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1. Wörgler Kulturgespräch am 8. April 2008 im Tagungshaus Wörgl |
Magere Beteiligung beim ersten Wörgler Kulturgespräch.
Als Kulturreferent Stadtrat Hannes Mallaun rund 30 Personen im Tagungshaus Wörgl zum ersten Wörgler Kulturgespräch begrüßte und sich als Initiator des Kulturentwicklungsprozesses vorstellte, blieben viele Stühle leer. Vertreter von Traditions-Kulturvereinen wie den Musikkapellen blieben ebenso fern wie die geladenen Migrantenvereine - einzig Atatürk-Obmann und IGZ-Geschäftsführer Kayahan Kaya war gekommen, verließ die Veranstaltung aber bereits vorzeitig. Wenig Resonanz fand die Einladung auch beim Kulturausschuss der Stadt - lediglich Ersatzgemeinderat Michael Zangerl von der Grünen GR-Fraktion und engagiertes Mitglied der Gaststubenbühne Wörgl war anwesend. Vom Wörgler Gemeinderat fand außer dem Kulturreferenten selbst niemand Zeit für den Abend, aus den Reihen der SPÖ-Fraktion nahm Ersatzgemeinderätin Melanie Untergantschnigg teil.
Viel Kultur - wenig Wertschätzung
Dass es um die Kultur in Wörgl weit weniger schlecht bestellt ist als um die LA21 ging aus den Ausführungen des Vortragenden hervor. Franz Kornberger hatte 29 Einzelgespräche mit Kulturschaffenden in der Stadt vorab geführt und präsentierte die Ergebnisse daraus. "Das dabei entstandene Bild zeigt große Widersprüchlichkeit", leitete er seinen Vortrag ein, in dem er zunächst auflistete, weshalb aus seiner Sicht der 2004 gestartete LA21-Arbeitskreis Kultur gescheitert ist.
Die Ursachen sah er in zu weit gesteckter Thematik ebenso wie im Misstrauen zwischen LA21-Aktiven und Politik, in Eigeninteressen versus Gesamtinteressen, in der nicht optimalen Betreuung, in ermüdenden Strukturdiskussionen, zu viel Augenmerk bei Formulierungen sowie darin, dass keine Projekte umgesetzt werden konnten.
Stärken und Schwächen-Analyse
Aus den Befragungen leitete Kornberger, der als heute selbständiger kommunaler Berater und Projektbegleiter auf 18 Jahre Erfahrung als Kulturreferent in Ebensee zurückblicken kann, Stärken und Schwächen des Wörgler Kulturlebens ab. Zu den Stärken zählen weit über den Ort hinaus international wahr genommene Initiativen wie die Academia Vocalis, das Komma und das Freigeld, eine starke junge Band-Szene sowie die professionelle Jugendarbeit durchs 2005 gestartete LA21-Jugendprojekt I-Motion und Wörgls städtische Jugendinitiativen.
Daraus würden sich auch Chancen für die Weiterarbeit ergeben, die als regionaler Kulturentwicklungsprozess auch das Umland einbinden sollte. "Dort ansetzen, wo Wörgl nicht austauschbar ist", rät Kornberger und listete als Themen dazu die Kelten, die antike Transitroute und das Freigeld als spannenden Ansatz auf.
Identitätsproblem - Stadt und/oder Dorf?
Die Frage, ob sich Wörgl als Stadt oder Dorf verstehe, wurde für ihn nicht klar: "Die Sperrstunde um 2 Uhr gibt´s im Dorf, ebenso fehlen typisch städtische Einrichtungen." Die Drogen- und Integrationsproblematik sei hingegen stadtspezifisch.
Die vielen Gesprächsrunden brachten auch Kritik am Wörgler Kulturleben zu Tage. Bemängelt wurde, dass die Politik zugunsten des Handels über die Kultur drüberfahre, nach dem Freigeldjahr eine Sättigung zu diesem Thema bestehe, die kulturelle Autonomie im Falle der Perchten fehle, Politiker sich zulasten der LA21 profilieren (Meilensteine) sowie Konflikte aufgrund persönlicher Animositäten bestehen. Als Defizit werde das Fehlen eines Ortes für Literatur sowie für Ausstellungen der bildenden Kunst wahr genommen sowie die schwache Präsenz von Kunst im öffentlichen Raum.
