Das Wörgler Freigeld bleibt aktuell

„Alles hier auf Erden kann in Geld verwandelt werden – drum hör gut zu…“ heißt es im Eröffnungslied der Theaterfassung „Das Wunder von Wörgl“, die die Burgfestspiele Reichenau im Mühlkreis diesen Sommer noch bis 6. August 2022 auf die große Freilichtbühne in der Burgruine bringen.  Mit dem neuen Stück,  erstellt von Regisseurin Doris Harder, der Stückautorin Nici Neiss sowie dem Liedkomponisten und –texter Ernst Aigner, landete der engagierte Theaterverein am 14. Juli 2022 einen großartigen Premierenerfolg, bei dem in den Publikumsreihen viel gelacht und danach wohl viel nachgedacht wurde.

Auf die Aktualität des Wörgler Freigeldes angesichts der weltpolitischen Entwicklungen und ihrer Auswirkungen auf unseren Alltag mit steigender Inflation, Armut und Unsicherheit gingen die  Eröffnungsredner der Reichenauer Festspiele ein.  „Hausherr“ und Ehrenpräsident des Burgfestspiele-Vereins Georg Fürst Starhemberg  beeindruckte mit seiner Ansprache. Trotz aller Expertenvorhersagen habe niemand den jetzigen Preisanstieg kommen sehen, der einen Ansturm auf die Sozialmärkte im Mühlviertel zur Folge habe. Auch die verdeckte Obdachlosigkeit nehme signifikant zu. „Menschen können sich die Lebenshaltungskosten trotz Arbeit nicht mehr leisten, während wir zusehen, sie Superreiche immer reicher werden, oft keine Steuern zahlen und sich im Weltall duellieren“, so Starhemberg. „Und alle sind darüber informiert! Das System des permanenten Wirtschaftswachstums und grenzenlosen Konsums steht auf wackeligen Beinen. Wir haben eine Zuvielisation entwickelt. Was brauchen wir wirklich? Wieviel ist genug? Es ist höchste Zeit, näher zusammenzurücken und jahrzehntelange Fehlentwicklungen zu korrigieren.“  Die Verunsicherung und die Belastungen der vergangenen Monate erzeugen Druck – es solle aber keinesfalls Angst geschürt, sondern die Zuversicht forciert werden. „Der Bürgermeister von Wörgl hat damals die große Notsituation erkannt – heute gilt es, die Augen zu öffnen und die Zeichen der Zeit zu erkennen. Den sozial Schwächeren zur Seite stehen ist Gebot der Stunde“, endete Starhemberg seine Rede.

„Kultur ist der Kitt der Gesellschaft“, stellte Alt-Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer seinem Statement voran und betonte, dass die Burgfestspiele Reichenau stets für exzellente Qualität stehen. Er lobte den Idealismus und die Begeisterung im 1994 gegründeten ehrenamtlichen Festspielverein. „Heuer steht nicht irgendein Stück am Spielplan. Was will uns Wörgl sagen? Gemeinschaft kann auch in Notzeiten gelingen. Es braucht Menschen mit neuen, mutigen Ideen und Kraft zur Umsetzung. Dazu müssen sie das Vertrauen der Bürger erreichen, von ihrer Mission überzeugt sein und ein starkes, persönliches Wertefundament haben, für etwas brennen“, so Pühringer. So ein Experiment könne auch scheitern, wenn es der Obrigkeit nicht ins Konzept passe. „Aber die Welt zum Besseren gewandelt haben in der Geschichte immer wieder die kleinen Wunder, wie das von Wörgl“, betonte Pühringer.

„Das Wunder von Wörgl erzählt vom Aufschwung in Zeiten der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Ein solcher Aufschwung ist jetzt nach zwei Jahren Pandemie in unserer Gemeinde wieder da, die Burgfestspiele sind zurück“, freute sich Peter Rechberger, Bürgermeister von Reichenau im Rahmen des Eröffnungs-Festaktes, bei dem Burgfestspiele-Obfrau Stefanie Stadler das große Team vorstellte, das hinter den Kulissen zum Gelingen der Theaterproduktionen beiträgt, zu denen diesen Sommer auch das Kinderstück „Heidi“ zählt.

