Was ist fiktiv und was entspricht den historischen Ereignissen rund um die Wörgler Freigeld-Aktion? Der Spielfilm „Das Wunder von Wörgl“ wirft Fragen nach historischen Fakten auf, deren Beantwortung dem Unterguggenberger Institut am Herzen liegt. Die begleitende Universum History-Doku „Der Geldmacher – das Experiment des Michael Unterguggenberger“ von Drehbuch-Autor Thomas Reider liefert den zeitgeschichtlichen Kontext und zusätzliche Infos zur Wörgler Nothilfe-Aktion.
Auf großes Publikumsinteresse stießen der Spielfilm „Das Wunder von Wörgl“ und die danach ausgestrahlte, dazugehörige Doku, wie die Einschaltquoten widerspiegeln: Bis zu 638.000 Zuseher sahen am Samstag um 20.15 Uhr auf ORF2 „Das Wunder von Wörgl“ , durchschnittlich verfolgten das TV-Drama 570.000 Zuseher. Die ORF-Doku „Der Geldmacher – Das Experiment des Michael Unterguggenberger“ erreichte bis zu 400.000 (durchschnittlich 358.000) Zuschauer.
Der Spielfilm weicht naturgemäß zugunsten von Dramaturgie, Spannungsaufbau und Einbindung der Zeit in etlichen Punkten von den tatsächlichen historischen Fakten ab. Hier die gravierendsten dramaturgischen Kunstgriffe:
War der Vater-Sohn-Konflikt real? Nein, er ist erfunden. Michael Unterguggenberger hatte aus erster Ehe die beiden Söhne Hans und Michael. Die Spielfilmhandlung ist frei erfunden.
Gab es den Nazi-Metzger Toni Walder tatsächlich in Wörgl? Nein – diese Figur wurde eingeführt, um die NS-Zeit und ihre Ideologie in die Film-Story zu bringen.
War Unterguggenberger Vegetarier? Nein – vegetarisch gekocht wurde allerdings, wenn der katholische Gelehrte DDDDr. Johannes Ude, der sich zur Freiwirtschaft bekannte, im Haus Unterguggenberger zu Gast war.
Wurde die Bürgermeisterversammlung in Wien von der Polizei aufgelöst? Nein – sie fand ungestört statt, Zeitungen berichteten darüber. Unterguggenberger hielt vielfach Vorträge über die Wörgler Aktion, die nicht von der Exekutive gestört, allerdings z.B. in Linz untersagt wurden. In der Schweiz erhielt Unterguggenberger Einreiseverbot, nachdem in der Schweiz die Freiwirtschaftsbewegung aufgrund des Erfolges in Wörgl immer mehr Zulauf gewann.
Wurde Michael Unterguggenberger vor Gericht gestellt? Nein – es war genau anders herum. Die Marktgemeinde Wörgl beschritt den Rechtsweg, um gegen das Verbot zu klagen. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes richtete sich nicht gegen den Bürgermeister als Person, Unterguggenberger wurde nicht verurteilt. Erst das Verbot der Linksparteien im Februar 1934 führte zu seiner Amtsenthebung, da der bekennende Freiwirt Unterguggenberger der sozialdemokratischen Fraktion im Gemeinderat angehörte. Und in dieser Funktion war er 1919 bereits Vizebürgermeister, als der österreichische Staat die Gemeinden ermächtigte, Notgeld auszugeben. Diese regional gültigen Geldscheine waren allerdings kein Schwundgeld. Das Ersatzgeld musste mit Stichtag gegen Nationalwährung eingewechselt werden und war völlig legal.
Wirkte das Wörgler Schwundgeld inflationär? Nein – damit befassten sich schon Zeitgenossen Unterguggenbergers. Inflation bedeutet Aufblähung der Geldmenge ohne realen Gegenwert. Hinter jeder Freigeld-Transaktion stand allerdings ein realer wirtschaftlicher Vorgang – ob Lohnzahlung, der Kauf von Konsumgütern, die Erbringung von Dienstleistungen oder die Bezahlung von Steuern und Abgaben. Die Parallelwährung kurbelte den regionalen Wirtschaftskreislauf erfolgreich an, von Preissteigerungen ist nichts bekannt.
