Freigeldverbot war Hochfinanz-Interesse

Manchmal schlummern in Archiven Antworten auf Fragen, die über Jahrzehnte nicht schlüssig geklärt werden können. Eine solche war jene, welche Rolle der Völkerbund tatsächlich beim Verbot des Wörgler Freigeldes spielte. Dem Pinzgauer Sebastian Hartl gelang es im Rahmen seiner Masterarbeit in der Studienrichtung Internationale Entwicklung an der Wirtschaftsuniversität Wien im vergangenen Jahr, genau das aufzuklären. Und dabei noch ein erhellendes Licht auf die Rolle internationaler Interessensträger bei der Gründung der Österreichischen Nationalbank zu werfen.

Wie kommt ein junger Student, Jahrgang 1988 aus dem Bundesland Salzburg dazu, sich mit dem Wörgler Freigeld so intensiv zu beschäftigen? „Ich habe mich viel mit der 3. Welt und der Ungleichheit beschäftigt, war viel in Asien und dort reifte mein Interesse für Entwicklungszusammenarbeit“, schildert Hartl seine Motivation, an der Universität Wien für Internationale Entwicklung zu inskribieren, sich mit Entwicklungstheorie, Ökonomie und Rassismusforschung zu befassen. Im Zuge von Recherchen in der Uni-Bibliothek stolperte er zufällig über einen Artikel übers Wörgler Freigeld – und ärgerte sich, in seiner gesamten Schullaufbahn „nicht ein Wort davon gehört zu haben“.

Eineinhalb Jahre recherchierte Sebastian Hartl, streifte die Frage schon in seiner Bachelor-Arbeit zum Wörgler Freigeld, das er als „sehr innovatives Entwicklungsprojekt“ einstufte. Zunächst ohne Ergebnis. Seine Studienbetreuerin Univ.-Prof. Dr. Margarete Maria Grandner ermutigte ihn,  mit Fokus auf internationale Verbindungen weiter zu machen. „Dank Wolfgang Broers exzellentem Buch Schwundgeld waren viele Hinweise auf Quellen da“, erklärte  Sebastian Hartl bei seinem Vortrag am 14. März 2023 im Tagungshaus Wörgl. Und so begann er, in Archiven nochmals tiefer zu graben. Und wurde fündig –  im Bankhistorischen Archiv der Nationalbank und im Staatsarchiv in den Ministerrats-Protokollen.

Der entscheidende Hinweis auf den Zusammenhang von Völkerbund und Freigeld-Verbot steht im Ministerratsprotokoll vom 27. Juli 1933. „Außer einem klaren Gegner war keiner im Ministerrat wirklich gegen das Wörgler Freigeld, nur Finanzminister Buresch“, so Hartl. Dieser bezog sich in seiner ablehnenden Haltung auf die Finanzierung des Staatshaushaltes, für die sich die Regierung an den Völkerbund gewandt und um Auflage einer internationalen Anleihe im Wert von 300 Millionen Schilling angesucht hatte. Buresch hatte die Konditionen dafür in Genf selbst verhandelt. Dazu zählte die Bedingung, vor der Lausanner Anleihe eine Inlandsanleihe aufzulegen und damit Geld für die Staatskasse zu lukrieren. Diese „Trefferanleihe“ – so bezeichnet, weil mit der Ausgabe eine Lotterie mit Ausschüttung von Gewinnen verbunden war – stand kurz vor der Zeichnungsfrist im Oktober 1932, sie brachte schließlich 265 Millionen Schilling in den Staatshaushalt. Buresch erklärte im Ministerrat, dass er durch diese innere Anleihe gebunden sei und das Vertrauen in das österreichische Münzwesen nicht erschüttern dürfe. „Die österreichische Regierung hatte sich entschieden, den Staatshaushalt durch Anleihen zu finanzieren. Geldgeber wollen eine Geldvermehrung – und das steht im klaren Widerspruch zum Schwund beim Freigeld“, so Hartl.

Österreichs Staatshaushalt war 1931 durch die Pleite der CA in Schieflage geraten. Die marode Bank wurde vom Staat „gerettet“, woraufhin dieser selbst kurz vor dem Bankrott stand. Um am internationalen Finanzmarkt Geld zu bekommen, wurden Bedingungen gestellt wie die Kürzung von Gehältern und die Anhebung von Steuern und Pensionsbeiträgen. „Die Regierung war nicht mehr Herr im eigenen Haus. Der Staatshaushalt musste vom Völkerbund abgesegnet werden“, so Hartl, der noch weitere Verbindungen von Völkerbund und Freigeldverbot fand – in den Statuten der österreichischen Nationalbank.

100 Jahre Nationalbank – kein Grund zum Feiern

Am 1. Jänner 1923 nahm die nach dem 1. Weltkrieg neu gegründete Österreichische Nationalbank ihren Betrieb auf. Der Weg dahin war steinig und setzte nicht den Willen des österreichischen Parlamentes um. Nach dem Ersten Weltkrieg brach Österreichs Wirtschaft und Währung zusammen, zu Beginn der 1920er Jahre erlebte die Bevölkerung eine massive Geldentwertung. „Wer zu Kriegsbeginn 1914 eine Kriegsanleihe im Wert von 10.000 Kronen gezeichnet hatte, was dem Wert eines Hauses entsprach, bekam dafür gerade noch ein gutes Essen“, schildert Hartl anhand eines praktischen Beispiels die Auswirkungen der Hyperinflation.

