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Zementindustrie errichtete 1902/03 und 1912/13 Wasserkraftwerke in Wörgl Boden

Im Zuge der Fotoausstellung Bruckhäusl seinerzeit - die Arbeitswelt des LA21-Arbeitskreises gerieten die noch bestehenden Industriebauten in Bruckhäusl ins Blickfeld. Zu den ältesten erhaltenen Anlagen zählen die beiden heute von der Tiwag betriebenen Kleinkraftwerke, die das Wasser der Brixentaler Ache nach wie vor zur Stromerzeugung nützen.

An den Kraftwerksbauten ging die Zeit allerdings nicht spurlos vorüber. Die Tiwag prüfte eine Sanierung und kam zum Schluss, dass entweder ein Neubau oder die Stilllegung in Frage kommt. Das nun in Planung befindliche Kraftwerksprojekt soll im Herbst vorliegen.

Kraftwerk als Museum zur Industriegeschichte

Das erwachte Interesse des Dorfes an der eigenen Ortsgeschichte mündete in eine Initiative des LA21-Arbeitskreises, die die Erhaltung eines Kraftwerkes als Industriemuseum zur Dokumentation der Stromherstellung sowie der örtlichen Industriegeschichte beabsichtigt. Nach ersten Kontakten mit Stadt, Heimatmuseum, Tiwag und Denkmalschutz soll nun weiter am Konzept gearbeitet werden, das die Einbindung des Projektes in ein künftiges regionales Wirtschaftsmuseum für Wörgl vorsieht.

Für alle, die an der Projektgruppe Museumskraftwerk mitarbeiten wollen, findet am Freitag, 19. September 2008 eine Begehung des in Frage kommenden Kraftwerkes in Einöden sowie eine anschließende Besichtigung des Wörgler Heimatmuseums statt. Eingeladen ist der LA21-Arbeitskreis Bruckhäusl aktiv sowie für den Heimatmuseumsverein und allfällig Interessierte. Weitere Information und Anmeldung bei Arbeitskreisleiter Thomas Gasteiger, mail gasteiger43(at)aon.at sowie unter Tel. 05332/77496.

Die Fotoausstellung Bruckhäusl seinerzeit - die Arbeitswelt ist übrigens noch zwei Mal zu besichtigen: Am Sonntag, 20. Juli 2008 von 9.30 bis 12 Uhr sowie letztmalig am Mittwoch, 6. August von 19 bis 21.30 Uhr. Weitere Infos zum Ausstellungsprojekt unter http://la21brooks.isiport.de

Folgende Bilder, die im Zuge der Recherche zur Fotoausstellung Bruckhäusl seinerzeit - die Arbeitswelt angefertigt wurden, geben einen Eindruck von den noch bestehenden Kraftwerken in Wörgl-Boden:

1902/03 erbaute das Zementwerk Egger-Lüthi in Wörgl Boden zur Energieversorgung der Zementfabriken in Bruggermühl und Bruckhäusl auf Kirchbichler Gemeindegebiet das Kraftwerk Einöden in Wörgl Boden. An der imposanten Wehranlage unterhalb von Schloss Itter hinterließ die Zeit ihre Spuren - die Bauwerke weisen Sanierungsbedarf auf und sollen im Zuge eines neuen Kraftwerksprojektes erneuert werden.

Der Einlaufkanal (links) fürs Kraftwerk Einöden (Bild Mitte), das 1902/03 auf dem Areal einer alten Mühle errichtet wurde. Seit dem 12. Jahrhundert stand an diesem Ort eine "Mühle mit drei gehenden Steinen, einem Ölschlag sowie ein Sägewerk". Peter Gasteiger, der um die Jahrhundertwende von 19. aufs 20. Jahrhundert den Hauserwirt in Wörgl-Boden übernahm, verkaufte die Liegenschaft an die Zementindustriellen Egger-Lüthi.

