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Versammlung der Hochwasseropfer am 23. April 2008 im Volkshaus Wörgl
vero / 24.04.2008 22:33
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Wörgl  Hochwasser  Bürgerinitiative  Hochwasserschutz  Stadt  2005 


Zur Versammlung der Hochwasseropfer im Volkshaus fanden sich auch viele Gemeinderäte sowie Bgm. LA Arno Abler ein, für den es verbale "Prügel" von Willi Aufschnaiter (Bild Mitte) gab. Dr. Josef Schernthaner zählt zu den Betroffenen und präsentierte in Form einer ausführlichen Powerpoint-Präsentation bisher getroffene und nach Meinung der Bürger noch fehlende Hochwasserschutzmaßnahmen.

"Ich stehe hier als drei mal Hochwassergeschädigter und drücke heute meinen Zorn und meine Wut über die Minderleistungen der Stadt aus", eröffnete Willi Aufschnaiter als Mitglied des Bürgergremiums, das sich nach der Katastrophe als Interessensgemeinschaft gebildet hatte, sein Statement, in dem er Bürgermeister LA Arno Abler "fahrlässige, vorsätzliche Gefährdung der Bevölkerung" vorwarf, was dieser in seiner später folgenden Ansprache dementierte.

Aufschnaiter brachte seine Ängste und Sorgen stellvertretend für viele Betroffene vor. "Wir haben eine Befragung durchgeführt, bei der 200 Fragebögen ausgefüllt zurück kamen. 92 % der Menschen haben immer noch Angst vor einem neuerlichen Hochwasser, 82 % fühlen sich in der Lebensqualität beeinflusst. Wir glauben, dass sich die Stadt nicht genügend für uns eingesetzt hat. Es ist zum Weinen, wie mit unseren Sorgen und Wertverlusten umgegangen wird", so Aufschnaiter in seiner emotionalen Ansprache. Ärger herrscht nicht nur über fehlende Maßnahmen, sondern auch über fehlende Kommunikation mit der politischen Stadtführung, wobei Aufschnaiter die Öffentlichkeitsarbeit im Sommer 2007, wenige Wochen, bevor es der Feuerwehr gerade noch gelang, eine neuerliche Überflutung durch den Giessenbach zu verhindern, sauer aufstieß: "Immer wieder hab ich die Schlagzeile vor Augen: Wörgl ist hochwassersicher. Da wurden für ein Pressefoto beim Spar-Durchlass Hochwasserschutz-Panele vom Farthofer geholt und danach wieder dorthin zurückgebracht. Der blanke Hohn!"

Ist Wörgl hochwassersicher? - Nein!
Wörgls Stadtarzt Dr. Josef Schernthaner analysierte nach dem emotionsgeladenen Einstieg sehr sachlich die Frage, ob Wörgl jetzt hochwassersicher ist und kam zum Schluss: "Nein!" Die Bürgerinitiative holte sich Unterstützung in Form eines Experten aus Deutschland und machte sich selbst über getroffene und mögliche Schutzmaßnahmen schlau.

Schernthaner gliederte seinen Vortrag in drei Bereiche: Den Inn von der Kundler Ache bis zur Brixentaler Ache, den Giessen-Bach sowie weitere Innzuflüsse, wobei der Wörgler Bach nach dem Hochwasser 1994 bereits gut ausgebaut wurde.

Hochwasserschutz am Inn
"Einen absoluten Hochwasserschutz gibt es nicht, aber eine Absicherung für ein ähnliches Ereignis wie 2005 ist mit technischen Mitteln möglich", so Schernthaner. Derzeit sei dies aber aufgrund einiger Schwachstellen noch nicht der Fall. Bisher wurde der Damm beim Pumpwerk erneuert, eine Dammerhöhung beim Wörgler Bach sowie bei der Brixentaler Ache durchgeführt. Was noch fehle, sei eine Dammerhöhung im Gewerbegebiet sowie in Söckingen von der Mündung des Wörgler Baches bis zur Brixentaler Ache.