Kritik entzünde sich auch vermehrt an der Subventionspolitik der Stadt. Hier gäbe es viel Unsicherheit, wenig Transparenz, das Empfinden von fehlender Gerechtigkeit sowie des Trends, Fördergelder zu kürzen, aber auf der anderen Seite auch Geldvernichtung zu betreiben.
Hardware & Software...
"Wörgl braucht Hardware" lautete eine weitere, auch nicht neue Feststellung: hier stehen auf der Wunschliste eine Galerie, das Kulturschiff, ein großer Veranstaltungssaal, ein Open-Air-Gelände, die Nutzung des Astnersaals, Proberäume für Bands, der Neubau der Landesmusikschule sowie eines Probelokals für den Motettenchor.
Auch bei der benötigten, oftmals fehlenden Software kam Franz Kornberger großteils auf das gleiche Resultat wie der aufgelöste LA21-Kulturarbeitskreis: "Es fehlt die Wertschätzung für die Kultur und die Kulturschaffenden, was sich in der schwachen Präsenz von Politikern bei Veranstaltungen zeigt, sowie die Vernetzung." Als Negativbeispiel mit Symbolcharakter zitierte Franz Kornberger den Umgang der Stadt mit dem LA21-Projekt der Musikschule: "Hier besteht seit über einem Jahr der Wunsch, dass das Wörgl-Lied in der Telefonwarteschleife der Stadt erklingt - und das rennt halt nicht!"
Mehr Engagement benötige es auch in der interkulturellen Arbeit. An Kommunikation mangle es generell ebenso wie an Gesprächskultur, es werde zu wenig lösungsorientiert gearbeitet.
Aus der erstellten Bestandsaufnahme leitete Kornberger auch gleich noch einige Anregungen ab, beispielsweise die Einbindung der Kunst in die Initiative "Wörgl ist unsere Energie". Weiters die Förderung von Vernetzung, die Durchführung regelmäßiger Kulturgespräche, eine bessere Terminkoordination unter den Veranstaltern, Subventionstransparenz und gemeinsame Erarbeitung des Kulturprogramms.
Die Kultur erachtet Kornberger auch als Integrationschance, wobei die Ereignisse um Integrationszentrum und Integrationsbeirat "die Arbeit nicht gerade erleichtern", so Kornberger, der auch politischen Handlungsbedarf in der Nachbargemeinde sieht. Es dürfe der Politik nicht egal sein, wenn in Discos Migranten der Zutritt verwehrt wird.
Für die Weiterarbeit im Wörgler Kulturentwicklungsprozess, den Kornberger als Pilotprojekt für Tirol bezeichnete, sollen professionell moderierte Arbeitsgruppen gebildet werden, die nach Themen möglichst projekt- und umsetzungsorientiert ans Werk gehen sollen. Weitere Vorschläge sind eine Einbindung ins LEADER-Programm der EU, halbjährliche Kulturgespräche sowie Subventionsberichte.
Die Bildung konkreter Arbeitsgruppen war in der Einladung zum ersten Kulturgespräch angekündigt worden. Nach einer Wiederholung der wesentlichen Punkte durchs Anbringen von Zetteln auf Pinwänden unter Mithilfe von Wörgls LA21-Beauftragten Peter Warbanoff (Bild rechts) schlug Kornberger die Weiterarbeit in drei Arbeitsgruppen zu den Themen Kulturmarketing, Transparenz und Vernetzung sowie Jugendkultur und Integration vor, die noch vor dem Sommer starten sollten. Mit der Einladung, hier mitzuwirken, endete der Abend, bei dem das Publikum in der Statistenrolle bei der thematischen Zuordnung der Zettel auf der Pinwand mitreden durfte. Eine inhaltliche Diskussion war nicht vorgesehen. Einbringen könne man sich weiters bei einem geplanten Eintages-Workshop.
