Wie heizt Tirol 2050? Pilotprojekt im Unterland

Das Land Tirol hat sich zum Ziel gesetzt, 2050 bei der Energieversorgung ohne fossile Energieträger auszukommen. Anders als bei der Mobilität – hier ist Tirol als Transitland auch von überregionalen Entscheidungen abhängig – kann bei der Elektrizität- und Wärmegewinnung viel auf Landesebene bewegt werden. „Die Umstellung auf erneuerbare Energieträger ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Mit den 2 Milliarden Euro, die in Tirol jedes Jahr für fossile Energie ausgegeben werden, kann viel bewegt werden“, ist Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler überzeugt, der am 24. April 2019 gemeinsam mit Wörgls Bürgermeisterin Hedi Wechner, dem Angather Bürgermeister Josef Haaser und Rupert Ebenbichler von Wasser Tirol die ersten Ergebnisse des Pilotprojektes „Wie heizt Tirol 2050?“ für den Planungsverband 29 in der Fernwärme-Energiezentrale der Stadtwerke Wörgl am Gelände der Tirol Milch in Wörgl vorstellte. Ein Symposium am 19. Juni 2019 in Angath soll die Initialzündung für den Ausbau erneuerbarer Energieträger werden.

Planungsverband 29: Typisch für Tirol…

Der Planungsverband 29 mit der tiroltypischen Mischung aus ländlichen und städtischen Strukturen sei auch aufgrund der hohen Anzahl von e5-Gemeinden für das Pilotprojekt ausgewählt worden, betonte Geisler. Dabei gehe es darum, die Voraussetzungen einer Region zu erheben, welche Möglichkeiten der Energieumstellung bestehen. „Das Energiemonitoring zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Bei steigender Bevölkerungszahl und Wirtschaftstätigkeit verzeichnen wir schon jetzt weniger Energieverbrauch“, so Geisler. Um das ambitionierte Ziel 2050 zu erreichen, dürfe man sich aber nicht zurücklehnen. Um fossile Energieträger zurückzudrängen, sei neben dem Ausbau der Wasserkraft die Nutzung der Sonnenenergie, der Geothermie sowie von Biomasse eine Alternative.

Sechs von acht Gemeinden sind e5-Gemeinden

Die Regionen umrüsten – aber wie? Da mache vor allem das Thema Wärme und Kälte in der heißen Jahreszeit einen großen Teil des Energieverbrauches aus. „Die Bewusstseinsbildung im Planungsverband 29 hinsichtlich der Umstellung auf erneuerbare Energie ist hoch“, teilte Wörgls Bürgermeisterin Hedi Wechner mit. Sechs von acht Gemeinden seien bereits e5-Gemeinden. In einem Arbeitskreis, in dem die Wörgler Stadtwerke federführend mitwirkten, wurden Energiepotenziale in der Region untersucht und Grundlagendaten erhoben.

„Wörgl hat 2012 bereits das Energieentwicklungsprogramm gestartet“, teilte Wechner mit, die sich freut, dass 2018 alle Gemeinden des Planungsverbandes beschlossen haben, beim Pilotprojekt mitzumachen. „43,75 % der Kosten trägt das Land Tirol. Die Gemeinden teilen sich die verbleibenden Kosten nach einem Aufteilungsschlüssel, der die Einwohnerzahl sowie das Kommunalsteueraufkommen berücksichtigt“, so Wechner. Der ausführende Partner in Wörgl seien die Stadtwerke.

Angath sieht Vorteile

„Mit 1.000 Einwohnern sind wir die zweitkleinste Gemeinde und mit niedrigem Kommunalsteueraufkommen sind wir als finanzschwache Gemeinde froh, uns ans Projekt anhängen zu können“, teilte Angaths Bürgermeister Josef Haaser mit. Derzeit betrage der Anteil fossiler Energie beim Heizen in Angath 82 % – zwei Drittel sind Öl, ein Drittel Gas. „Wir haben nur bedingt eigene Ressourcen“, so Haaser, der die Vorteile der Zusammenarbeit klar sieht und Potenziale in der Nutzung von Grundwasser- und Erdwärme sowie in Mikrowärmenetzen im Dorf sieht. Das neue Angather Gemeindezentrum sei 2016 mit einer Grundwasserwärmepumpe in Betrieb gegangen und auf der Volksschule sei eine Photovoltaik-Anlage montiert worden.

