Das „Lebm in de Berg“ hat von Haus aus seine Tücken – und Klimawandel-bedingte Wetterkapriolen und Raubtierzuwanderung erleichtern es auch nicht gerade. Natur, Kultur und Kulinarik in Einklang bringen will seit über einem Jahrzehnt die Kulturinitiative „Langer Grund“ mit dem einmal im Sommer organisierten Theater auf der Alm, das heuer am 10. August 2024 unter wolkenlosem Himmel bei sommerlicher Hitze auf der Neuhögen-Alm und der Erla-Brennhütte in der Kelchsau über die Bühne ging.
Die beiden Initiatorinnen Gabi Brunner, Yak-Bäuerin auf der Neuhögen-Alm und Wörgls Theatermacherin Irene Turin landen damit offenbar einen Publikumserfolg, denn längst nicht jeder ergatterte noch Karten für den erlebnisreichen Tag. Der für einen Teil des Publikums mit dem zwei Kilometer langen schweißtreibenden steilen Anstieg quer durchs Gelände über 380 Meter auf die Neuhögenalm begann – geleitet von Bergretter Rudi Steiner mit seinen beiden Töchtern Magdalena und Anna Maria, die das Schlusslicht der Gruppe bildeten. Zusammenbleiben – lautete die Ansage für den letztmalig über den Almboden erfolgten Anstieg. Dass dieser bei einer Neuauflage des Almtheaters nächstes Jahr nicht mehr zustande kommt, ist dem Wolf geschuldet. Nicht einer direkten Begegnung, sondern der bereits erfolgten Verhaltensänderung der Weidetiere. Sie sind beunruhigt, reagieren nervös und aggressiv, besonders auf Hunde.
So wird die Wanderung nächstes Jahr länger über den Forstweg zur Neuhögenalm auf 1.527 Metern Seehöhe führen, den heuer schon etliche RadlerInnen strampelnd mit und ohne Elektromotor bewältigten. Dort war das Yak-Frühstück von Gabi Brunner, Herbert Gwercher und Sabine Hochstaffl schon angerichtet – schmackhafte „Yak-Hot-Dogs“ mit mehr oder weniger Schärfe.
Scharf und gewürzt mit Florian Adamskis unvergesslichem Humor war dann jedenfalls das Debüt der fünfköpfigen Formation „FloimOhr“, die sich extra fürs Almtheaterprojekt zusammengefunden hat. Bestehend aus ehemaligen musikalischen Wegbegleitern des beim Paragliden tödlich verunglückten Kabarettisten und Schauspielers aus Kundl sowie seinem Bruder Hannes Adamski.
„Die Intention unseres Projektes ist, das kulturelle Schaffen von Flo am Leben zu halten“, erklärt Gitarrist Alexander Osl, an dessen Seite Jürgen Huter den Bass zupft, Katharina Neuschmid-Kainzner aufgeigt, Mario Hirzinger am Keybord oder Cajon mitwirkt und Hannes Adamski als musikalischer „Tausendsassa“ von der Blockflöte über Zugin bis zur Gitarre sich austobt. Und alle fünf singen, jodeln & blödeln, dass es für „Flo“ eine Freude wäre, seine verrückten Gedichte, kreativen Lieder und dadaistischen Kurzgeschichten derart aufgeführt zu sehen.
Das Gedicht vom „Staubsäugling“ beanspruchte die Lachmuskeln des Publikums gleichermaßen wie Flo´s „Milfina“-Song, der beim „alten Tiroler Kulturgut Rauschherzeigen in der Früh“ angesichts einer Haltbarkeits-Milchpackung entstand ist. Dass Florian Adamski sich aber nicht nur als musikalischer Comedian aufs Blödeln verstand, sondern auch Nachdenkliches zu Papier brachte, zeigen etwa Gedichte wie „Mandl s´isch Zeit“. Flos Humor konnte derb und fein sein – wie beim Song „Da letzte Pfiff an der Bar is g´richt“. Seine Fans dürfen sich jedenfalls nach dem gelungenen Debüt auf der Alm auf weitere Auftritte von FloimOhr freuen. Unplugged auf der Sunnseit-Hüttn am Penningberg und im Herbst mit elektrisch verstärkter Band im Komma Wörgl.