Ein Blick in die Maschinenhalle des Kraftwerkes Einöden: Das Meiste ist hier noch so wie vor 100 Jahren. Der Bau des Kraftwerkes Einöden erfolgte nach dem damals neuesten Stand der Technik mit zwei Radial-Hochdruckturbinen mit je 275 Kilowatt (Francisturbinen - blau gestrichen) und zwei Drehstromgeneratoren mit je 275 Kilowatt/3200 Volt, grün eingefärbt, ebenso wie die in gelben Schutzgittern eingehausten Erregermaschinen.

Die Schalttafel mit den Messgeräten für Frequenz, Spannung, Strom, Leistungsverhältnis etc. (linkes Bild). Schilder mit der Aufschrift "Hochspannung - Vorsicht Lebensgefahr" warnen davor, hier etwas zu berühren: Für jeden Generator steht "Backstage" sozusagen ein Wasserregler zur Verfügung, um die Frequenz von 50 Hertz und die Spannung von 3.200 Volt zu halten. Die an der Wand verlaufenden bunten Metallstränge sind die drei Phasen gelb-grün-violett des Drehstroms, der hier in den Transformator geleitet wird. Mithilfe von Kupferspulen wird der 3.200 Volt-Strom aus dem Generator auf rund 16.000 Volt zum Transport übers Leitungsnetz gebracht (Bild rechts).

Der Wasserkanal zwischen dem Kraftwerk Einöden und dem westlicher gelegenen, 1912/13 von der Perlmooser Zementfabrik AG errichteten Kraftwerk Söll-Leukental verläuft streckenweise offen (Bild links). Das neue Kraftwerksprojekt, das die Tiwag derzeit gerade plant, sieht vor, dass keine offenen Wasserflächen mehr bestehen und die Rohrleitung unterirdisch verlegt wird. Das Kraftwerk Söll-Leukental verfügt über ein größeres Gebäude als das KW Einöden, ist aber ebenfalls  mit zwei Doppel-Francisturbinen zu je 200 Kilowatt und zwei Drehstromgeneratoren (260 Kilowatt/3100 Volt)  ausgestattet.  Bei beiden Kraftwerken fällt die gediegene Ausstattung etwa mit Fliesenböden auf, bei der sich jahrzehntelange gute Pflege bemerkbar macht. Zur Ausstattung im KW Söll-Leukental zählt auch dieser Schmierfettbehälter (Bild ganz rechts), der nach wie vor funktioniert: Beim Öffnen des Deckels klappt ein Hahn hoch, aus dem nach kräftiger Pumparbeit das zähflüssige Öl zum Vorschein kommt.

 

Weitere Kraftwerksbauten der Zementindustrie Egger-Lüthi  

1889 Einbau der ersten Girardturbine mit 88 Kilowatt für den Antrieb einer Transmission im Zementwerk Bruggermühl, Kirchbichl, in der Romanzementmühle

1898 Bau des Kraftwerkes in der neuen Fabrik in Bruckhäusl mit 2 Girard-Turbinen zu je 88 KW, 1 Drehstromgenerator 110 Kilowatt/3000 Volt. Das war in Tirol der erste Generator dieser Art

1898 Erstmals Bau des Einlaufkanals von der Brixentaler Ache zum Kraftwerk in Stampfbetonbauweise

1898 Bau des Heißdampf-Lokomobils mit einer Leistung von 190 Kilowatt zum Antrieb einer Transmission in der neuen Fabrik. Das Lokomobil trieb die beiden Turbinen bei Ausfall der Wasserkraft durch Wasserniederstand oder Vereisung an. Der Dampfkessel hatte eine Oberfläche von 180 Quadratmetern.

1906 Bau der Walchzentrale mit einer Francisturbine mit 116 Kilowatt, mit der wahlweise ein Drehstromgenerator (125 kW/3000 Volt) oder ein Gleichstromgenerator (60 kW/550 Volt) angetrieben wurde. Der Gleichstrom wurde für den Antrieb der Lokomotiven der Werksbahn benötigt, der Drehstrom für Beleuchtung und diverse andere Antriebe.

Ab 1909 ist die Perlmooser Zementfabriks Aktiengesellschaft Eigentümer der Kraftwerke. Um den weiter steigenden Strombedarf abzudecken, wurde 1922 das 1905 am Hintersteiner See erbaute Hochdruck-Kraftwerk der Kaiserwerke angekauft.