Energie-Strategie umsetzen

„Es geht darum, die Energiestrategie des Landes auf den Boden zu bringen“, leitete Rupert Ebenbichler von Wasser Tirol die Präsentation der Grundlagen-Datenerhebung ein. Beteiligt sind die acht Gemeinden des Planungsverbandes Angath, Angerberg (e5), Bad Häring (e5), Breitenbach (e5), Kirchbichl (e5), Kundl (e5), Mariastein und Wörgl (e5) mit 33.650 Einwohnern, 8.500 Gebäuden (80 % Wohnen) und 400 Betrieben. Der Energiebedarf beträgt 614 GWh beim Strombedarf, wobei die Haushalte davon mit 65 GWh gerade einmal gut 10 % ausmachen. Beim Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser von 442 GWh ist der Anteil der Wohngebäude mit 308 GWh deutlich höher, und der Mobilitätsbedarf wird mit 352 GWh angegeben. Derzeit wird der Strom im PV 29 zu 100 % aus erneuerbarer Energie gewonnen. Beim Heizen beträgt der Anteil fossiler Energieträger 51 % und bei der Mobilität 99 %.

Beim Bevölkerungszuwachs liegt die Region über dem Tiroler Durchschnitt. Große Unterschiede im Gemeindevergleich gibt´s aufgrund der Wirtschaftsstrukturen: So ist der Stromverbrauch in Kundl aufgrund der angesiedelten Pharmaindustrie mit Abstand am höchsten und ist drei Mal so hoch wie jener der ganzen Stadt Wörgl. Beim Mobilitätsbedarf schneiden die Autobahn-Anrainer deutlich höher ab – eingerechnet ist da nämlich auch der gesamte Transitverkehr. Bei den touristischen Nächtigungen ist aufgrund des Kurbetriebes Bad Häring mit 187.000 Nächtigungen der Hotspot, gefolgt von Wörgl mit 68.000 Nächtigungen. Beim Wärmebedarf hat Wörgl die Nase vorn – hier stehen auch die meisten Gebäude.

Mehr als die Hälfte des Energiebedarfes fürs Heizen

Beim Energie-Einsatz nach Sektoren macht die Wärmegewinnung insgesamt über 50 % aus (Industrie 28 %, Gebäude 23 %), die Stromgewinnung 31 % und die Mobilität 18 %. „Auffällig ist, dass der Strombedarf im Planungsverband aufgrund der Gewerbe- und Industriebetriebe rund doppelt so hoch wie sonst in Tirol ist“, informierte Ebenbichler.

Die Analyse der Energieträger und ihrer Potenziale zeigte Alternativen auf. Neben den 20 bestehenden Wasserkraftwerken seien kleinere in Planung, fraglich sei eine weitere Nutzung des Inns. Holz werde bereits jetzt gut genützt (u.a. Tirol Milch und Fernwärmenetz der Stadtwerke Wörgl). Beim Biogas gäbe es vor allem Potenzial beim Wirtschaftsdünger. Ein weiterer Ausbau der Solarenergienutzung mache ebenso Sinn und noch hohes Potenzial habe die Nutzung von industrieller Abwärme sowie der Wärmepumpen-Technik mit Nutzung von Umweltwärme aus  Erde, Luft- und Grundwasser. Der Windenergie wird keine Bedeutung beigemessen.

83 % Wasserkraft…

„Bei der Strombedarfsdeckung heute macht die Wasserkraft 83 % aus, Windenergie 10,9 %, Sonnenenergie 1,3 %, Biomasse 3,8 % und Biogas 1,1 %“, erläuterte Ebenbichler. Richtig mies ist das Verhältnis fossil zu erneuerbarer Energie beim Mobilitätsbedarf: Da kommen 99 % aus fossiler Energie!

