Wie bewegen wir uns in der Zukunft? Dieser Frage widmeten die Wörgler Grünen in Kooperation mit den Wörgler Stadtwerken, dem Klimabündnis Tirol und der Wirtschaftskammer einen Vortrags- und Diskussionsabend im Wörgler Tagungshaus am 21. April 2022, zu deren interessierter Zuhörerschar auch Wörgls neuer Bürgermeister Michael Riedhart zählte.
Auf die Dringlichkeit einer Änderung des Mobilitätsverhaltens aufgrund der derzeitigen Verkehrsbelastung wies eingangs Wörgls Grün-Gemeinderätin Iris Kahn hin. Wörgl habe mit der Bundesstraße quer durchs Stadtgebiet eine der höchst frequentierten Straßen Tirols – bis zu 27.000 Fahrzeuge täglich werden bei der Kreuzung bei der Kirche gezählt. Diese Änderung endet nicht an der Stadtgrenze – doch was Wörgl und jeder einzelne dazu beitragen kann, erhellten dann die Referenten.
„Wir haben ein Verkehrsproblem“, stellte zuvor aber noch Wörgls Bürgermeister Michael Riedhart, der selbst mit dem Fahrrad zur Veranstaltung kam, in seinem Statement fest. Mit Fertigstellung der Nordtangente könne eine gewisse Entlastung erreicht werden. Der Umstieg auf Wasserstoff beim Treibstoff, wie ihn etwa die m-preis-Lkw-Flotte bereits praktiziert, sei allerdings nur sinnvoll, wenn dieser mit erneuerbarer Energie gewonnen werde. Für Wörgl bedeute es, für die Zukunft der Mobilität durch einen Ausbau des Citybus-Netzes sowie der Rad- und Fußwege einen Anreiz zum Verzicht aufs Auto zu schaffen.
Die Frage der Mobilität beschäftige auch die heimischen Unternehmen, stellte Wirtschaftskammer-Bezirksstellenleiter Peter Wachter fest, der Megatrends im Herannahen des autonomen Fahrens in Riesenschritten, den Umstieg auf Elektromobilität und Fahrgemeinschaften ortet. Eine Befragung heimischer Unternehmen liste bei den Prioritäten nach dem Fachkräftemangel und Preisanstiegen die nachhaltige Mobilität an dritter Stelle auf.
Projekt Logistikcenter Wörgl
Wie diese in Wörgl aussehen könne, habe das Hochschulprojekt Logistik Wörgl gezeigt: „Pro Jahr werden in Wörgl 551.000 Pakete zugestellt – bei 14.000 Einwohnern!“, so Wachter. Die Studie arbeitete die Idee eines Logistikcenters aus, das von den Paketlieferanten angefahren wird, und von dort aus werden die Pakete dann umweltfreundlich mit Rädern oder Elektroautos ausgeliefert. Die Wirtschaftskammer unterstützt Unternehmen bei der Einführung neuer Mobilitätskonzepte – Ansprechpartnerdafür ist Lukas Kocher bei der WK Tirol.
Pendlerverkehr im Visier
„Ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Österreich kommt vom Verkehr“, erklärte Daniel Kees vom Klimabündnis Tirol. Täglich würden 6 Millionen Arbeitswege mit dem Auto zurückgelegt, das seien 60 % aller Fahrten. In der CO2-Bilanz von 1990 bis 2018 habe der Verkehr mit eklatanten Steigerungen alle Einsparungen in allen anderen klimaschädlichen Emissionen von Industrie, Gebäuden und Abfallwirtschaft zunichte gemacht.
Um das Mobilitätsverhalten umweltfreundlich und sozial verträglich zu steuern, seien öffentliche Hand ebenso gefordert wie Unternehmen und jeder einzelne. Lösungsansätze seien 1. Vermeiden, 2. Verlagern und 3. Verbessern. Dazu beitragen könne das Mobilitätsmanagement bei Unternehmen, da Arbeits- und Dienstwege derzeit die Hauptverursacher von Pkw-Verkehr seien. Dazu kommen über 4 Millionen mehrtägige Geschäftsreisen im Jahr (43 % mit dem Auto) und in Tirol jährlich 6 Millionen Gästeankünfte – die zu 85 % mit dem Auto anreisen.