„Das Wunder von Wörgl“

Regisseurin Doris Harder kommt mit spartanischem Bühnenbild aus – durchwegs passend für die Not während der  Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, in denen auch das Stück spielt. Als genialen Kniff lässt sie den „Finanzhai“ und das „Sparschwein“ als Metaebene zur Handlung in den 1930er Jahren unser Geld- und Finanzsystem erklären und stellt dem kränkelnden Lokführer und Bürgermeister Michael Unterguggenberger einen Engel zur Seite – nicht nur in Form seiner Frau Rosa. Die Kernaussagen auf den Punkt und Schwung ins Stück bringen die live aufgeführten, Ohrwurm-verdächtigen Songs samt hintergründiger Texte aus der Feder des Freistädters, in Reichenau aufgewachsenen Kabarettisten Ernst Aigner.

Die eigenständige Reichenauer Theaterfassung lehnt sich einerseits ein wenig an den Spielfilm „Das Wunder von Wörgl“ mit Karl Markovics an, bleibt aber vor allem im zweiten Teil näher an der Realität der historischen Ereignisse und orientiert sich im Aufbau auch am Theaterstück von Felix Benesch. Doris Harder verlangt dabei vom Ensemble durchgehend Bühnenpräsenz – bleiben doch alle sichtbar, auch wenn sie gerade nicht in der Spielszene auftreten.

Mit dem Song übers „Geld, das die Welt in Atem hält“, das größte Tabu und Machtmittel heute ist, beginnt das Spiel auf der großen Freilichtbühne. In der Gemeinderatsitzung wird der kränkelnde Unterguggenberger per Losentscheid zum Bürgermeister gewählt und unmittelbar mit der Not der Arbeitslosen konfrontiert, ebenso wie mit dem aufdämmernden Nationalsozialismus – den  Unterguggenberger (überzeugend gespielt von Christian Kudler) und seine Weggefährten ablehnen und überzeugt sind, es auch ohne Hitlers Arbeitsbeschaffungsprogramm  zu schaffen.

Dank „himmlischer Eingebung“ kommt Unterguggenberger Silvio Gesells Natürliche Wirtschaftsordnung zu Hilfe. Doch wie den Gemeinderat und die Wörgler davon überzeugen, dass sich die Gemeinde selbst aus der Not befreien kann und dazu das nötige Geld eben selbst drucken soll? Rosa (Elisabeth Stelzer) steht ihrem Mann ebenso zur Seite wie der anfänglich skeptische  Apotheker und Jurist Stawa (Joschi Auer).  Mit Empfehlung des Pfarrers startet das Bauprogramm, Unterguggenberger eilt von Erfolg zu Erfolg – bis das Verbots-Schreiben im Amt eintrifft. Was da in Wien so über die Wörgler geredet wird? Auch dazu hat Regisseurin Doris Harder eine glänzende Bühnenlösung parat! Die Geschichte endet nicht mit dem Verbot – und nicht 1933…

Zum Gelingen des Bühnenstücks trägt neben dem ausgezeichneten Schauspiel-Ensemble auch die Live-Musik bei – einerseits beigesteuert von Mitgliedern der Musikkapelle Reichenberg, andererseits vom Bühnen-Ensemble. Als Engel und Kredithai besticht Carmen Watzinger, als Sparschwein und Nazi-Anhänger Simon Seher. Eine besondere Leistung bei der Premiere legte Regie-Assistentin Sophie Isermann aufs Parkett – sie übernahm kurzfristig die Hosen-Rolle des erkrankten Berti-Darstellers und meisterte ihren Auftritt mit Bravour.

Belohnt wurde die rundum gelungene Ensemble-Leistung mit lang anhaltendem Premierenapplaus und Standing Ovations. „Das Wunder von Wörgl“ wird in der Burgruine Reichenau noch an folgenden Aufführungsterminen gespielt: 16., 21., 22., 23., 28., 29., und 30. Juli sowie am 4., 5. und 6. August 2022, Beginn jeweils 20:30 Uhr. Eintritt Erwachsene 22 Euro, ermäßigt 20 Euro, Reservierung unter www.burgfestspiele.at oder telefonisch unter 07213/6397 (Mo-Fr von 9-12 und 14-17 Uhr). Am 16., 23. und 30.7. wird Besuchern aus Linz ein Shuttle-Service angeboten.