Da noch eins „draufzusetzen“ sollte nicht leicht werden für Andy Woerz, der seiner ehemaligen Deutschlehrerin Irene Turin zuliebe ein zweites Mal beim Almtheater mit seiner Wortakrobatik mitmischte. Das „Radiog´sicht“, dass wohl jeder aus der Werbung kennt – vom Almdudler-Schrei, dem XXX-Lutz-Sager, von Thomas Brezinas Okidoki-Kindersendungen bis hin zu den „Sozialpornos“ und „Trash-Sendungen“ auf ATV wie Forsthaus Rampensau, Tinderreisen oder „Das Geschäft mit der Liebe“ – der „ABC-Bär“ schlüpft spielerisch in unterschiedlichste Charaktäre, imitiert perfekt Dialekte und Slangs und beschäftigt sich in seinen eigenen Texten so köstlich und kreativ mit der Sprache, dass man ihm stundenlang zuhören kann.
Seine „Leser-Show mitten am Tag“ startete der gebürtige Brixlegger, der längst in Wien lebt, mit einem „Revolverhelden-Casting“, in dem nicht nur das Wort Lagerfeuer eine ganz neue Bedeutung bekommt. Da tritt die Niko-Teen-Bande auf, die Saloontüre öffnet sich zum Swingerclub und es gelten ganz eigene „Park & Reit-Gesetze“. Da treten Ge-heimagenten auf und Ein-Wanderer auf. Was machen eigentlich Bild-Hauer? Und was „Johnny Behindlooker“? Spätestens beim Semi-Nar(r) wird klar – da wird gehörig und höchst humorig an der Sprache gefeilt. Auch emotional tiefgründig, etwa mit dem Song „Die Sehnsucht is a Oaschloch, sie quält mi scho so lang…“ Und Erstaunliches fördert Woerz auch in seinem Gedicht „Es ist hart, in der Unterwasserwelt“ zu tage. Was ihn aber wirklich aufregt, dem widmete er gar eine Wutrede: Klangspiele auf Nachbars Balkon oder Terrasse, die „wirklich nicht beruhigend sind!“ Im Gegenteil: „Damit treibt man in Tirol den Winter aus! Also räumt´s das weg!“
Nach dem Kutlur- und Kulinarik-Genuss auf der Neuhögen-Alm folgte der Abstieg zur Erla-Brennhütte – für die einen wieder über die Almböden, für andere am Forstweg. Bio-Yakbäuerin Gabi Brunner hat heuer 26 Yaks in Gruppen auf eingezäunten Arealen auf der Alm – dazu noch 83 Rinder, 6 Rösser und ein Muli von anderen Bauern. Ihre Tiere verbringen den Sommer auf der Alm, den Winter am Hechenbichl-Hof in Kössen. Der Wolf mied bisher die Yaks mit entsprechenden Respekt einflößenden Hörnern. Aber bei den Almen rundum wurden bereits Wolfsrisse an Weidetieren nachgewiesen. Gabi spürt aber die latente Raubtierpräsenz durch die bereits eingetretene Verhaltensänderung der Weidetiere.
Am Wolf kommt derzeit in der Kelchsau keiner vorbei – auch nicht das Almtheater, wie Irene Turin vom Theater unterLand feststellte. Die Idee, das Theaterstück „Bevor der Wolf den Braten frisst“ zu erstellen, kam just am Faschingsdienstag auf. „Bei der Ausarbeitung des Stückes hat uns dann die Wirklichkeit mit täglichen Schlagzeilen überholt“, erklärte Turin, bevor Hanna Klingenschmid als Wolf und Anna Eisenmann als modernes Rotkäppchen mit Boku-Studium in der Erla-Brennhütten-Stube ihren verbalen Schlagabtausch vom Naturschutz-Romantiker-Pro bis zum Landwirtschafts-Contra aufführten und dazu auch Gstanzln dicheten, die Andy Woerz mit der Gitarre begleitete.
Ein musikalisches Adieu für Florian Adamski steuerte mit Weisen ein Bläserquartett, bestehend aus Balthasar Oberhauser, Christian Erharter, Michl Manzl und Martin Greiner bei. Das Mittagessen – frischer Schweinsbraten mit Semmelknödel und Kraut sowie einem „Moosbeerfleck“ als Nachspeise – servierte das engagierte Erla-Brennhüttenteam mit den Wirtsleuten Marianne und Reini Erharter mit Lukas bei. Der Almtheatertag klang bei strahlendem Sonnenschein gemütlich aus – und wer noch Abkühlung suchte, fand sie in der Kelchsauer Ache.