Betriebliches Mobilitätsmanagement bringe Vorteile: Das Unternehmen muss weniger Parkplätze vorhalten, kann MitarbeiterInnen mit attraktiven Angeboten binden und die CO2-Bilanz verbessern. Davon profitieren schließlich alle – Umwelt, Gesundheit und Lebensqualität. „Der VVT will eine zentrale Anlaufstelle für Mobilitätsmanagement in Tirol schaffen“, erklärt Kees und wies auf das bestehende Angebot des Klimabündnisses für eine innerbetriebliche Mobilitätsanalyse hin. Für das Beratungsangebot wird ein Selbstbehalt von täglich 100 Euro dem Unternehmen verrechnet, weitere Info dazu bei daniel.kees(at)klimabuendnis.at
Tiroler VVT-Job-Ticket
Philipp Halmanns, Firmenkundenbetreuer beim VVT, erläuterte daraufhin die Möglichkeiten und Vorteile des VVT-Job-Tickets, das von Unternehmen den Beschäftigten zur Verfügung gestellt wird. Das personenbezogene ÖPNV-Ticket gibt´s zusätzlich zum Gehalt – steuerfrei für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wobei das Ticket (fallweise mit Kostenbeteiligung der Nutzer) auch auf die Freizeit ausgedehnt werden kann. „Für einfaches Handling und Umsetzung sorgt der VVT“, betonte Halmanns und gab einen Überblick über unterschiedliche Job-Ticket-Optionen und deren Tarife in Tirol. Die Abwicklung erfolgt mittels Abschluss eines Kooperationsvertrages und Gutscheincodes, die unkompliziert und umgehend eingelöst werden können. Das Unternehmen zahlt am Monatsende mit einer Sammelrechnung nur die eingelösten Ticket-Preise.
„Der Knackpunkt ist noch, dass die Pendlerpauschale beim Job-Ticket wegfällt“, so Halmanns, der da auf baldige Änderung seitens des Gesetzgebers hofft. Jedenfalls löse der derzeitige Spritpreis einen extremen Boom beim Job-Ticket aus. Mit Öffi-Tickets kommen Arbeitgeber auch jungen Leuten entgegen, die vielfach garnicht mehr die Führerschein-Ausbildung absolvieren.
Mobilitätsmanagement bei den Wörgler Stadtwerken
Die Wörgler Stadtwerke stehen als Motor hinter dem Bestreben der Stadtgemeinde, die Energiewende voranzutreiben und den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen zu schaffen. Die Mobilität spielt dabei seit Jahren eine große Rolle. Und die der eigenen 80 Mitarbeiter nahm sich das städtische Unternehmen genauer unter die Lupe. DI (FH) Peter Teuschel von den Stadtwerken Wörgl, Bereichsleitung Innovation & Nachhaltigkeit ist Klimabündnis-Beauftragter im Betrieb und musste nach 10 Jahren Engagement für den Klimaschutz feststellen, dass Privatpersonen da nur sehr schwer abzuholen sind: „Ein Hebel können da die Betriebe sein.“
Nachdem die Stadtwerke zahlreiche Maßnahmen im Rahmen der Aktion Wörgl – unsere Energie umgesetzt hatten (darunter das E-Carsharing Projekt FloMobil und Ausbau der e-Ladeinfrastruktur), führte das Unternehmen als Klimabündnis-Betrieb 2020 den Klimacheck durch. „Bei den Beiträgen hinsichtlich des CO2-Ausstoßes machen 56 % die Arbeitswege mit dem Pkw aus und 34 % die Dienstwege mit dem Pkw, die Fernwärme kommt auf 9 %“, schildert Teuschel Resultate aus dem Ergebnisbericht. Analysiert wurden Wegstrecken und Verkehrsmittel nach Jahreszeit und die Möglichkeit, bei den Dienstzeiten zwischen 9-19 Uhr öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Ernüchternd dabei: letzteres ist nur für 10 % der Beschäftigten möglich. Im Sommer kommen 61 % mit dem Pkw, im Winter 75 %. Dabei ist gut die Hälfte der Wegstrecken kürzer als 10 km und ein Drittel kürzer als 5 km. Das Fahrrad nutzen 20 %. Mit E-Auto und zu Fuß kommen je 7 %.
