Regionalwährungen: „Oasen der Veränderung“

Wie Regionalwährungen als  Kontrapunkt zur Globalisierung funktionieren und über Erfahrungen von „Geldmachern“ aus mehreren europäischen Ländern berichtete am 16. Mai 2023 Stefan Schütz vom „Chiemgauer“ beim spannenden Vortrag auf Einladung des Unterguggenberger Institutes im Wörgler Tagungshaus.

„Regionalwährungen sind Oasen der Veränderung“, leitete Stefan Schütz, erster Vorsitzender des Chiemgauer Vereines seine Ausführungen ein, die die Entwicklung und Herausforderungen solcher Gemeinschaftsprojekte anhand des Chiemgauers, des Sardex auf Sardinien, der spanischen Regionalwährungen Vilawatt, REC und Grama sowie des britischen Bristol Pound erläuterte.

„Rein ehrenamtlich ist das nicht zu schaffen“, lautet eine Schlussfolgerung aus der mittlerweile 20jährigen Geschichte von Deutschlands erfolgreichster Regionalwährung, dem Chiemgauer. Allein dessen komplexe rechtliche Organisations-Struktur zeigt die laufende Anpassung an die Erfordernisse gelebter Praxis. Nach dem Start als Schülerunternehmen folgte 2003 die Vereinsgründung. Zunehmender Umfang der ausgegebenen, eins zu eins an den Euro gebundenen Regionalwährung führte zur Gründung der Chiemgauer UG und schließlich der Regios Genossenschaft, die auch  außerhalb der Landkreise Traunstein und Rosenheim tatkräftig Hilfestellung bei Start und Umsetzung von Regiogeld-Projekten gibt. Unter dem Dach der Regios e.G. steht das Rechenzentrum und die Vergabe von Mikrokrediten. Jüngste Anpassung war die Gründung des Klimabonus-Vereines vor gut drei Jahren, mit dem Ziel, mit „Chiemgauern“  klimafreundliches Verhalten zu belohnen.

Klimaschutz aktiv einbauen

„Der Klimabonus-Chiemgauer bringt Geld in Verbindung mit den ökologischen Grenzen unseres Planeten“, erklärte Schütz das Konzept, das mit Hilfe von Fördermitteln der nationalen Klimaschutzinitiative NKI des deutschen Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz umgesetzt wird. Für welche klimafreundlichen Maßnahmen Regiogeld in Umlauf kommt, entscheidet jede Region selbst. Beispiele sind die Installation von Solaranlagen, lokaler Biolebensmitteleinkauf oder Austausch der Heizung. „Die Stadt Traunstein unterstützt größere Maßnahmen mit 10 % Förderung, die in Chiemgauern ausbezahlt wird“, so Schütz. Das Projekt bietet auch Unternehmen und Personen die Möglichkeit, Klimabonus-Zertifikate für 100 Euro pro Tonne durch Einzahlung in den Klimabonus-Fond zu erwerben. Unterstützt wird das engagierte Projekt, das mittlerweile von drei auf fünf Regionen ausgedehnt wurde. Angepeilt wird jetzt, dass es zum selbsttragenden System wird – noch sind aber Zuschüsse nötig.

Was brauchen Regionalwährungen?

Die Motivation, bei Regionalwährungen mitzumachen, ist beim Chiemgauer anders als in Regionen, wo Regiogelder aus wirtschaftlicher Not heraus Zulauf finden. Fehlender wirtschaftlicher Druck ließ die Anzahl mitmachender Unternehmen auch schon von 600 auf 400 sinken. „Neuen Schwung  hat der Klimabonus gebracht –  für dieses Thema sind die Menschen stark sensibilisiert  und das hat vor allem die Kommune Traunstein zur aktiveren Teilnahme bewegt“, stellte Schütz fest, der aus Erfahrung weiß, was „Regio-Geldmacher“ für den Erfolg benötigen: Viel Ehrenamt und einen erweiterten Unterstützerkreis, Spenden, Subventionen von öffentlicher Hand je nach Design, eine klare Außenkommunikation im Zeitgeist, Innovation und Veranstaltungen. Die Kooperation mit regionalen Banken und Gemeinden ist ebenso unabdingbar wie digitales Zahlen, wobei es hier gilt, die Programmierung zu finanzieren.

Zu den Herausforderungen, die es zu meistern gilt, zählen die Konkurrenz globaler Konzerne, die mit eigenen Währungen punkten wollen (z.B. Apple, amazon oder facebook), die Bequemlichkeit der Nutzer (Regiogeld ist ein Mehraufwand) und überbordende Bürokratie und Regulierung. Der Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit und die Erschöpfung Ehrenamtlicher gefährden Regiogeld-Initiativen ebenso wie ein kaskadierender Zusammenbruch durch den Ausstieg wichtiger Firmen.

Was macht Regiogelder sexy?