1921 sah sich die österreichische Regierung erstmals genötigt, zur Finanzierung des Staatshaushaltes beim Völkerbund um Hilfe anzusuchen. Im März wurde das Gesuch eingebracht, am 4. Oktober 1921 begannen die Verhandlungen. „Der Völkerbund hatte zwei Kommissare entsandt, die feststellten, dass Österreich nicht lebensfähig sei“, schildert Hartl die Vorgeschichte. Daraufhin wurde die „Genfer Sanierung“ gestartet – und zu deren Bedingungen zählte die Neugründung einer „unabhängigen Nationalbank“. „Das österreichische Parlament verabschiedete einen Statutenvorschlag. Dieser wurde vom Völkerbund abgeändert“, so Hartl. Mit schwerwiegenden Folgen.

Die Statuten sahen im § 1 vor, dass „der Bundesminister für Finanzen unter Heranziehung ausländischen Kapitals eine Aktiengesellschaft zu errichten hat, der für die Dauer von 20 Jahren das ausschließliche Recht zur Ausgabe von Banknoten in Österreich zu verleihen ist.“ Was das Parlament allerdings im Paragraph 2 einschränken wollte: „Diese Notenbank hat mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, dass der Wert der Krone gegenüber den Devisen der Goldwährungsländer zumindest keine Verschlechterung erfahre. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, verliert sie ihr Privilegium, es sei denn, sie werde durch höhere Gewalt an der Erfüllung dieser Aufgabe gehindert.“

Die vom Völkerbund geforderten Änderungen verlangten, dass „auch die Länder und Gemeinden wie der Bund kein eigenes Papiergeld ausgeben und die Mittel der Bank weder direkt noch indirekt in Anspruch nehmen durften.“ Die Bestimmung, dass die Notenbank ihr Privileg verliert, wenn sich der Wechselkurs im Verhältnis zu den wertbeständigen Währungen ändert, wurde aufgehoben. „Damit war das Wörgler Freigeld schon 10 Jahre vor seiner Ausgabe verboten“, lautet Sebastian Hartls Schlussfolgerung. Wäre der Statuten-Entwurf des Nationalrates umgesetzt worden, „hätte die Wörgler Aktion nicht gegen geltende Gesetze verstoßen“. In Summe seien zwei Völkerbund-Interventionen in den 1920er bei der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie in den 1930er Jahren also ausschlaggebend für das Verbot gewesen. Sebastian Hartls Masterarbeit zeigt schlüssig den Zusammenhang von Freigeld-Verbot mit der Intervention internationaler Institutionen. Der Völkerbund vertrat  vor allem die Interessen der internationalen Geldgeber.

Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass die Bestrebungen des Wörgler Bürgermeisters Michael Unterguggenberger 1933, für Wörgl beim Völkerbund einen Freistaat-Status zur Fortführung des Freigeld-Währungsexperimentes zu erlangen, von keinerlei Erfolg gekrönt waren. Ein direktes, offensichtliches Eingreifen des Völkerbundes war garnicht nötig – im Hintergrund war alles „auf Linie gebracht“.

Eine Vorgehensweise internationaler Finanz-Institutionen, die in der Geschichte keinesfalls einmalig ist. Hartl entdeckte dieselbe Strategie beim Abdrehen des bedingungslosen Grundeinkommens in Namibia. Ausgehend von einem einjährigen Pilotversuch überlegte die Regierung, die Ausgabe aufs gesamte Staatsgebiet auszudehnen. Der Internationale Währungsfonds hatte das Experiment von Beginn an torpediert. „Mit einem informellen Abendessen von IWF-Vertretern mit der Regierung war das Thema dann vom Tisch, im Parlament wurde nicht einmal mehr darüber diskutiert“, stellte Hartl fest. Parallelen finden sich auch in Griechenland, wo der Wählerwille nichts an Verträgen der Troika ändern konnte.

Sebastian Hartl, der vor einem Jahr sein Studium mit dem Master of Arts abgeschlossen hat, lebt in Wien und arbeitet bei der Caritas in der Ukraine-Hilfe. Er sieht im Wörgler Freigeld weiterhin einen interessanten Ansatz, um Regionalwirtschaft und damit nachhaltigen Klimaschutz zu forcieren, würde es aber nicht mehr eins zu eins umsetzen. War damals die Ankurbelung von Konsum erwünschtes Ziel, so haben wir heute zu viel davon.

Die Geldmacher Vol. II: Wörgler Freigeld, Chiemgauer bis hin zum Sardex

Regionalgeld als wirkungsvolle Wirtschaftskrisenhilfe, dafür gilt das Wörgler Freigeld noch heute weltweit als gutes Beispiel. In seinem Vortrag am Dienstag, 16. Mai 2023 ab 19.30 Uhr im Tagungshaus Wörgl entfaltet Stefan Schütz, Erster Vorsitzender des Chiemgauer Regionalwährungsvereines,  die bunte Vielfalt an Regionalwährungen heute – vom erfolgreichsten deutschen Regiogeld Chiemgauer über den Sardex bis hin zu Anwendungsbereichen im Sozialbereich in Spanien. Komplementärwährungen sind aber nicht automatisch Gemeinwohl-fördernd. Wir schauen uns an, nach welchen Regeln sie funktionieren.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Tagungshaus Wörgl im Rahmen des Jubiläums 20 Jahre Unterguggenberger Institut.
Beitrag: Freiwillige Spenden.