„Wir überlegten uns Anreize, damit die MitarbeiterInnen auf andere Verkehrsmittel umsteigen“, so Teuschel. Dazu zählt die Bereitstellung von Pool-Fahrzeugen am Arbeitsort für Notfälle, Duschen und Umkleidemöglichkeiten, Unterstützung beim Tirol-Ticket und beim Kauf eines Fahrrades, sichere Fahrradabstellanlagen, Echtzeitinfos der Öffi-Fahrpläne und eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten und Homeoffice sowie die Anschaffung von E-Autos für die Firmenflotte. Mit Einführung der Mitfahrbörse ummadum können sich die Beschäftigten bares Geld verdienen, wenn sie aufs Autofahren verzichten und ummadum-Punkte sammeln: Beim Gehen gibt´s 30 Cent pro Kilometer, fürs Radfahren 20 Cent pro Kilometer und beim Carsharing 10 Cent pro Kilometer. Sportlich motivieren will man zum in die Pedale Treten mit der Teilnahme bei Tirol.radelt, wo die Stadtwerke 2021 die Tirol-Wertung mit über 21.000 gefahrenen Rad-Kilometern anführen. Die 25 RadlerInnen konnten dabei auch attraktive Preise gewinnen. „Heuer verlosen wir einen Urlaubstag, 31 machen mit!“, berichtet Teuschel von einem weiteren Anreiz zum Radfahren.
Das Maßnahmenpaket für die Pendlerwege stellt nun u.a. neben dem ÖPNV-Job-Ticket, der Mitfahrbörse ummadum und dem Job-Rad auch kostenpflichtige Mitarbeiterparkplätze zur Diskussion – was aber in den betriebseigenen Reihen auf Widerstand stößt. Parken war bisher gratis, doch der Parkraum ist knapp, gedacht ist an eine Monatsmiete von 40 Euro. Wobei hier auch eine Tarif-Staffelung nach Wegstrecke denkbar wäre. Klar ist auch, dass wichtige Erfolgsfaktoren wie verbessertes Radwegeangebot und bessere Öffi-Fahrzeiten nicht vom Betrieb gelöst werden können. „Dazu brauchen wir die Gemeinden und den VVT“, so Teuschel, der abschließend das Einsparungspotential durch den Maßnahmenkatalog vorrechnete – und das liegt bei 50 % der Kosten: Werden die rund 114.000 km Dienstwege mit konventionellem Antrieb zurückgelegt, kostet der Diesel rund 10.440 Euro pro Jahr – bei elektrischem Antrieb liegen die Energiekosten bei 4.930 Euro.
„Schaffe das Angebot, dann bekommst du die Nachfrage“ (Zitat Christian Hillbrand, GF Vorarlberger Verkehrsverbund)
„Der VVT schreibt in Kürze die Regionalbuslinien neu aus. Kufstein Mobil will die Interessen der Region in 23 Gemeinden von Kössen bis Kundl verbinden“, erklärte Manuel Tschenet, BSc. Geschäftsführer von Kufstein Mobil, der dazu neue Wege beschreiten und alle Gemeinden aktiv einbinden will.