Regionalwährungen sind also alles andere als „Selbstläufer“. Dass sie trotzdem zunehmend attraktiver werden, liegt am Zustand unseres jetzigen Finanz- und Wirtschafts-Systemes, das das Leben auf dem Planeten bedroht. „Die Geldschöpfung koppelt sich seit 50 Jahren immer mehr von der Realwirtschaft ab. Die Folgen sind Inflation – Spekulationsgeschäfte werfen viel höhere Gewinne ab als Investitionen in die Realwirtschaft“, so Schütz. Sachzwänge erpressen die Politik, dazu kommt noch die massive politische Einflussnahme durch Lobbygruppen der Finanzindustrie. Extrem schnelle, disruptive Bewegungen des digitalen Geldes rund um den Globus erhöhen die Instabilität. Und nicht zuletzt löst der systemische Wachstumsdruck des Finanzsystems die heute weltweit spürbare ökologische Krise aus.

Sebsthilfe mit Regionalwährung – der SARDEX

Keine Kredite mehr – das war die Auswirkung der Finanzkrise 2008 auf die Menschen in Sardinien. Aus der Not heraus formierten einige  „junge Wilde“ eine Initiative und schritten zur Selbsthilfe: Wenn die Banken keinen Kredit geben, dann geben wir ihn uns eben gegenseitig! Aus dieser Idee entstand 2009/10 der Sardex. „Als gGmbH mit 100%igem Vertrauen der Gründer untereinander, die alle unter 30 Jahre alt waren“, schildert Stefan Schütz, der einen der federführenden Initiatoren Guiseppe Littera und die Initiative vor Ort selbst kennenlernte.

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten verstärkte man das Marketing, sprach Unternehmen direkt an. Das junge Sozialunternehmen punktete mit Transparenz, Zusammenarbeit, Gegenseitigkeit und Vertrauen, legte einen Verhaltenskodex mit Grundsätzen fest. 2016 dann die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft mit 50 MitarbeiterInnen, die eine Website und Marketing und die Regeln der Währung vorgibt, die nicht in Euro, sondern durch gegenseitiges Vertrauen gedeckt, aber an den Euro-Wert angekoppelt ist. Bis heute sammelte die AG 3 Millionen Euro Kapital ein. Die Abwicklung der Transaktionen erfolgt über Online-Konten und mobiler App, virtuellem Marktplatz und aktiver Geschäftsanbahnung. Neueste Entwicklung: B2e durch Sardex pay (Angestellte erhalten einen Teil ihres Gehaltes in der digitalen Regionalwährung) und pay cashback, zudem gibt´s die Regionalwährung als Franchise-Modell auch in anderen Regionen Italiens.

So einfach wie die Erfolgsgeschichte heute klingt, war der Weg alllerdings nicht. Die Gründer kämpften mit Sicherheits- und Datenschutzproblemen, in Rechtsfragen mit Regulierungsbehörden und Politikern. Nachdem viele Nutzer auch Anteilseigner wurden, haben sie Einfluss auf die weitere Entwicklung. „Gründer Guiseppe Littera hat sich zurückgezogen. Er sieht die Gefahr, dass sich der Sardex in eine Extraktionsmaschine für die Nutzer verwandeln kann. Er würde ein echtes Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten vorziehen“, so Schütz.

Spanien: Erneuerbarer Strom als Deckung für Regionalwährung

In der spanischen Stadt Viledecans mit 67.000 Einwohnern lernte Stefan Schütz die Regionalwährung Vilawatt kennen, die mit ökologisch erzeugtem Strom gedeckt ist. Während der Covid-Krise verdoppelte die Stadt den Wert der Bons, was 4.000 neue Nutzer eine Million mehr im Umlauf brachte. Das Vilawatt-System integrierte weitere soziale Vorteile – Studenten bekommen z.B. Rabatt in öffentlichen Einrichtungen, wenn sie mit Vilawatt bezahlen. Geld wird hier bewusst als Steuerungsinstrument verwendet.

Grama

Als Hilfe für sozial Schwächere nützt auch der spanische Stadteil  Santa Coloma de Gramenet von Barcelona mit 120.000 Einwohnern eine Regionalwährung. Das Motto der 2014/15 eingeführten Regionalwährung Grama: „Wenn man den Menschen in den Mittelpunkt stellt, verleiht man dem Gemeinschaftsgedanken Ausdruck“. Dabei nützt die Kommunalverwaltung die Regionalwährung  stadtteilbezogen  und finanziert den laufenden Zufluss aus dem städtischen Haushalt, wobei lokale Vereine in die Ausgabenpolitik integriert sind. „Vor Grama blieben von 10 Euro Unterstützungszahlung 2,91 im Stadtteil. 2022 blieben bereits 9,02 im System und wurden 5,85 mal weitergereicht. Ausbezahlt wurden 700.000 Gramas“, erläutert Schütz die verstärkende positive Wirkung durch die örtlich gebundene Zirkulation der Regionalwährung. Zur besseren Kommunikation mit den Nutzern wurde 2019 ein eigenes Büro eingerichtet, die Währung wird mit fortgeschrittenem Monitoring und tracking-Instrumenten beobachtet.

