Das vor 13 Jahren gegründete Frauennetzwerk Minerva lud am Valentinstag, 14. Februar 2017, zu einem etwas anderen Vortrag über die Liebe: Der Theologe, Philosoph und Religionssoziologe Paul Michael Zulehner nahm den Balanceakt von Angst und Vertrauen unter die Lupe, erläuterte deren Bedeutung für unseren Umgang mit Flüchtlingen und zeigte Schritte auf dem Weg aus der Angst-Kultur auf.
Woher kommen Ängste? Und woher Vertrauen? Prof. Dr. Paul Michael Zulehner legte das Buch von Monika Renz über die Menschwerdung seinen Überlegungen zugrunde, demzufolge das Paradies mit der Zeit im Mutterleib und die Geburt mit der Vertreibung daraus gleichgesetzt wird. Diese Urangst, in dieser neuen Welt nicht zu überleben, werde durch elterliche Zuwendung in Urvertrauen gewandelt. Mit dem Vertrauen lerne man glauben, hoffen und lieben. Fehlt das Vertrauen, neige der Mensch zur Selbstverteidigung gegen die eigene Angst im Inneren, aus der Gewalt, Gier und Lüge resultieren.
„Ein liebender Mensch kann man nur auf der Seite des Vertrauens werden“, so Zulehner, der eine Zunahme der Ängste in unserer Gesellschaft seit der Finanzkrise 2008 feststellt. Zu Verlustängsten kommen soziale Abstiegsängste, Angst vor kultureller Überfremdung, die Angst zu kurz zu kommen. „Die Angst sitzt im Bauch, die Furcht im Kopf“, so Zulehner und erklärt den Unterschied: Angst lähme, während Furcht aktiv und kreativ mache. „Unsere Lebensaufgabe ist die Überwindung der Angst“, ist Zulehner überzeugt.
Kultur der Angst
Was in Europa und den USA seit 9/11 derzeit angesichts der Grundstimmung einer Kultur der Angst eine Herausforderung darstelle. Während diese Grundstimmung in anderen Erdteilen anders aussehe: Hoffnung in Asien, Demütigung und Kränkung im nordafrikanischen und arabischen Raum. Was besonders problematisch sei: „Kränkung und Verachtung löst menschliches Unheil aus und ist Kriegsauslöser, man denke nur ans 3. Deutsche Reich.“ Zulehner warnte vor aufkommendem Rechtspopulismus und verurteilte Politik mit der Angst: „Wir haben 70 Jahre Frieden in Europa, weil die Nationalismen überwunden wurden!“
Ob ein Mensch grundsätzlich ängstlich oder vertrauensvoll ist beeinflusse seine Haltung in der Beurteilung der Flüchtlingskrise. Zulehner ortet drei dominante Gefühle zum Thema Flüchtlinge, die aus einer Sora-Umfrage 2015 resultieren: Gut die Hälfte der Bevölkerung ist in Sorge (53 %), überwiegend Junge tendieren zur Zuversicht (26 %) und 17 % der Menschen zu Ärger, wobei sich die Tendenz 2016 bei den Zuversichtlichen zugunsten der Ärgerlichen verschob.
Wie also damit umgehen? Als erstes riet Zulehner, niemanden zu verurteilen. „Für unsere Gefühle können wir nichts und es ist ganz schwer, sie zu verändern“, so Zulehner und empfiehlt reden als Weg aus der Angst. Hass und Abwehr solle auf keinen Fall in Hass und Gewalt kippen. Plakativ stellte Zulehner die Strategien und Argumentationen gegenüber. Das Lager der Ärgerlichen baue Zäune, will eine Festung Europa, lehnt Wirtschaftsflüchtlinge ab, argumentiert mit Kriminalität, Terror, Islamisierung und prophezeit die Katastrophe. Daraus resultiere eine Politik der Angst und Abwehr. Zulehner plädiert für einen Marshallplan für Afrika, um Fluchtursachen zu beseitigen. Das Errichten von Zäunen habe das Schleppergeschäft ins Milliardenfache gesteigert, halte die Flüchtlinge aber nicht auf.
Die Kriminalität steige – vor allem jene gegen die Flüchtenden. Und was den Islam betrifft, so ortet Zulehner, dass der Islam derzeit vor allem Krieg gegen den Islam führe und zieht einen Vergleich mit der Reformationszeit im Christentum: „Überall auf der Welt boomt das Christentum – nur nicht in Europa. Ein Grund dafür mag in der Reformation mit Gewalt liegen – das ist ein Missbrauch Gottes. Jede Religion kennt die Versuchung zur Gewalt. Wenn der Islam nur mehr von IS-Greueln geprägt ist, ist der Islam in Europa am Ende.“ Wobei der Theologe eine exakte Unterscheidung zwischen der Religion Islam und der vormodernen Kultur in islamischen Ländern trifft: „Afghanistan ist eine brutale Männerherrschaft – das hat mit dem Islam nichts zu tun.“
Politik des Vertrauens
Auf der Seite der Zuversichtlichen werde eine Politik des Vertrauens mit Integration, Spracherwerb, Wohnen und Zugang zum Arbeitsmarkt verfolgt. Ausgehend von einer win-win-Situation für alle durch mehr Wirtschaftswachstum, das mit den Neuankömmlingen einhergehe. „Die Diskussion in Europa ist hochpolarisiert“, so Zulehner, der Wege aus der Angst aufzeigen will. Angst entsolidarisiere, mache den Menschen böse. „Angst ist der Feind des Lebens und der Liebe“, so Zulehner und bekennt Fehler der Kirche ein: „Höllenangst und Fegefeuer sind kontraproduktiv. Eine Kirche, die Angst predigt, macht sich schuldig. Es ist eine Fahrlässigkeit am Evangelium und an den Menschen.“
Statt Ängste zu schüren und ständig Bedrohungs-Szenarien aufzubauen, plädiert Zulehner für „ein herauslieben aus der Angst-Ecke“ – mit einer Politik des Vertrauens, breiter Bildung und persönlicher Begegnungen. Auch Angst in Furcht zu wandeln könne helfen, um kreativ die Krise zu bewältigen. „In Zeiten der Globalisierung ist eine Abschottung nicht mehr möglich“, ist Zulehner überzeugt.
Die Publikumsdiskussion kreiste wiederholt um Fragen zum Islam und dessen Interpretation, wobei auch das Stichwort des christlichen Abendlandes auftauchte. „Das christliche Abendland gibt es längst nicht mehr – Kreuzzüge und Hexenverfolgung sind Vergangenheit“, meinte Zulehner. Was das Christentum wieder auf die Füße bringe war eine weitere Frage. „Moralisieren sicher nicht – gelebte Gemeinschaft“, lautete Zulehners Antwort. „Auch in Wörgl gibt es aufgeschaukelte Ängste. Was können wir dagegen tun?“ lautete eine weitere Frage. „Begegnungen arrangieren und Feste feiern. Miteinander kochen, musizieren – Gesichter und Geschichten und darauf hoffen, dass dabei die Ängste schmelzen. Das ist die einzige verlässliche Vorgangsweise. Diskutieren allein bringt uns nicht weiter“, gab Zulehner den rund 100 BesucherInnen noch als Anregung mit auf den Nachhauseweg.