Bei der hausärztlichen Grundversorgung in Wörgl, die seit der Pensionierung von Dr. Müller eine große Lücke aufweist, ist Entspannung in Sicht. Die Erleichterung darüber stand Bürgermeister Michael Riedhart und Gesundheits-Stadträtin Elisabeth Werlberger bei der Vorstellung von Dr. Marco Schönberger am 22. November 2024 im Stadtamt ins Gesicht geschrieben. Der junge, aus Bayern stammende Allgemeinmediziner wird im Sommer 2025 in Wörgl seine Familienpraxis eröffnen.
Einem Inserat in der Ärztezeitung verdankt Wörgl den sehnlich erwarteten Zuzug. Die Kassenverträge sind unter Dach und Fach und der Fahrplan zur Praxis-Eröffnung in der Bahnhofstraße 54 steht. Dr. Schönberger wird die Räumlichkeiten der Gynäkologin Dr. Thekla Schulte-Holtey, die mit Februar 2025 in den Ruhestand tritt, übernehmen und als Familienpraxis ausbauen. Die Stadtgemeinde Wörgl unterstützt ihn dabei gemäß der vom Gemeinderat beschlossenen Förderrichtlinie zur Ansiedelung von Kassenärzten. Die medial kolportierten 100.000 Euro Startbonus vom Bund gibt´s dafür leider nicht – die gibt´s nur für neue Kassenstellen.
Dr. Marco Schönberger bringt bereits drei Jahre Erfahrung in der Führung einer Praxis mit. Der 30-Jährige stammt aus dem Bayerischen Wald, studierte Humanmedizin in Wien, wo er seine Frau kennenlernte und der Liebe wegen in Innsbruck seine Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin am Landeskrankenhaus Innsbruck fortsetzte. 2021 wechselte er in die Lehrpraxis bei Dr. Helmuth Obermoser in Kitzbühel und seit Juli 2021 leitet er gemeinsam mit Dr. Kristina Obermoser in Kirchberg i.T. eine Praxis für Allgemeinmedizin.
Die verkehrsgünstige Erschließung gab den Ausschlag für das junge Paar, sich im September 2023 in Wörgl nieder zu lassen. „Wörgl ist ein guter Lebensmittelpunkt. Ein interessanter Standort – und die Sympathie hat gepasst“, begründet Dr. Schönberger die Standortwahl für seine eigene Familienpraxis. Bis Februar 2025 pendelt er noch nach Kirchberg, seine Frau, die Fotografin wird und ihn beim Praxis-Aufbau unterstützt, nach Innsbruck. Der Arzt schätzt die Möslalm als Laufstrecke und praktiziert Taekwon-Do vereinsmäßig.
Die Kassenarzt-Praxis wird, wenn mit dem Umbau der Räumlichkeiten samt Einbau moderner Technik alles glatt geht, am 1. Juni 2025 eröffnen. „Ich komme selbst vom Land und meine Dorfarzt-Philosophie beinhaltet Familienmedizin für alle, ganz im Sinn des neu geschaffenen Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin“, erklärt Dr. Schönberger. Das umfasst vom Mutterkind-Pass bis zur Sterbebegleitung alle Lebenslagen und ein breites Leistungsspektrum: Vorsorge- und Laboruntersuchungen, EKG, Blutbild, Hautkrebs-Screening, Kleinchirurgie und Reisemedizin samt aller Impfungen – da er selbst gern reist, liegt sie ihm auch besonders am Herzen.
Zum Praxis-Start werden seinem Team fünf MitarbeiterInnen angehören. Dr. Schönberger setzt auf moderne Technologien kombiniert mit direktem PatientInnen-Kontakt, vernetzt mit verlässlichen Partnern für weitere Untersuchungen.
Apropos medizinisches Umfeld. Dazu warteten Bgm. Riedhart und Stadträtin Werlberger mit weiteren guten Aussichten auf. Die vielen bisherigen Bemühungen und Gespräche, um Abhilfe beim Ärztemangel zu schaffen, fruchteten „in eine erfreuliche Entwicklung bei der Nachbesetzung von Sprengelarzt und Schularzt“, so Riedhart. Eine Lösung im 1. Quartal 2025 sei in Sicht. „Dr. Riedhart und Dr. Schernthaner nehmen derzeit die Totenbeschau vor“, teilte Werlberger mit. Alle anderen Bereiche können aufgrund der Arbeitsüberlastung nicht abgedeckt werden.