„Im März 2023 nützten 1.758 Menschen Grama, die in 673 Geschäften und bei 194 Körperschaften und Vereinen angenommen werden. Unter 494 Teilnehmern sind 339 von sozialem Ausschluss bedrohte Personen“, weiß Schütz.

Regiogeld in Barcelona

Das Projekt REC – Real Economy Currency wurde 2018 als Projekt des Stadtrates von Barcelona zusammen mit einem Partner-Consortium ins Leben gerufen, von der EU unterstützt mit 200.000 Euro Fördergeld. 25 % der Sozialfürsorge von 533 Familien wird in REC ausbezahlt. „So erzeugt Sozialfürsorge einen Zusatznutzen durch Stimulation der lokalen Wirtschaft“, erklärt Schütz.

Byebye Bristol Pound….

Zu den erfolgreichsten internationalen Regionalwährungen zählte von 2012 bis 2020 das Bristol Pound in Großbritannien. Dort akzeptierte sogar die Stadtverwaltung die Regionalwährung als Zahlungsmittel für Steuern und Gebühren, auch die Stromrechnung konnte mit Bristol Pounds beglichen werden.

Das Bristol Pound wurde als Parallelwährung zum Pfund Sterling im Wert von 1:1 ausgegeben, als Träger fungierten die gemeinnützige Bristol Pound Communtiy Interest Company, eine lokale Bank und Bristols Stadtrat. Zur besten Zeit war eine Million BP in Umlauf, 800 Geschäfte akzeptierten die Regionalwährung, für die 1.000 Konten geführt wurden. Mit einem Cyclos-Softwareprojekt wurde das Bristol Pound von 2014-2016 als „digipay 4growth“ digitalisiert, Zahlung mittels SMS bei Abzug einer 1%igen Gebühr war möglich. Der damalige Bürgermeister ließ sich sein gesamtes Gehalt in Bristol Pound auszahlen.

Stefan Schütz nahm die Gründe für den Niedergang unter die Lupe und ortete als schwerwiegendsten den kaskadierenden Zusammenbruch nach dem Ausstieg wichtiger Unternehmen. Aber das allein war´s nicht: Marketing und Kommunikation waren auf eine zu schmale Zielgruppe ausgerichtet. Das Versprechen, neue Kunden zu gewinnen, erfüllte sich nicht – Bestandskunden wechselten das Zahlungsmittel, das beim Geschäft einen administrativen Mehraufwand auslöste.  Zudem gab es beim Bristol Pound finanzielle Zuwendungen, die an die Vergabe von B2B-Kredite gebunden waren – und diese Kredite wurden nicht genug nachgefragt. Stefan Schütz folgert daraus, dass Regionalwährungen dann schlechter angenommen werden, wenn Menschen „im alten Paradigma durch Denken und Fühlen eingebettet sind“.

Regiogeld und Werte

Regionalwährungs-Initiativen wollen mehr, als ein Zahlungsmittel auszutauschen. „Regiogeld kann vielen essentiellen Dienstleistungen und Dingen Wert beimessen. Etwa der Biosphäre wie beim Klimabonus. Der Familie und Care-Tätigkeiten im Sozialbereich oder ehrenamtliches Engagement durch Vereinsförderung“, so Schütz. Beim Regiogeld gibt´s keinen „Kundendatenverkauf“, das Geld bleibt um ein Mehrfaches länger in der Region. Regionale Netzwerke sind allerdings kein Selbstläufer, sie benötigen Pflege durch persönlichen Einsatz. Im Gegenzug bieten sie beste Voraussetzungen, ohne Warten auf Entscheidungen von oben die eigene Werthaltung eines nachhaltigeren Lebensstiles auch gleich praktisch zu verwirklichen.

Welche Werte das sind, kam auch bei der anschließenden Diskussion zum Ausdruck. Förderung von Regionalität und Gegensteuern gegen das Verschwinden der Einzelhändler und damit von Sozialstrukturen am Land, Belohnung von ökologischem Verhalten oder neue Rahmenbedingungen für die Bauern durch solidarische Landwirtschaft.

Gefragt wurde auch nach der Euro-Koppelung. Die derzeit aufgrund der Regulierungsvorschriften am besten umsetzbar sei. Und Fälschungsversuche? Hat es bis jetzt nicht gegeben – der Chiemgauer verfügt über 10 Sicherheitsmerkmale und wird in der gleichen Druckerei hergestellt, in der auch die Euro-Scheine produziert werden. Ob Regionalwährungen bei einem bereits diskutierten Bargeldverbot langfristig den Bargeld-Erhalt sichern, kann aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden.

Fest steht allerdings eines: „Monokultur beim Geld ist immer schlecht“, plädiert Schütz für Währungsvielfalt. „Regiogeld schafft Bewusstsein. Geld ist nicht von Gott oder von der Natur gegeben, sondern vom Menschen gemacht.“ Und von diesem kann es auch anders gestaltet werden!