Alkoholkrank: Den Teufelskreis durchbrechen

„Jeder hat die Chance, Alkoholiker zu werden“, ein Satz, der provokativ klingt – den die Mitglieder der Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker allerdings real erleben und es gemeinsam schaffen, den Teufelskreis der Suchterkrankung zu durchbrechen. „Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen“ bringt es Franz auf den Punkt, der vor 40 Jahren im Wörgler Tagungshaus die erste AA-Gruppe im Tiroler Unterland ins Leben rief. Zum Jubiläum gibt´s am 2. Mai ganztags eine öffentliche Informationsveranstaltung im Wörgler Tagungshaus, das die AA-Meetings seit den Gründungstagen beherbergt.

Alkoholkrankheit wird noch immer verharmlost, verschwiegen, geleugnet. Mit fatalen Folgen für Betroffene und das Umfeld. „Alkoholismus ist eine Familienerkrankung, die alle Gesellschaftsschichten betrifft“, ruft Gerhard, selbst „trockener“ Alkoholiker,  beim Pressegespräch im Tagungshaus ins Bewusstsein, bei dem drei mutige Menschen Einblick in ihr Leben als Erkrankte und Angehörige sowie in die Arbeit in der Selbsthilfegruppe gaben.

In Österreich gelten offiziell 350.000 Menschen als alkoholkrank – die Dunkelziffer liege aber weitaus höher, und 700.000 zeigen ein problematisches Alkohol-Konsumverhalten, nahe an der Sucht. Trotz glücklicherweise vieler Therapieeinrichtungen in Österreich ist Alkoholmissbrauch ein massives gesellschaftliches Problem. „Die Alkoholkrankheit kann nur zum Stillstand gebracht werden – sie ist nicht heilbar. Da hilft nur das Weglassen des Suchtmittels“, betont Gerhard, der selbst den „kalten Entzug“ mit Unterstützung der AA-Selbsthilfegruppe geschafft hat und deshalb weiß, wie wichtig die wöchentlichen Meetings im vertraulichen Kreis sind.

„Ich muss mein Leben verändern, mir und anderen gegenüber ehrlich sein“ – diese Erkenntnis gewann Franz, als der Familienvater mit massivem Alkoholproblem vor 41 Jahren Hilfe bei der damals einzigen AA-Gruppe Tirols  in Innsbruck suchte, die 1973 gegründet wurde. „Das erste Glas am Tag stehenlassen – für mich war es ein Wunder, dass ich das geschafft habe,“ erinnert er sich. Und Franz folgte dem Rat, in Wörgl eine eigene Gruppe zu gründen, wofür er im Tagungshaus Wörgl sofort offene Türen fand. Der Start war schwierig, nur wenige trauten sich anfangs, trotz vieler Informationsveranstaltungen, der kostenlosen und anonymen Selbsthilfegruppe beizutreten.

Nach drei Jahren war der Bann gebrochen – der starke Zulauf führte dazu, dass mittlerweile zwei Gruppen Betroffener jeweils montags und freitags sowie eine Angehörigen-Gruppe Al-Anon montags zu den Meetings kommen. Die Gruppen bestehen aus 10 bis 12 Leuten, alle Mitglieder sind gleichberechtigt, lediglich ein „Worterteiler“ wird von der Gruppe jeweils für ein Jahr gewählt.  Mittlerweile bestehen 17 Gruppen in Tirol, jene im Tiroler Unterland wurden großteils von Wörgl aus gegründet, auch die Selbsthilfegruppe im bayerischen Kiefersfelden.

Wie wichtig die Selbsthilfegruppe für Angehörige ist, verdeutlichte deren Gründerin Lotte, die erst durch die Auseinandersetzung mit der Suchtkrankheit ihren Umgang damit fand. „Man gibt sich selbst die Schuld, versucht zu verdecken und will es nicht wahrhaben“, erzählt sie. Erst mit dem Eingeständnis der Krankheit konnte sie im Handeln konsequent werden, sich abgrenzen.

„Jeder braucht erst einen Tiefpunkt, bevor man die Einsicht und den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören“, weiß Gerhard aus eigener Erfahrung. In der Selbsthilfegruppe fühlt man sich für die seelischen Belange zuständig. „Wir sind keine Therapeuten“, kennen die langjährigen Meeting-Teilnehmer auch ihre Grenzen und verweisen schwere Fälle auf Therapieeinrichtungen, um medizinische Hilfe zu erhalten.

Problematisch ist der Umgang mit Alkohol auch deshalb, weil die Grenzen zur Sucht nicht klar erkennbar sind. Unterschieden wird zwischen Rausch-, Spiegel- und Quartalstrinkern, wobei meist Mischformen bestehen. Der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören, sei die einzige Bedingung fürs Mitmachen in der Selbsthilfegruppe, deren Hauptzweck es sei, „nüchtern zu bleiben“. „Die Erfolgsquote liegt bei über 90 %, wenn die Leute bleiben“, weiß Gerhard und erklärt, warum die wöchentlichen Treffen so wichtig sind: „Alkoholismus ist eine Krankheit des Vergessens. Man darf auch nicht nach Jahrzehnten auch nur ein Glas mittrinken!“ Auch alkoholhaltige Speisen und Naschereien sind tabu. „Und es gibt für einen Alkoholiker auch kein alkfreies Bier oder alkoholfreien Wein – denn auch das startet das Suchtprogramm im Gehirn, baut das Verlangen nach Alkohol auf“, betont Gerhard. Und Franz ergänzt, dass er auch keine alkoholhaltigen Körperpflegemittel verwendet.

„Jeder Rausch ist bereits Alkoholmissbrauch“, stellt Gerhard klar, der auch an Schulen über das Angebot der Selbsthilfegruppe informiert und dabei immer wieder mit Schicksalen und den Leiden der Kinder konfrontiert ist. Mit dem Internet entstanden zunehmend AA-Chatrooms, vor allem junge Leute nützen das Online-Informationsangebot unter www.anonyme-alkoholiker.at. Mittlerweile bestehen auch Selbsthilfegruppen für Kinder von Alkoholikern. „Wir bevorzugen das persönliche Gespräch“, sprechen Franz und Gerhard für die ältere Generation, wobei die Mitglieder der Wörgler Selbsthilfegruppen ab Mitte 30 sind.

Um der Alkoholkrankheit entgegen zu wirken, besteht der Wunsch nach gesellschaftlicher Unterstützung. Wobei der Gruppenzwang zum Alkoholkonsum bereits nachgelassen habe. Eine restriktive Gesetzgebung wie beim Rauchen sehe man als nicht wünschenswert – wohl aber billigere alkoholfreie Getränke in der Gastronomie und „dass Betroffene außerhalb der Familie auf ihr Verhalten angesprochen werden“, ergänzt Lotte.