Für den Hochwasserschutz seien weitere Risiken zu beachten: Häufigere extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel, längere Hochwasserdauer, die zum Aufweichen der Dämme führen kann, sowie die Auswirkungen von Schutzbauten am Innoberlauf, die den Wasserspiegel durch das Verhindern von Überflutungen zusätzlich steigen lassen.

"2005 sind 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser nach Wörgl aus dem Inn ausgeronnen"
Derzeit sei der Schutz vor dem Inn aufgrund eines durchgehenden fehlenden Dammes unzureichend: "Der einzige Schutz ist die Autobahn - aber die wurde nicht dafür geplant. Ist der Aufbau dafür geeignet? Ist die Innseitige Böschung gegen Unterspülung gesichert?"

"Zur rechtlichen Situation: Prinzipiell gibt es kein Anrecht auf Hochwasserschutz. Aber auch nicht auf Gesundheit, und ich darf trotzdem keinen Patienten verpfuschen. Aber die Gemeinde kann einen Hochwasserschutz errichten. Wenn sie das tut, dann haftet sie auch dafür", so Schernthaner.

In den vergangenen Jahren eigneten sich die Betroffenen eine ganze Menge Wissen und Unterlagen an und nahmen die Geschichte unter die Lupe, in der der Bau des Innkraftwerkes in Kirchbichl eine zentrale Rolle spielt. "Das Innkraftwerk wurde 1922 bis 1927 geplant und schon damals wurde vor Auflandungen und Überschwemmungen gewarnt und auf einen Anstieg des Grundwasserspiegels hingewiesen.  Im Bewilligungsbescheid wurde der Bau eines einen Meter hohen Dammes verlangt, was nicht umgesetzt wurde. Hätten wir diesen Damm gehabt, wäre Wörgl 2005 trocken geblieben", erklärte Schernthaner und listete in seinen Ausführungen weiter bestehende Gefahrenstellen auf.

Aus der Bestandserhebung leiten die Betroffenen einen Forderungskatalog für den Hochwasserschutz am Inn ab, der folgendes beinhaltet: "Errichtung eines Dammes mit einem Meter Freibord über der Hochwassermarke von 2005 von Kundl bis zur Brixentaler Ache, in fachgerechter Ausführung bis spätestens 31. März 2009. Die Gemeinde soll jährlich die Innprofile zur Einsicht bei der Tiwag anfordern, um auf Anlandungen reagieren zu können. Ein Gutachten soll die Hochwassersicherheit der Autobahn überprüfen. Und wir wollen als Betroffene mit Sachverständigen den Inn abgehen und anhand von Plänen vor Ort feststellen, wie es um den Hochwasserschutz steht", führte Schernthaner aus. Zusätzlich soll ein tirolweiter Alarmierungsplan erstellt, der auch die Tiwag-Kraftwerke und das Ablassen von Stauseen bei drohenden Hochwasserereignissen beinhaltet.

Hochwasserschutz am Giessen verbessern
Als zweite Bedrohung nahmen die Anrainer den Giessen-Bach ins Visier. Der Giessenbach wurde zur Entwässerung 1915 angelegt. 1947 erfolgte im Zuge des Kraftwerkbaues in Kirchbichl der Bau des Pumpwerkes, bei dem 2005 der Damm zum Inn brach. Nach dem Beinahe-Hochwasser 2007 wurde das Ingenieurbüro Passer mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das nun das Gefährdungspotenzial des Giessen schwarz auf weiß zeigt.

"Die Zuflüsse zum Giessen können bei Hochwasser über 20 Kubikmeter pro Sekunde liefern. Die Pumpleistung wurde 1944 ausgerechnet und mit 10 bis 30 Kubikmeter pro Sekunde angegeben. Gebaut wurde dann aber ein Pumpwerk mit der Leistung von drei Kubikmetern. Bis 2007 hielt man sich unbekümmert an diesen Wert", kritisiert Schernthaner. Auch nach der Aufrüstung mit weiteren zwei Pumpen, die derzeit eingebaut werden und die Pumpleistung auf 5,5 Kubikmeter pro Sekunde erhöhen, ist kein Schutz gewährleistet.

