Tradition & Moderne verbinden – am Hof und in der Schneiderei

Das Netzwerk Handwerk lud am 18. Oktober 2019 im neuen Kellerhaus am Oberluecher Hof in Bruckhäusl zum Diskussionsabend mit Impulsreferaten  „Tracht im Dialog“, der auf sehr großes Publikumsinteresse stieß. „Die Tracht ist wie unser Hof Kulturgut. Sie ist unser bestes Gewand, nicht Uniform“, sagt Schneidermeisterin Helene Mayr, die am Hof ihre weitum geschätzte Trachten- und Brautmoden-Schneiderei eingerichtet hat und der es ein Herzensanliegen ist, Wissen um die Tracht und ihre Ursprünge zu vermitteln.

Und weil Tracht und bäuerliches Leben in enger Verbindung stehen, erfuhren Interessierte vorher bei einer Hofführung am Oberluech-Hof vom Biobauern Markus Mayr, der neben seinem Beruf als Leiter des Biomassekraftwerkes der Berglandmilch in Wörgl mit seinem Sohn Markus die Landwirtschaft führt, Interessantes aus Geschichte und Gegenwart. Die erste urkundliche Erwähnung des unter Denkmalschutz stehenden Anwesens erfolgt 1480, damals war hier bereits ein Gasthaus mit Poststation. Zu der auch ein „Taxer-Haus“ zum Wechseln der Rösser gehörte, das heute liebevoll saniert die Trachtenschneiderei sowie eine Ferienwohnung beherbergt.

Markus und Helene Mayr liegt viel am Erhalt der historischen Bausubstanz. Mit dem Erbe verbunden ist allerdings auch eine Bürde – denn aus der Landwirtschaft ließen sich die aufwändigen Renovierungsarbeiten am Wohnhaus sowie an den Wirtschaftsgebäuden nicht finanzieren.  „Wir haben mit Landwirtschaft, Vermietung, Schneiderei und meiner Berufstätigkeit vier wirtschaftliche Standbeine“, erklärt Markus. Ein arbeitsreiches Leben für beide, denn der Familienkreis erweiterte sich im Lauf der Jahre auch um vier Kinder.

Das größte und wagnisreichste Projekt war die Sanierung des Wohnhauses, die 2005 startete und dann drei Jahre lang lief. 625 Quadratmeter Wohnfläche aus alter Bausubstanz für zeitgemäßes Wohnen mit Licht in den Wohnräumen und Wohneinheiten im Haus zu adaptieren schien eine fast unlösbare Aufgabe, bis mit dem Architekten Klaus Adamer der richtige Partner dafür gefunden wurde. Eine Baustelle mit vielen Überraschungen inklusive Deckendurchbruch und Rückwand-Einsturz – und bürokratischen Hürden, bei deren Bewältigung auch die Gemeinde half. Der Hof war zwei Jahre lang unbewohnbar, die Familie wich in eine Ferienwohnung aus. Doch der Umbau mit Aushöhlung lohnte – und trägt zum Erhalt wertvollen Kulturgutes wie gotischer Decken  und Hochzeitstruhen seit 1664 bei.

„Der Hof mit 14 Hektar Fläche war über Generationen Selbstversorger, hier lebten und arbeiteten 18 Leute“, so Mayr, der als Kind noch den letzten Getreideanbau am Hof Mitte der 1960er Jahre erlebte. „Früher war der Obstanbau ein wichtiges Standbein“, berichtet  Markus. Doch das war mit den Apfel-Importen aus Südtirol Geschichte. Von den 320 Hochstämmen wurden im Lauf der Jahre viele gerodet. „Es gab an die 45 Apfelsorten – um die tut es mir heute leid“, räumt der Biobauer mit einem Faible für Technik und biologische Wirtschaftsweise ein. 1991 war der Oberluech-Hof eine der ersten biozertifizierten Landwirtschaften. Markus tüftelte schon vor 34 Jahren an einer Hackschnitzelheizung, die mit dem Hausumbau erweitert wurde und nun alle Gebäude mit einem hofeigenen Fernwärmenetz beheizt.

Als Kind erlebte Markus Mayr auch noch den Stallneubau vor 50 Jahren, vor 24 Jahren baute er eine Solaranlagen-betriebene Heutrocknung. Heute umfasst der Viehbestand 34 Rinder, davon rund 20 Milchkühe. Keine Hochleistungsrinder, sondern gesunde Kühe, die von April bis November auf den Weiden rund um den Hof grasen und Biomilch liefern. Nur das Jungvieh kommt im Sommer auf die Alm. Der Oberluech-Hof in sonniger Lage ist mit den Auswirkungen des Klimawandels bereits jetzt konfrontiert: „In den beiden letzten Jahren mussten wir den Viehbestand um ein Viertel verringern“, berichtet Markus Mayr. Mehr Trockenheit und Hitze setzt auch den Fichten im Wald zu  – Probleme mit Käferbefall sind die Folge. Der bäuerliche Betrieb steht vor Herausforderungen, auch im Hinblick auf gesetzliche Vorschriften betreffend die Viehhaltung, da die jahrhundertelang praktizierte Anbindehaltung im Stall nicht mehr erwünscht ist. „Die Gefahr besteht, dass uns die Milch nicht mehr abgenommen wird“, so Mayr, der nicht als einziger Landwirt vor dem Dilemma steht, dass der niedrige Milchpreis hohe Investitionen für Stallneubauten nicht finanzieren kann.