Dass es verbesserte Öffi-Strukturen braucht, machte Tschenet mit Fakten klar: „Bei den Treibhausgas-Verursachern in Tirol ist der Verkehr mit 41 % der größte, weit vor Industrie und Energie mit 23 % und Gebäuden mit 17 %.“ Derzeit sprechen gegen die Öffi-Nutzung außerhalb von Ballungsräumen wie Innsbruck lange Wartezeiten und häufige Umstiege, Taktlücken, unattraktive Betriebszeiten, überfüllte Busse und wenig Komfort. Das müsse sich ändern – gerade im Hinblick auf den Pendler-Verkehr, der in den vergangenen Jahren rasant angestiegen ist: „Von 2011 bis 2019 stieg die Bevölkerungszahl in unserer Region um 14 % auf 91.831 Menschen – die EinpendlerInnen aber um 25 % auf 27.709 Personen und die AuspendlerInnen um 17 % auf 28.473 Personen. Zudem sind noch 17.816 BinnenpendlerInnen unterwegs, hier liegt der Anstieg bei 11 %“, will Tschenet den Handlungsbedarf aufzeigen.
Bei seinem Regionalbus-Vergleich in Westösterreich schneidet die Region Kufstein schlecht ab – vor allem das Vorarlberger Rheintal könne hier Vorbild sein. Es brauche attraktive Betriebszeiten und Taktverkehr und am liebsten schaut er über die Grenze in die Schweiz: 60´ oder 30´Minuten-Taktverkehr bei fast allen Linien von Bus und Bahn, Anschlusssicherheit beim Umsteigen und ein dichtes Angebot auch in kleinen Dörfern. Das brachte eine enorme Steigerung der Fahrgastzahlen – aber daran arbeitet die Schweiz allerdings seit Jahrzehnten!
Mobilitäskonzepte der Zukunft hieße, zusätzlich zum festen Fahrplan von Bus und Bahn auch die Anschlusswege mit zu planen – Carsharing, Rufbusse, Bürgertaxis und Bikesharing seien hier als Stichworte genannt. Verbesserte Fahrplanauskunft auch über Staatsgrenzen hinweg und einfache Handhabung mit online-gestützten Angeboten zählen ebenso zu den Erfolgsfaktoren. Und da hatte Tschenet noch eine gute Nachricht für alle in der Stadt Kufstein und in Ellmau: Im Mai startet hier das Bikesharing Regiorad, das ganz einfach mittels App abgewickelt wird – in Kufstein mit 21 Stationen.
Publikumsdiskussion
Wortmeldungen aus dem Publikum gingen auf die Transitproblematik ein, die Tirol nicht im Griff hat, auf den Lkw-Tanktourismus und die Problematik des Rola-Terminals in Wörgl – während am Brenner 2,5 Millionen Lkw gezählt werden, sind es auf der Autobahn bei Wörgl weit über 3 Millionen. Wobei die Schadstoffarmen ohnehin von Fahrverboten ausgenommen sind und so die Luft im Inntal von Kufstein bis Wörgl zusätzlich durch jene älteren Lkw-Modelle belastet wird, die dann auf die Rola verladen werden. Logistisch gehöre dieser Terminal ins Alpenvorland, nicht ins enge Inntal. Hingewiesen wurde zudem auf fehlende öffentliche Verkehrsmittel in der Nacht, die von Beschäftigten der Industriebetriebe im Schichtbetrieb für einen Umstieg benötigt würden – mit dem bestehenden Angebot ist der Verzicht aufs eigene Auto einfach nicht zu machen.
Manuel Tschenet regte an, dass sich Unternehmen künftig beim VVT mehr bei der Fahrplangestaltung einbringen sollten und Peter Teuschel wies im Hinblick auf die Luftbelastung im Winter auf den Hausbrand hin, der drei Viertel der Schadstoffe verursache. Bei Ölheizungen werde ungefiltert Diesel verbrannt – das müsse aufgegriffen werden. Wörgl bemühe sich mit der Fernwärme um eine Schadstoffreduktion.