Sehr ernst nimmt der Österreichische Alpenverein seine Aufgaben, Mitglieder nicht nur bei Freizeitaktivitäten im Gebirge zu unterstützen, sondern auch Naturschutz-Interessen wahr zu nehmen. Der vor speziellen Herausforderungen steht, wie Andreas Aschaber vom AV-Landesverband beim Natur-und Klimatag am 13. Mai 2023 in Wörgl betonte. Rund 60 Mitglieder nützten vormittags das intensive Informationsangebot beim „Worldcafé“ und nachmittags informierte die Alpenvereins-Sektion Wörgl-Wildschönau mit Info-Ständen beim CityCenter und Exkurionen in die Natur über den Themenschwerpunkt des Tages.
Obmann Harald Ringer und sein Team von der ÖAV-Sektion Wörgl-Wildschönau gestalteten den zweiten landesweiten Natur- und Klimatag des Tiroler Alpenvereins in Wörgl nach der Premiere 2022 in Imst. „Der Alpenverein ist Österreichs größte Naturschutzorganisation aufwärts ab 1.000 Meter Seehöhe“, erklärte Aschaber die Motivation, sowohl die AV-Mitglieder als auch die Bevölkerung für Natur- und Klimaschutz-Themen zu sensibilisieren.
Die TeilnehmerInnen der vereinsinternen Mitglieder-Infoveranstaltung am Vormittag bildeten fünf Gruppen, die im Kirchenwirt sowie im Tagungshaus zu fünf ausgewählten Themenbereichen Expertenwissen abholen und Fragen stellen konnten.
„Wie groß ist mein ökologischer Fußabdruck? Und was bedeutet mein Lebensstil für das Leben auf unserem Planeten?“ – diesen Fragen konnten die Teilnehmer bei Dr. Kerstin Zangerle auf den Grund gehen. Viele griffen selbst zum Handy und berechneten ihren ganz persönlichen „ökologischen Fußabdruck“ – mit einigen Aha!-Erlebnissen, etwa durch berufsbedingt erforderliche Mobilität. Umweltbelastungen lassen sich in allen Lebensbereichen verringern, auch bei der Kleidung – gilt doch die Textilindustrie mittlerweile als zweitgrößter Umweltverschmutzer weltweit.
Tipps zu nachhaltiger Ernährung und Müll-sparender Bergjause gab Judith Erlser MSc. und brachte gleich die selbstgebackene, köstliche Alternative zu in Plastik verpackten Müsli-Riegeln mit. Mehr Nüsse, Hülsenfrüchte und Kerne statt Fleisch, mehr pflanzlich als tierisch und gezielter einkaufen, um Lebensmittelabfall zu vermeiden, lautete ihr Appell. Ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen weltweit werden durch Ernährung verursacht und 71 % der Ackerflächen weltweit dienen dem Futtermittelanbau.
Klimawandel & Krankmacher
„Wir sehen haufenweise Zecken-induzierte Erkrankungen“, leitete Dr.Dr. Andrea Schroll von der Uniklinik Innsbruck, Abteilung Infektiologie, Virologie und Tropenmedizin ihre Übersicht über Krankmacher ein, die durch den Klimawandel begünstigt werden oder neu auftreten. FSME und Borreliose sind bekannt, weniger neue belastende Erkrankungen wie die Ehrlichiose, die hohes Fieber und starken Kopfschmerz über Monate hinweg verursacht. Auch Tularämie-Erreger, die bis vor vier Jahren in Tirol unbekannt waren, sind mittlerweile bei uns angekommen – sie befallen vor allem die Lymphknoten, die stark anschwellen und aufbrechen können. Wärmere Temperaturen im Winter sind die nächste schlechte Nachricht – Zecken sind ab 2 Grad Celsius aktiv. Selbst deren Eier sind schon infiziert und auch die „Laufzecken“, die ihren „Opfern“ gezielt nachlaufen, sind in Tirol angekommen.
Zu den problematischen tierischen Einwanderern zählen Mücken wie Tigermücken oder Malaria-übertragende Anopheles-Mücken. Westnil-Fieber, Dengue-Fieber, Zika-Viren – was davon wo ankommt, will die AGES mit Mücken-Monitoring entlang der Autobahnen frühzeitig feststellen. So habe es im Trentino im Vorjahr bereits einen begrenzten Zika-Viren-Ausbruch gegeben und rund um Flughäfen steige die Anzahl von Malaria-Fällen bei Menschen, die nicht im Ausland waren. Der Rat der Tropenmedizinerin: Gegen FSME impfen, in der Dämmerung lange Kleidung tragen und Mückenschutzmittel auftragen sowie Insektenschutz-Gitter und Netze verwenden.
Windräder am Berg – keine Option
„Oberhalb der Waldgrenze keine Windräder“ – auf diesem Standpunkt steht Dr. Roland Kals aus Salzburg, der sich eingehend mit dem Thema Windkraftnutzung und deren Auswirkungen im alpinen Raum beschäftigt hat. Er sieht aufgrund vieler nicht einschätzbarer Risiken und hoher Erschließungskosten keine Notwendigkeit, große Windräder auf Bergkämmen zu errichten. Vom Gesamtenergieverbrauch mache elektrischer Strom 15 % aus, die Windkraft 1,8 %, wobei dieser Anteil auf maximal 3 % gesteigert werden könne. „Vom Einsparungspotenzial von 45 % ohne Komfortverlust wird nicht geredet“, ärgert sich Kals, den auch Österreichs nach wie vor horrend hoher Bodenverbrauch von 22 Hektar täglich stört.
Beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen dürfe es nicht zu einem Ausspielen von Klimaschutz gegen Natur- und Artenschutz kommen. Viel zu wenig seien Routen von Zugvögeln, Fledermäusen und Schmetterlingen bekannt, viele Tiere ziehen nachts über die Alpen. Schon jetzt sehe man bei bereits aufgestellten Windrädern am Berg, wie Adler und andere Vögel von den Rotoren zerfetzt werden. „Bei einem Rotor-Radius von 70 Metern entstehen solche Luftströmungen, dass es Tieren die Lunge zerreißt.“
Was gegen Windräder in Höhenlagen spricht, sind auch die enormen Errichtungskosten inklusive erforderlicher neuer Infrastruktur wie Straßen für Schwertransporte und Leitungstrassen. 1.000 Tonnen Stahlbeton benötigt ein Windrad als Fundament. Um sie aufzustellen, müssen riesige Kräne angeliefert werden. Zur Wartung müssen diese Straßen ganzjährig befahrbar gehalten werden, was Zusatzkosten verursacht. Vor allem bei Skigebieten diskutiere man Windräder. Wobei diese aber nicht in unmittelbarer Nähe zu Liften oder Pisten stehen können, allein aufgrund des Eisschlages – Eisbrocken, die sich von Rotoren lösen und über große Distanzen weggeschleudert werden.
Gegen die Windräder spreche deren relativ kurze Lebensdauer von 25 Jahren und die insgesamt geringe Effizienz. Zu starker oder zu wenig Wind am Berg reduziert Betriebszeiten gegenüber Anlagen in Gebieten mit konstanten Windverhältnissen. Ein Schwachpunkt sei zudem die fehlende Speichermöglichkeit für die erzeugte Energie. Während bei der Wasserkraft ein Verhältnis von 1:300 von eingebrachter zu gewonnenen Energie-Einheiten bestehe, liege dieses bei der Windkraft lediglich bei 1:15.
Klimawandel & Bergsteigen
Bergstürze und Hangrutschungen wie in Brienz und Hörbranz sind aktuell in den Schlagzeilen – auch wird immer deutlicher, dass der Klimawandel exponierte Gebiete wie die Alpen schneller erreicht. Dr. Wolfgang Gurgiser verdeutlichte anhand von Messdaten und bereits eingetretenen Klima-Änderungen die Brisanz des Klimawandels. So sei der in Innsbruck gemessene Temperatur-Anstieg deutlich höher als der weltweite – während Ozeane für ausgeglichenere Jahresmittelwerte sorgen, erwärme sich die Luft über Land schneller.
Beim Wetter käme es bereits jetzt durch Änderungen beim Jetstream zu Auswirkungen. Die starken Westwindbänder schwächen sich ab, werden zu Wellenbewegungen mit Gegenströmungen, die dann wochenlanges Verharren von Tief- oder Hochdruckgebieten zur Folge haben. Zur steigenden Instabilität trage das Abschmelzen der Eisfläche am Nordpol ebenso bei wie drohender Eisverlust in Grönland. Erreichen diese ungeheuren Süßwassermengen das Meer, könne der Golfstrom zusammenbrechen, damit stünde Europa eine deutliche Abkühlung bevor.
Zu wenig Daten habe die Wissenschaft zudem noch zu den Auswirkungen des El Nino-Phänomens, das sich heuer wieder im Pazifik auf der Südhalbkugel aufbaue. Dabei kehren sich kalte und warme Meeresströmungen um – es kommt zu viel mehr Energie in der Atmosphäre und damit zu starken Niederschlägen und Stürmen, von denen vor allem die Küstenregionen betroffen sind. Wieweit das sonst durch den Äquator getrennte Wettersystem auch auf der Nordhalbkugel beeinflusst wird, könne nicht vorhergesagt werden. Jedenfalls seien es hochkomplexe Vorgänge mit Wechselwirkungen, die längst nicht alle bekannt sind.
AV-Infoprogramm in der Bahnhofstraße
Welche Spuren Müll am Berg über Jahrhunderte hinterlässt, Kräuterkunde mit praktischen Tipps für Anwendungen wie Räucherwerk und Kräutersalz, Tipps zur Mülltrennung und richtigen Entsorgung, selbst gebastelte „Bienenhotels“ und Armbänder aus alten Kletterseilen – das alles waren Themen bei den Alpenvereins-Infoständen nachmittags in der Bahnhofstraße.
Dazu wurden noch spannende Exkursionen in die Natur angeboten. Ein Besuch bei der Haselmaus samt Führung durch die „Wörgler Filz“ mit Barbara Dander, eine Entdeckungsreise mit dem Rad in ein Biber-Revier nahe Wörgl und ein Spaziergang mit Kindern und Eltern auf der Suche nach Natur in und um die Stadt. Wobei sich viele die gute Laune bei den Frischluft-Aktivitäten durch einsetzenden Wind und Regen nicht verderben ließen.