Wörgler Kulturpreis 2009 und Kulturpass für Einkommensschwache
Konkrete News für Wörgls Kulturschaffende kamen von Kulturrefent Hannes Mallaun, der die zweite Kulturpreisverleihung der Stadt für 2009 ankündigte, sowie von Tagungshausleiterin Edith Bertel. Sie stellte die neue Initiative "Kulturpass" im Rahmen der Initiative Hunger auf Kunst und Kultur vor. Diesen erhalten Menschen mit geringem Einkommen und erhalten damit freien Eintritt bei Kulturveranstaltungen, derzeit noch vorwiegend im Raum Innsbruck. Bertels Wunsch: "Es wäre schön, wenn auch in Wörgl möglichst viele Veranstalter mitmachen." Den Kulturpass stellt gegen Offenlegung der Einkommensverhältnisse die Caritas-Zentrale in Wörgl aus. Weitere Infos: www.hungeraufkunstundkultur.at
Die "Themenwolken" nach Zuordnung der Ergebnisse aus den 29 Einzelgesprächen, die Franz Kornberger geführt hatte.
Kommentar:
Die LA21 in Wörgl befindet sich im fünften Jahr nach der hoffnungsvollen Zukunftskonferenz im Dezember 2003 in Auflösung begriffen. Von den 10 gestarteten Arbeitskreisen sind gerade noch zwei aktiv, darunter der in Bruckhäusl aufgrund der ohnehin bestehenden Bürgerinitiative. Die wenigen erfolgreich umgesetzten Projekte lassen sich an einer Hand abzählen.
Der LA21-Bürgerbeteiligungsprozess scheiterte in Wörgl allerdings nicht an seinen Anliegen, mangelnden Ideen oder der Bereitschaft der Zivilgesellschaft, mit zu arbeiten, sondern an der Ignoranz und Ablehnung durch die Gemeindepolitik und arbeitsfeindlicher Rahmenbedingungen durch die Vorgaben vom Land.
Solange Parteipolitik vor Sachpolitik steht und mehr auf die Begünstigung der eigenen politischen Klientel geschielt wird als auf den Nutzen für alle Betroffenen, ist ein Bürgerbeteiligungsprozess zum Scheitern verurteilt. Solange die Mitarbeit von BürgerInnen als Konkurrenz zur eigenen Arbeit gesehen und in Schubladen gesteckt wird, weil man damit nicht auf "eigene Erfolge" verweisen kann, fühlen sich Menschen wenig motiviert, sich einzubringen. Solange bürokratisch aufgebaute Hürden für LA21-Projekte bestehen bleiben, bedient man sich lieber alter Verhaltensweisen - siehe Bau der Sprungschanzenanlage, die der eigentliche LA21-Initiator in Wörgl ganz ohne LA21 abwickelt.
Solange Politik und Verwaltung der Meinung sind, dass die LA21-Kriterien der Nachhaltigkeit - also sozialer und ökologischer Verträglichkeit sowie wirtschaftlicher Vertretbarkeit nur für die Bürgerprojekte und nicht für alle Projekte der Stadt gelten, fehlt einfach die Glaubwürdigkeit.
In zwei Jahren stehen die nächsten Gemeinderatswahlen an. Mich wundert es also nicht, dass sich jetzt die Politik für die Wiederbelebung der LA21 einzusetzen beginnt, dienten die vielen Bürgeranregungen ja schon einmal zur Befüllung von Wahlprogrammen und zur "Ruhigstellung" unerwünschter Kritiker. Ob sich die WörglerInnnen noch einmal dafür einspannen und einlullen lassen - man wird sehen.
Wörgls engagierter LA21-Beauftragter Peter Warbanoff versucht inzwischen für die auf ganzer Linie positive und zukunftsträchtige Idee der LA21 zu retten, was noch zu retten ist - Bürgerbeteiligung mit Minimalkonsens. Er kann zwar jetzt versuchen, als Steuermann die Richtung vorzugeben, aber rudern müssen die WörglerInnen selber - und zwar nicht nur wieder nur die BürgerInnen, sondern auch die PolitikerInnen. Sonst dreht sich das Schiff weiter im Kreis mit dem Resultat, dass keiner da ankommt, wo alle hinwollen - in eine lebenswerte Zukunft in einer intakten Umwelt.
Veronika Spielbichler
Wörglerin seit 1963, freie Redakteurin
Obfrau des Unterguggenberger Institutes
Projektgruppenleitung LA21-Jugendprojekt I-MOTION
Projektleitung LA21-Projekt Freigeldwanderweg
nach vier Jahren Mitwirkung in LA21-Strukturgremien am 3. April 2008 aus dem Agendabeirat ausgeschieden