Der Ärztemangel ist landauf, landab eine Tatsache. Warum ist es so schwierig, Landärzte zu finden? Dr. Marco Schönberger sieht hier mehrere Ursachen: „Bürokratische Hürden und die finanzielle Vergütung. Die Inflationsanpassung liegt deutlich unter den kollektivvertraglichen Erhöhungen für die Angestellten. Die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung wurde erstmals nach 20 Jahren angepasst!“ Es herrsche die Erwartung, dass Mediziner aus sozialen Motiven handeln – man wolle aber nach 6 Jahren Studium und 4 Jahren Praxisausbildung auch davon leben können. „Eine weitere große Hürde ist das Wirtschaftliche, für einen Praxis-Start sind riesige Investitionen nötig“, so Schönberger. Das gesamte System stecke in überalterten Strukturen fest, die nie an neue Erfordernisse angepasst wurden. So gäbe es keine zweite Branche, in der die Vergütung von Leistungen gedeckelt ist – wer mehr arbeitet, wird mit niedrigerer Bezahlung bestraft.
Wörgl wirbt weiter um Kassenärzte
Für die Wörgler Stadtführung endet mit der neuen Familienpraxis allerdings nicht die Suche und das Werben um weitere Kassenärzte. Die nächste Pensionierung steht bevor, zudem ist eine Anhebung der Anzahl der allgemeinmedizinischen Kassenstellen von fünf derzeit entsprechend Wörgls Bevölkerungswachstum längst überfällig. Wie sieht es da mit einem seit langem diskutierten Primärversorgungszentrum aus?
„Es gibt Interessenten, es fanden auch schon Gespräche statt. Aber es müssen sich 3 ÄrztInnen finden, um zu starten“, erklärt Riedhart. „Es scheitert an fehlenden Ärzten“, bestätigt Werlberger. Zu den möglichen Immobilien zähle nicht nur der Stawa-Neubau, es gäbe auch noch weitere mögliche Standorte.
Kolumbianische Pflegekräfte im Seniorenheim
Optimistisch zeigt sich die Stadtführung auch hinsichtlich der Pflegepersonal-Situation im Seniorenheim, die sich seit der neuen Heimleitung bereits etwas entspannt habe: „Es herrscht eine positive Grundstimmung, der Trend geht nach oben. Künftig sollen fünf kolumbianische Pflegekräfte als Fachassistenten starten“, teilte Riedhart mit. Damit soll auch die Bettenanzahl wieder steigen. „Derzeit sind 112 Betten belegt“, berichtete Werlberger. Genehmigt sind 145, die Maximal-Auslastung bisher lag bei 130 Betten. Und da wolle man wieder hin, so Riedhart.
Die kolumbianischen Pflegekräfte bringen ein hohes Ausbildungsniveau und bereits Deutschkenntnisse mit. Sie werden in Kolumbien am Göthe-Institut unterrichtet und für Wörgl ausgebildet. Organisiert wird das über eine Agentur, die dafür Gebühren von der Stadt erhält. Die Stadt hilft den neuen Pflegekräften bei der Wohungssuche, persönliche Mentoren sollen beim Ankommen und Einleben in der Stadt helfen. Dass die Einstellung ungarischer Pflegekräfte missglückte, führt Werlberger vor allem auf mangelnde Sprachkenntnisse zurück. Das sei bei den kolumbianischen PflegerInnen anders. Aber werden diese nicht im eigenen Land fehlen? „In Kolumbien gibt es keinen Markt für Altenpflege – das machen dort die Familien“, erklärte Dr. Schönberger, der die Situation in Südamerika von seinen Reisen her kennt.
Pflegekräfte- und Ärztemangel gehen Hand in Hand und stellen die Menschen, die in diesen Berufen tätig sind, vor große Herausforderungen. Ein Grund für Elisabeth Werlberger, dem engagierten Personal Danke zu sagen – vor allem auch den vier Hausärzten, die seit Monaten besonders gefordert sind: „Was hier geleistet wird, ist phänomenal“.