Ist es ein Grund zum Feiern – oder zum Trauern? Während die Bläserchoräle des Quartettes der Stadtmusikkapelle Wörgl Allerheiligen-Stimmung verbreiteten und wohl ungewollt wie die Begleitmusik zum „Millionengrab Nordtangente“ über den Asfalt hallten, versammelten sich am 28. Oktober 2015 Vertreter von Politik, Baufirmen und Behörden zur offiziellen Straßeneröffnung der Anbindung Wörgl-Mitte, die bereits am 15. September für den Verkehr freigegeben wurde.
Das rund 500 Meter lange neue Straßenstück der Nordtangente bildet vorläufig den Schlusspunkt der Ausbaupläne der Wörgler Nordumfahrung und endet in der Ferdinand Raimund-Straße. Die Baukosten inklusive neuer Brücke und Umbauarbeiten bis zur Bahnunterführung belaufen sich auf 1,5 Millionen Euro, wobei die Brücke rund die Hälfte davon ausmachte und das Land eine Million Euro beisteuerte.
Die noch ausstehende Fahrbahnsanierung von der Abfahrt Shell bis zur Abfahrt Gießen wird für 2016 geplant, veranschlagt sind dafür 600.000 Euro.
„Die Fertigstellung der Nordtangente mit dem geplanten Kreisverkehr Ost wird noch 11,5 Millionen Euro kosten – das kann die Gemeinde nicht ohne Unterstützung des Landes umsetzen“, erklärte Bürgermeisterin Hedi Wechner. Es sei daher notwendig, dass das Land wie in anderen Gemeinden auch den Weiterbau der Straße übernehme. Wechner bedauerte, dass das Land heuer zugesagte Zuschüsse zur Sanierung der bestehenden Nordtangente abgesagt hat. Sie habe deshalb bereits einen Termin mit LH-Stv. Geisler vereinbart.
„Das Land Tirol muss sparen – wir werden aber sicher eine Lösung finden, heuer oder nächstes Jahr – das muss LH-Stv. Geisler selbst entscheiden“, teilte LA Ing. Alois Margreiter mit, der in seiner Ansprache der Nordtangente Bedeutung für die Region einräumte und damit auch die Landesunterstützung rechtfertigte. Als Voraussetzung betrachte er allerdings den Planungsverband zur Errichtung des Hochwasserschutzes. „Der nächste Planungstreff findet am 3. November in Rattenberg statt, im Bereich der Retentionsflächen in Radfeld und Kundl sind wir schon deutlich weitergekommen“, sagte Margreiter.
„Ich gehe davon aus, dass die Nordtangente heute schon bis Wörgl Mitte verkehrswirksam ist“, stellte DI Erwin Obermaier vom Baubezirksamt Kufstein fest und sagte Wörgl „die volle Unterstützung des Baubezirksamtes beim Weiterbau“ zu, man werde Amtshilfe leisten von der Bauausschreibung bis zur Baubegleitung.
Was die Verkehrswirksamkeit betrifft, so liegen dazu noch keine Zahlen vor. „Zählung und Lärmmessungen kommen noch“, teilte Stadtbaumeister DI Hermann Etzelstorfer mit. Was den von Anrainern geforderten Lärmschutz betrifft, sind auch bezüglich Bahn und Autobahn weitere Messungen notwendig. „Bei bisherigen Messungen vor Inbetriebnahme des neuen Straßenstückes der Nordtangente wurden untertags die Grenzwerte eingehalten, abends leicht überschritten“, so Etzelstorfer. Jetzt müsse die dafür verantwortliche Lärmquelle ausgeforscht werden.
Das Band zur Straßeneröffnung wurde zu den Klängen der Landeshymne von DI Erwin Obermaier, Strabag-Direktionsleiter von Tirol und Vorarlberg DI Manfred Lechner, NR Carmen Schimanek, Bgm. Hedi Wechner und LA Ing. Alois Margreiter durchtrennt – Wörgls Verkehrsreferent Ing. Emil Dander war krankheitsbedingt abwesend.
In die lange Pannenreihe fügt sich wohl auch ein, dass DI Erwin Obermaier in seiner Ansprache zwar von der „Einweihung der neuen Straße heute“ redete, aber kein Priester bei der Zeremonie anwesend war. So möge wenigstens sein Wunsch nach einem „unfallfreien Verlauf“ in Erfüllung gehen.
Zur Vorgeschichte des kostspieligen Straßenbaues
Am 30. November 1998 wurde im Stadtrat die Beantragung der Planung der Nordtangente bei der Tiroler Landesregierung beschlossen. Anstatt mit dem Bau auf Landesmittel zu warten und sich in die Warteliste der landesweiten Umfahrungsprojekte einzureihen, stimmte die Mehrheit im Gemeinderat zu, die Straße selbst zu bauen, um damit den Gewerbepark aufzuschließen.
2003 wurde die WIG aus steuerlichen Gründen gegründet, da man davon ausging, als GmbH vorsteuerabzugsberechtigt zu sein. Das Konstrukt hielt nach Jahren der Steuerprüfung nicht stand – die Stadt musste die Mehrwertsteuer nachzahlen, die WIG wurde wieder aufgelöst.
Am 8. Juli 2004 erfolgte im Gemeinderat der Grundsatzbeschluss zum Bau der Nordtangente. Das Hochwasser 2005 führte zu Um- und Neuplanung, machte einen kompletten Wiederaufbau nötig, 2006 folgte die Vertragsunterzeichnung mit dem Land und den Nachbargemeinden Kirchbichl und Kundl betreffend Neubau, Instandhaltung und Übernahme der Nordtangente nach Fertigstellung durch das Land.
Die Nordtangente wurde schließlich auch zum finanziellen Desaster, dessen Details bis heute nicht lückenlos aufgeklärt sind und immer noch den Gemeinderat beschäftigen. Aus den geplanten 3 Millionen Euro für das Straßenstück vom Kreisverkehr bis Wörgl-Mitte wurden 7 Millionen Euro, der Kreisverkehr A12 West kostete statt 1,6 Millionen Euro in der Endabrechnung 4 Millionen Euro. Bei der Eröffnungsfeier des Kreisverkehrs A12 West 2009 nannte der damalige Bürgermeister Arno Abler das Jahr 2015 als voraussichtlichen Fertigstellungstermin für die gesamte Nordtangente bis Wörgl-Ost, für die damals Kosten von insgesamt 13 Millionen Euro veranschlagt wurden.