Doch die Landwirtschaft liegt der Bauernfamilie am Herzen, von den Kindern will eines auch den Hof übernehmen. Mit dem jüngsten Projekt will Markus Mayr weiter die wirtschaftliche Basis stärken: Im 2018 errichteten Kellerhaus finden seit Juni dieses Jahres Veranstaltungen Platz. Der neue, lichtdurchflutete Holzbau ruht auf einem historischen Kellergewölbe, auf dem früher die „Dreschtenne“ stand, in der die Getreideverarbeitung stattfand. „1972 wurde die Tenne abgerissen, das Gewölbe mit einer leichten Betondecke abgedeckt. Mit der Zeit sickerte Wasser ein und wusch den Kalk aus, eine Sanierung war dringend nötig“, erzählt Markus. Und auf die Frage, was dann den Keller am besten schütze, erhielt er als Antwort, dass er am besten wieder ein Gebäude draufstellen soll. So war die Idee zum Kellerhaus geboren.

Der Erhalt der historischen Weinkeller außerhalb und innerhalb des Hauptgebäudes, die mit einem Tunnel verbunden sind, erinnert an die Tradition der Weinkultur am Oberluech-Hof, die nicht nur als Wirtshaus, sondern auch mit Weinanbau über Jahrhunderte gepflegt wurde. Wer heute am Radlweg, der am Haupthaus vorbeiführt, unterwegs ist, fragt sich, ob das mit den Buchstaben IHS überschriebene Tor früher eine Kapelle war. „Das wird oft vermutet – aber es war immer ein Weinkeller. Der Wein hatte einen sehr großen Stellenwert“, so Mayr, der mit sich mit Ausrichtung eines Veranstaltungsbetriebes im Kellerhaus nochmals beruflich neu orientieren will und dazu seine Stunden im Job bereits reduziert hat.

Erster Weihnachtsmarkt im Kellerhaus am 1. Dezember 2019

Eine gute Gelegenheit, dass Kellerhaus (www.kellerhaus.tirol.at) kennenzulernen, bietet sich übrigens am 1. Dezember 2019: „Nach Pinnersdorf und Schwoicherbauer richten wir heuer am Oberluech-Hof gemeinsam mit der Pfarre einen großen Weihnachtsmarkt aus“, kündigt Mayr an.

Kulturgut pflegen – dazu gehört am Oberluech-Hof auch ein eigener Hausbrunnen mit Grundwasser, der nach alten Fotografien  wiederhergestellt wurde. Ein Anliegen seit Jahren, das aber aufgrund der vielen Baustellen immer wieder warten musste. „Den Sockel mauerten wir bereits vor 19 Jahren“, erinnert sich Mayr. Hier stand immer ein Brunnen – wohl schon zur Römerzeit, als die Hauptverbindung vom Inntal ins Sölllandl direkt am Hof verbeiführte. Heute erinnert die Anschrift Römerweg 1 noch daran. „Der Holzaufbau wurde heuer von unserem Sohn und einem Mitarbeiter der Firma Lengauer-Stockner unter Anwendung alter Zimmermanns-Handwerkskunst angefertigt – mit Schwalbenschwanz und Goaßfuß-Verbindungen, genau wie auf alten Fotos dokumentiert“, freut sich Mayr. Der Brunnenschacht ist 12,5 Meter tief, der Wasserspiegel liegt bei 10,5 Metern.

Zum Hof-Ensemble zählen weiters ein Gebäude für die Landwirtschaftstechnik und ein altes Wirtschaftsgebäude mit vier Kaminen für eine Dörre, die Speck-Selchkammer, die Schnapsbrennerei und die Waschküche.

Netzwerk Handwerk: Tracht im Dialog

„Trachten sind textile Emotionen“ – diese Feststellung des Volkskundlers Karl C. Berger, Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums, bestätigte sich bei der Diskussionsveranstaltung „Tracht im Dialog“, zu dem das Netzwerk Handwerk im Kellerhaus Oberluech geladen hatte. Der Seminarraum war bis zum letzten Platz gefüllt, vor allem von interessierten Frauen.