Massiv kritisiert wird das Fehlen eines Notstromaggregates fürs Pumpwerk. Die Tiwag hat zwar eines, aber das steht in Innsbruck.

Das vorgeschlagene Maßnahmenpaket umfasst u.a. die Berechnung der Leistungsfähigkeit des Giessens sowie allfälliger Retensionsräume, die Errichtung eines Pumpwerkes beim Lahnbach an der Kundler Gemeindegrenze, was die anfallende Wassermenge bei Hochwasser halbieren würde sowie die Vergrößerung des Luna-Retensionsraumes auf Kundler Gebiet und die Errichtung von Trennbauwerken, um die Wasserableitung der Zuflussbäche aufzuspalten.

Weitere Maßnahmen betreffen die in den Giessen mündenden Zuflüsse in Wörgl, den Aubach und den Latreinbach. Bei diesem sollte ebenfalls ein Pumpwerk mit einer Leistung von 1,5 Kubikmetern pro Sekunde errichtet werden.

Das Forderungspaket an den Gemeinderat umfasst die Sicherung der Notstromversorgung, die Instandhaltung und regelmäßige Spülung des Giessen-Dükers (führt den Bach unterirdisch durchs Spargelände), die Finanzierung der Maßnahmen sowie den Bau des Pumpwerkes beim Latreinbach.

Abschließend stellte Dr. Schernthaner einen Vergleich zwischen Inn und Giessen an: Der Inn würde bei einem hundertjährigen Hochwasserereignis (HQ 100) rund 2000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde führen, der Giessen 20. Der Hochwasserschutz am Inn sei derzeit ungenügend, der am Giessen minimal. Die Vorwarnzeit bei Innhochwasser sei lang, beim Giessen kurz. Die Schäden durch Innhochwasser massiv, durch den Giessen vermutlich geringer.

Was macht die Stadt?

Während sich die  politische Stadtführung den Vorwurf mangelnden Einsatzes für die Betroffenen gefallen lassen musste, zeigte sich das Stadtbauamt immer sehr kooperativ und engagiert in der Zusammenarbeit mit den Bürgern. Auch in der Vorbereitung des Informationsabends, für den Unterlagen bereit gestellt wurden. DI Dietmar Günther vom Stadtbauamt führte dann auch den Stand der Maßnahmen-Umsetzung aus.

Zur Lösung der Giessen-Problematik sei das Pumpwerk in Kundl die beste Lösung. Die Planung für das Pumpwerk am Latreinbach laufe. Mit der Tiwag wurde vertraglich vereinbart, dass anstelle der Stromzufuhr über den Masten heuer noch ein 25 KV-Erdkabel zur Stromversorgung des Pumpwerkes beim Giessen verlegt wird. Für das Gutachten betreffend die Autobahndämme würde die Stadt mit demGutachter der Bürgerinitiative zusammenarbeiten.

"Die Planung für den Inndamm entlang des Kompostierwerkes läuft, dieser soll heuer noch einen Meter hoch gebaut werden", so Günther. Was den Damm bis Kundl betrifft, so seien die Grundflächen von der Autobahnabfahrt Wörgl West bis zum Pumphaus bereits gekauft worden, um dort ein Retensionsbecken mit Dammerhöhung zu errichten. Als Zwischenlösung soll ein provisorischer Damm beim Reitstall errichtet werden. Die bereits vorgenommene Erhöhung des Dammes entlang der Brixentaler Ache wird nochmals auf ihre Ausführung geprüft.

"Die Kosten für die Maßnahmen am Giessen liegen bei sechs Millionen Euro, wobei die Hälfte davon Kundl trifft", erklärte DI Günther. 