Konnten mit dem lokal gültigen Freigeld ausschließlich Produkte aus dem Ort gekauft werden? Nein. Die AB-Scheine konnten gegen Bezahlung einer Wechselgebühr in Schillinge gewechselt werden. Damit war der Außenhandel jederzeit möglich und funktionierte auch.
Das Wörgler Freigeld-Experiment 1932/33
Die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre traf Wörgl besonders hart. 1932 waren in der Region 1500 Menschen arbeitslos, im 4.200 Einwohner zählenden Markt Wörgl 400 Menschen – wovon 200 bereits keine staatliche Unterstützung mehr erhielten und der Armenfürsorge der Gemeinde zufielen. Die Gemeindekasse war aber leer, Steuerrückstände der Bürger nicht einbringbar.
In dieser aussichtslosen Lage entwarf Michael Unterguggenberger mit seiner 1931 gegründeten Wörgler Freiwirtschaftsgruppe das Wörgler Nothilfe-Programm, mit dem unter Verwendung von Freigeld ein Infrastruktur-Bauprogramm durchgeführt wurde. Die Not der Stunde ließ die Menschen trotz gegensätzlicher Weltanschauungen zusammenrücken – der Gemeinderat fasste alle Beschlüsse einstimmig!
Zur Durchführung der Wörgler Nothilfe gibt der Wohlfahrtsausschuss der Gemeinde Arbeitswertbestätigungen im Wert von einem, fünf und zehn Schilling heraus. Vorbild für die Aktion war das erste Schwundgeld nach der Idee von Silvio Gesell in Deutschland, die WÄRA. Eine monatliche Abwertung um einen Prozent dient als Umlaufsicherung. Durch Aufkleben von Stempelmarken behält der Schein seinen vollen Wert. Um einem Verbot wie bei der WÄRA entgegenzuwirken, hinterlegt der Wohlfahrtsausschuss den Wert der ausgegebenen Arbeitsbestätigungsscheine in Schillingen als Deckung bei der örtlichen Raiffeisenkasse, die in die Abwicklung der Aktion eng eingebunden ist.
Sämtliche Einnahmen aus der Freigeldausgabe sind eine zweckgebundene, soziale Gemeindesteuer, die für den Armenfonds und Arbeitsbeschaffung verwendet wird: Dazu zählen die Erlöse aus den Klebemarken zur Aufwertung der AB-Scheine, die als bargeldloses Zahlungsmittel deklariert werden. Eine Umwechselungsgebühr verhindert, dass die Arbeitsbestätigungsscheine sofort wieder in Schillinge rückgetauscht werden. Diese fließt ebenso in die Gemeindekasse wie Zinsen für Darlehen, die Wörgler Geschäftsleute aus der Deckung erhalten, um Waren von auswärts einzukaufen – diese kurzfristigen Kredite waren mit 6 % verzinst.
Insgesamt werden Arbeitsbestätigungen im Wert von 32.000 Schilling gedruckt. In Wert gesetzt werden sie aber erst mit Hinterlegung der Deckung, was durch einen Prägestempel auf dem Schein angezeigt wird. Im Lauf der Aktion werden allerdings nicht mehr als 8.500 Schilling hinterlegt, die nicht einmal in vollem Umfang benötigt werden. Die rasche Zirkulation ist der Erfolg, nicht die ausgegebene Geldmenge. Geld für die Deckung kommt aus Zuweisungen von Land und Bund für Straßenbau, „produktive Arbeitslosenfürsorge“ und „freiwilligen Arbeitsdienst“. Als Treuhänder bürgen der Finanzreferent der Gemeinde Dr. Georg Stawa und Pfarrer Riedelsperger.
Im Juli 1932 beginnt die Gemeinde mit der Durchführung von Bauprogrammen, die Straßensanierungen, Kanalisation, Straßenbeleuchtung, den Bau einer Brücke, einer Sprungschanze, eines spektakulären Schluchtensteiges sowie von Wanderwegen umfassen. Die Arbeiter werden mit Arbeitswertscheinen entlohnt, kaufen in Wörgler Geschäften ein, diese liefern damit Abgaben und ihre Steuern – meist sogar erhebliche Rückstände – an die Gemeindekasse ab und schon steht wieder Geld für neuerliche Baumaßnahmen zur Verfügung.