Datenerhebung: Alle Gebäude erfasst

Da die Datenqualität in Bezug auf Erfassung der Heizmethode in Gebäuden schlecht war, befasste sich die Arbeitsgruppe des Pilotprojektes mit einer Aktualisierung der Gebäudeerhebung von 2001. Dabei zeigt sich als Trend der Rückgang von Heizöl von 50 auf 32 %, zugenommen haben Erdgas, Holz, Umweltwärmenutzung und Fernwärme. Die fossilen Energieträger machen gemeinsam beim Heizen 51 % aus, die erneuerbaren 41 % (davon 20 % Fernwärme mit Netzen in Wörgl, Kundl und Bad Häring, 5,6 % Hackschnitzel/Pellets, 7,9 % Stückholz, 6,2 % Umweltwärme).

Lösungen entwickeln

Bei der Wärmeversorgung tickt jede Gemeinde anders – je nach Siedlungsstruktur machen zentrale oder dezentrale Lösungen Sinn. „Während in Angath die Nutzung des Grundwassers eine Option ist, bietet sich in Häring die Erweiterung des bestehenden Nahwärmenetzes an“, so Ebenbichler. Wörgl habe hohes Potenzial bei Grundwasser-Wärmepumpen wie auch bei der Abwärmenutzung von Industriebetrieben – die Stadtwerke verhandeln derzeit sowohl mit dem Spanplattenwerk Egger als auch mit Holz Pfeiffer hinsichtlich Einspeisung  ins Fernwärmenetz, das bis 2025 flächendeckend ausgebaut sein soll.

Vorzeigemodell für ganz Tirol

Das Pilotprojekt „Wie heizt Tirol 2050?“ im Planungsverband 29 soll jedenfalls ein Vorzeigemodell für die Umsetzung der Umstellung von fossiler auf erneuerbare Energie werden, Ziel sind konkrete Projekte in den Gemeinden. „Es geht darum, best practice-Beispiele vorzuzeigen“, so Ebenbichler, der betont, dass es jetzt schon eine gute Zusammenarbeit der Energie-Teams in den Gemeinden gäbe.

Die Wörgler Stadtwerke bieten sich dabei auch als Dienstleister in den anderen Gemeinden an. Die Rückmeldungen aus den Gemeinden ergaben, dass diese Hilfestellung durchaus erwünscht sei. „Die Stadtwerke haben sich auch bereit erklärt, anderen zu helfen“, teilte Bgm. Hedi Wechner mit. Wobei hier Projekte bis 100.000 Euro keiner Ausschreibungspflicht unterliegen, wie LH-Stv. Geisler festhielt, der das Pilotprojekt als wichtiges Instrument zur Energie-Raumplanung sieht.

Die Wörgler Stadtwerke haben beim Ausbau der erneuerbaren Energie das Kraftwerk Egerndorf „in der Pipeline“ – und „noch nicht gestorben“, so Bgm. Wechner, sei die Errichtung eines Holzgas-Kraftwerkes, bei dem zudem Aktiv-Kohle (Terra Preta) für die Landwirtschaft gewonnen werden kann.

Was passiert bei der Mobilität?

Was nützen die Tiroler Bemühungen zur Verbesserung der Luftqualität angesichts der rollenden Transitlawine? Freuen sich da dann die Frächter darüber, dass sie aufgrund geringer Grundbelastung noch mehr Gas geben können? Und was macht das Land an dieser Front? Die Mobilität ist ein Riesenfaktor – und da sieht LH-Stv. Geisler vor allem die Wasserstoff-Technologie als Lösungsansatz. Beispiele gäbe es auch hierzulande – etwa die Handelskette mpreis, die selbst Wasserstoff erzeugen und ihre Lkw-Flotte damit betreiben will. Oder die Zillertalbahn, die auf Wasserstoff umsteigt. „In der EU gibt es riesige Förderprogramme betreffend Elektromobilität und Wasserstoffnutzung“, so Geisler, der überzeugt ist, dass sich da auf den Straßen in den nächsten 10 bis 15 Jahren viel tun werde. Er stimmt mit Verkehrsexperten überein, die als künftiges Problem beim Verkehr nicht mehr Lärm und Abgas sehen, sondern die Anzahl der Fahrzeuge – denn die wird steigen.