Von links: Klaus Walter moderierte den Informationsabend für die Hochwasseropfer. Bild Mitte: Wörgls Bürgermeister LA Arno Abler versprach mehr Informationen. Bild rechts: Kundls Bürgermeister Heinrich Fuchs erntete Lob von der Bürgerinitiative für die bisherige Unterstützung.

Kosten, die kein Hinderungsgrund sind, wie beide Bürgermeister in ihren Wortmeldungen versicherten. Bgm. LA Arno Abler zeigte Verständnis für die Emotionen und nahm den Vorwurf der mangelnden Kommunikation mit den Betroffenen ernst - er gelobte, in Zukunft die Kommunkation zu intensivieren. "Die Arbeiten zur Sicherung des Wörgler Baches haben 10 Jahre gedauert, in denen ständig gearbeitet wurde. Jetzt soll es nicht wieder 10 Jahre dauern, sondern so schnell wie möglich gehen", versicherte er und kündigte an zu prüfen, ob der Inn-Damm nicht mit vertretbaren Mitteln höher als einen Meter gebaut werden kann. Mit den erforderlichen Arbeiten, auch was das neu erkannte Gefahrenszenario des Giessenbaches betrifft, werde man auch nicht auf die Zuteilung von Fördergeldern warten, sondern sofort aktiv werden: "Die Zusicherung von Fördergeldern kann Jahre dauern. Hier geht es um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Wir werden die offenen Inn-Maßnahmen aus eigener Tasche gleich selber finanzieren", so Abler. Um Förderungen ansuchen könne man im Nachhinein.

Kooperativ zeigte sich auch Kundls Bürgermeister Heinrich Fuchs: "Als ich im Jänner von Dietmar Günther vom Giessenproblem erfahren habe, bin ich erschrocken. Zur Hälfte betreffen diese Maßnahmen Kundler Gemeindegebiet, drei Millionen Euro stehen dafür im Raum. Wir haben den Graben beim Wimpissinger ausbaggern lassen. Bis das neue Pumpwerk errichtet ist, wird es sicher ein Jahr dauern. Als kurzfristige Maßnahme bieten wir den Wörglern bei Hochwasser als Entlastung an, den Giessen auf Kundler Gebiet ins Liesfeld-Überschwemmungsgebiet zurückzustauen."

Von links: DI Dietmar Günther vom Wörgler Stadtbauamt. Bild Mitte: Willi Aufschnaiter. Bild rechts: Die eingefärbte Fläche weist das vom Inn-Hochwasser gefährdete Gebiet in Wörgl anhand der Katastrophe von 2005 aus.


In der anschließenden Diskussion folgten nur mehr wenige Wortmeldungen. Günther Marschner, ebenfalls hochwassergeschädigt, teilte mit, dass er sich mittlerweile einigermaßen sicher fühle. Willi Aufschnaiter wies noch auf laufende und bereits abgeschlossene Hochwasserschutzaktivitäten in Angath, Kirchbichl und Kufstein hin. Eine Anrainerin des Latreinbaches erkundigte sich nach der weiteren Vorgangsweise, da derzeit ökologische Rückbauarbeiten im Gang sind. Eine weitere Anfrage betraf die Ableitung des Latreinbaches südlich der Bundesstraße. Ein Pumpwerk sei hier angedacht. Da die Ableitung allerdings durch verbautes Gebiet laufen müsste, sei die technische Umsetzung schwierig, der Umsetzungszeitpunkt noch nicht klar.

Als betroffener Anrainer regte Herbert Ringler eine Änderung der Bauordnung an, die möglichst auf Keller im gefährdeten Gebiet verzichten und eine höhere Bauweise ermöglichen sollte.

Der Abend endete mit der wiederholten Zusicherung der Stadtführung, die Kommunkation mit den Betroffenen zu verbessern. Die Bürgerinitiative kündigte die nächste Hochwasserversammlung für Oktober/November 2008 an. Der Verein Pro Wörgl wird zudem im Juni 2008 im Tagungshaus Wörgl eine Hochwasser-Ausstellung organisieren.