Um den Kauf der Stempelmarken zum Ausgleich des Schwundes zu vermeiden, werden die AB-Scheine rasch weitergegeben und zirkulieren 9 bis 10 Mal schneller als die Nationalwährung Schilling. Während der 13,5 Monate Dauer des Geldexperimentes, das auf Druck der Nationalbank 1933 am Behördenweg verboten wurde, ging die Arbeitslosenrate in Wörgl um 16 % zurück, während sie in Österreich im selben Zeitraum um 19 % anstieg. Von den 400 Arbeitslosen konnten bis zu 100 beschäftigt werden, je nach Umfang der Bauprogramme. Die Gemeinde richtete zudem eine Notstandsküche ein, um Menschen ohne Einkommen zu unterstützen.
Im Juni 1933 wollten rund 200 österreichische Gemeinden wie Wörgl regional gültiges Schwundgeld zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise ausgeben. Bürgermeister aus ganz Österreich verfassten eine Resolution an die Regierung, diese Form der Nothilfe auch gesetzlich zu verankern. Da das Parlament seit März 1933 ausgeschalten war, kam das nicht mehr zustande. Wörgl beeinspruchte das Verbot aufgrund des Banknotenmonopols der Nationalbank beim Verwaltungsgerichtshof mit dem Argument, dass die Deckung in Schilling hinterlegt sei, der Arbeitswertschein bargeldloser Zahlungsverkehr, also de facto ein Gutschein auf Geld ist. Schon vor der Gerichtsverhandlung, bei der Wörgl im November 1933 nicht Recht bekam und das Verbot damit aufrecht blieb, mussten die Scheine unter Androhung von Polizeieinsatz im September 1933 eingezogen werden. Das bedeutet, dass sie aus der hinterlegten Deckung wieder in Schillinge eingewechselt wurden.
Zur Person: Michael Unterguggenberger
Michael Unterguggenberger kam am 15. August 1884 in Hopfgarten als Kind einer Arbeiterfamilie zur Welt. Nach seiner Lehrzeit als Mechaniker und Schlosser in Imst lernte er auf der Gesellenfahrt durch die österreichische Monarchie die Gewerkschaftsbewegung kennen. 1905 trat er als Lokführer bei der Bahn in Wörgl in den Dienst. Er baute die Gewerkschaftsbewegung von 100 auf 800 Mitglieder aus. 1919 wurde er Vizebürgermeister für die Sozialdemokraten und blieb das bis zur Wahl zum Bürgermeister 1931. Diese erfolgte aufgrund der Stimmengleichheit des bürgerlichen und sozialdemokratischen Lagers durch Losentscheid.
Unterguggenberger wurde im Zuge der Februar-Aufstände 1934 vom Amt des Bürgermeisters enthoben. In zahlreichen Vorträgen versuchte er weiterhin, die Menschen vom richtigen Weg, der in Wörgl eingeschlagen wurde, zu überzeugen. Am 19. Dezember 1936 starb er im Alter von 52 Jahren entmutigt und durch ein langjähriges Lungenleiden entkräftet an Herzversagen. Er hinterließ seine Frau Rosa mit drei Kindern und zwei Kinder aus der ersten Ehe mit seiner 1917 verstorbenen Frau Maria. 2007 wurde Michael Unterguggenberger vom Gemeinderat posthum zum Ehrenbürger von Wörgl erklärt.
Text: Veronika Spielbichler
Weiterführende Info:
Buchtipp „Schwundgeld“: https://unterguggenberger.org/literatur/schwundgeld-buergermeister-michael-unterguggenberger-und-das-woergler-waehrungsexperiment-1932-33/
Interview mit dem Historiker und Buchautor Dr. Wolfgang Broer: https://unterguggenberger.org/ein-rebell-im-herzen-aber-realpolitiker/