Rudi Anschober war gerade 10 Wochen Gesundheitsminister, als er im März 2020 mit der Corona-Pandemie mit der größten weltweiten und österreichischen Gesundheitskrise seit der Spanischen Grippe vor 100 Jahren konfrontiert war. Am 22. September 2022 stellte der Ex-Minister sein heuer im April veröffentlichtes Buch „Pandemia“ vor – samt Rückblick auf die dramatischen Ereignisse mit Lockdowns und Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen, was bei der Buchpräsentation im Wörgler Tagungshaus zum ersten Mal Stadtpolizei-Präsenz zur Folge hatte.
Wobei Anschober in seinem Buch, das 10 Wochen auf Platz 1 der Bestsellerlisten stand, auch den generellen Umgang mit Krisen thematisiert, denn schließlich hängen alle zusammen und erfordern von uns allen eine Verhaltensänderung. Anschobers Credo: „Die Hoffnung nicht verlieren, zusammenhalten – wir brauchen das Miteinander und Respekt. Das Bewältigen einer Pandemie ist immer eine gemeinsame Aufgabe, das kann keiner allein.“
Zum Start seiner mit vielen Hintergrundinfos gespickten Lesung packte Anschober ein CO2-Messgerät aus, um die Aerosol-Konzentration zu messen und so anzuzeigen, wann der volle Saal durchgelüftet werden sollte. Das Messgerät koste 200 Euro und könne gerade im Schulbetrieb wertvolle Dienste leisten. Die Infektionszahlen steigen wieder, weltweit kommen wöchentlich 5 Millionen Neuansteckungen dazu. Grund genug, weiter vorsichtig zu sein und das eigene Verhalten anzupassen. Anschober rät zur Impfung, zum Masketragen in Innenräumen und würde anders als im Sommer jetzt wieder Großveranstaltungen meiden.
Seine Rückblende auf die Pandemie begann Anschober mit seinem Antritt als Gesundheitsminister im Jänner 2020. Der 1960 in Wels geborene Volksschullehrer brachte politische Erfahrung als langjähriger grüner Landesrat für Umwelt, Energie, Wasser, Konsumentenschutz und Integration mit. Sein Buch ist keine Abrechnung, sondern Aufarbeitung, durchaus auch mit Selbstkritik. Massive gesundheitliche Probleme veranlassten ihn im April 2021 zum Rücktritt. Nach anfänglich großer Solidarität zog nach der ersten Welle das alte politische Hick-Hack wieder ein. Was folgte, waren aufreibende Verhandlungsmarathons und rund-um-die-Uhr-Präsenz. Anschobers Fazit: „Ich hätte einen Teil meines Resorts abgeben sollen.“
„Die Menschheit hatte schon viele Bedrohungen“, resümiert Anschober und zieht als treffendes Bild die Gründung der Feuerwehr heran. Analog dazu wünscht er sich auch über Nationalstaatsgrenzen hinweg eine rasche und effektive Bekämpfung der Pandemie, die noch längst nicht vorbei sei. Es gäbe mittlerweile zwar wesentlich mehr Wissen über den Virus und Mittel wie Impfung und Medikamente dagegen, aber: „Je höher die Infektionszahlen werden, umso mehr Mutationen entstehen.“ Mit weitreichenden Problemen, auch hinsichtlich der auftretenden Langzeitfolgen durch „Long Covid“: „Neueste Untersuchungen zeigen, dass dadurch Autoimmun-Erkrankungen ausgelöst, die Abwehrkräfte auch anderen Krankheiten gegenüber geschädigt werden und Veränderungen im Gehirn erfolgen können.“
Neben der Pandemie ging Anschober auf Krisen ein, „die wir sonst noch haben“ – Energie, Klima, Krieg. Wobei die aktuelle Teuerung und Energiekrise nicht nur Putin geschuldet sei: „Die Verzögerung der Energiewende hat ihren Preis.“ In Form von Verknappung: „Heuer lieferte die Wasserkraft ein Drittel weniger Ertrag. Kohle für den Kraftwerksbetrieb konnte aufgrund des Niedrigwasserstandes auf Flüssen nicht transportiert werden und in Frankreich mussten Atomkraftwerke vom Netz genommen werden, weil Kühlwasser fehlte“, so Anschober. Die Krisen seien nicht durch Streit und Parteipolitik zu lösen: „Wir brauchen gemeinsame neue Ziele als Gesellschaft, den Beitrag jedes einzelnen Menschen und soziale Unterstützung.“ Anschober will mehr Ehrlichkeit in der Politik, diagnostiziert ein „Gerechtigkeitsproblem. Wir haben 49 Milliardärsfamilien in Österreich – und eine Milliarde wird für Sozialhilfe ausgegeben.“ Da brauche es mehr Beteiligung der Vermögenden.
Dass die notwendige Verhaltensänderung mit Verzicht auf Auto und häufigen Fleischkonsum durchaus ein Gewinn für die eigene Lebensqualität sein kann, vermittelt Anschober auch als Tageszeitungs-Kolumnist. Er sieht auch Hoffnungsvolles wie die 18-Milliarden-Euro-Investition in den Ausbau der Bahn oder das Klimaticket.
In der anschließenden Diskussionsrunde kamen Publikumsfragen zu Virus-Mutationen, Impfpflicht, Auswahlkriterien der FachexpertInnen und Impfstoff-Management, aber auch zum Umgang mit Anhängern von Verschwörungstheorien. Samt nützlichem Hinweis für Schulen aus dem Publikum: „In unserer Schule läutet mitten in der Schulstunde die Glocke als Erinnerung ans Lüften.“ Wörgls Grün-Gemeinderätin Iris Kahn dankte dem Tagungshaus Wörgl und der Buchhandlung Zangerl für die Kooperation bei Ausrichtung der Veranstaltung und der Stadtpolizei, die einen ruhigen Abend hatte. Der klang dann in lockerer Runde aus, in der Rudi Anschober sein Buch „Pandemia“, erschienen im Zsolnay-Verlag, auch auf Wunsch signierte.