängnis: Bomben machten das gesamte Bahnhofsgelände dem Erdboden gleich, 12 Menschen starben beim Luftangriff auf den Bahnhof am 23. Februar 1945.
Beim Wiederaufbau nutzte Wörgl dann die Chance, den Bahnhof näher ans Ortszentrum zu bauen. Und als am 20. Dezember 1950 noch vor dem Innsbrucker Bahnhof der Wörgler Bahnhof seiner Bestimmung übergeben wurde, lobte ihn die Presse landauf, landab als wahres Schmuckstück.
Link-Tipps für Eisenbahnfreunde:
Der Modelleisenbahnverein MEC Bruckhäusl stellt sich auf der Website www.mec-bruckhaeusl.at vor.
Interessantes über Elektroloks gibt´s auf www.elektrolok.de
Text: Veronika Spielbichler, abgedruckt in "Impulse Winter 2007/08"