Die Volkskundlerin Angelika Neuner-Rizzoli moderierte die Podiumsdiskussion, bei der die ExpertInnen  zunächst die Geschichte der Tracht und ihr Potenzial für Gegenwart und Zukunft beleuchteten. Gexi Tostmann stammt aus dem Ausseerland, ihre Eltern gründeten eine Trachtenstube. Sie studierte Volkskunde, schrieb ihre Dissertation über die Wechselwirkung von Tracht und Mode. Ihr Anliegen sind „die unterschiedlichen Zugänge zur Tracht und  Brückenschlagen“ – wobei sie Qualität bei Handwerk, Ästhetik und Material als Voraussetzung für den Fortbestand der Tracht sieht. „Das Regionale hat Zukunft“, ist sie überzeugt und spricht sich gegen die ideologische Vereinnahmung der Tracht aus. Wichtig ist ihr auch die Nachhaltigkeit bei der Produktion: „Bei uns wird alles vom Entwurf bis zur Fertigstellung in Österreich gefertigt.“  Und dabei setzt sie auf die Zusammenarbeit mit dem Textilfasererzeuger Lenzing, „denn diese Stoffe sind ökologischer produziert als importierte Baumwolle, Leinen oder Schafwolle“, so Tostmann.

Das alte Handwerk der Juppenherstellung in Vorarlberg wird in der Juppenwerkstatt Riefensberg im Bregenzerwald gepflegt und wäre fast verloren gewesen, wäre nicht deren Leiterin Martina Mätzler 2003 in die Geheimnisse von Färben, Glätten und Plissieren der Röcke vom damals letzten Vorarlberger Juppen-Hersteller Manfred Fitz kurz vor dessen Tod noch eingeweiht worden. Eine strenge Tracht, doch mit leichten, neuen Stoffen konnte die Jugend begeistert und die  Juppe damit ins 21. Jahrhundert gerettet werden.  Oftmals würden bei der Neuanfertigung auch alte Bänder aus Familienbesitz wiederverwendet, auch aus Kostengründen – denn Neuanfertigungen würden 6.000 Euro kosten. Glücklich ist sie darüber, dass für alle Bereiche der traditionellen Tracht vom Schuhwerk bis zur Kopfbedeckung die erforderlichen Handwerks-Techniken noch ausgeübt werden.

„Die Tracht ist heute weiblich – und in sie werden viele Emotionen hineingewebt“, leitete Karl C. Berger sein Statement über die geschichtlichen Wurzeln der Trachten, die vielfach nicht der Vorstellung heutiger „Trachten-Apostel“ entsprechen. „Betrachtet man alte Votivbilder in Wallfahrtskirchen, so sind die Trachten sehr bunt und vielfältig. Es hat früher keine Talschaftstrachten oder Materialvorschriften gegeben, diese Zuschreibungen erfolgten erst viel später“, so Berger. Die Trachten durch modernere Kleidung zunehmend verdrängt und erlangten erst durch den Fremdenverkehr im 19. Jahrhundert vermehrt Bedeutung. Als Beginn der Uniformierung von Vereinen sieht Berger das Hofer-Jubiläum 1909: „Egger-Lienz sollte damals den Festumzug in Innsbruck organisieren – dieser wurde für Andreas Hofer inszeniert und zu diesem Anlass wurden Schützen und Musikkapellen mit Trachten eingekleidet.“

Im Mittelalter manifestierten Trachten soziale Unterschiede – je nach Herkunft und Stand bestanden Bekleidungsvorschriften. „Der Status hat eine ganz wichtige Rolle gespielt. Familienstand, Vermögen – das war klar geregelt“, so Berger. So durften Bauern nur Kleidung aus rechteckigen Stoffen tragen, auch waren längst nicht alle Farben verfügbar, da sich die Färbetechniken auch erst im Lauf der Zeit entwickelten. Dienten ständische Trachten zur Unterscheidung, so liege das Potenzial der Tracht heute in der Überwindung des Ständedenkens: „Die Tracht soll nicht das Ausschließende und Trennende, sondern das Verbindende in den Mittelpunkt rücken.“

Berger befasst sich auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit, in der die Leiterin des Innsbrucker Volkskunstmuseums von 1939-1945 Gertrud Pesentorfer zuständige für das Trachtenwesen im gesamten „Deutschen Reich“ war und willkürlich Trachten für alle Regionen entwarf – vom Elsass bis in die Ukraine. Pesentorfer spielte auch nach dem 2. Weltkrieg noch eine wichtige Rolle im Tiroler Trachtenwesen (https://www.uibk.ac.at/geschichte-ethnologie/ee/trachten/echo-11-2013-ns-gerecht-geschnuert.pdf), ihr Buch „Lebendige Tracht in Tirol“ zählt noch heute zur viel gelesenen Standard-Literatur. Bei aller Kritik an der Trachten-Designerin hinsichtlich ihrer ideologischen Nähe zum Verbrecherregime sei das Gute an ihr die Haltung, „eine lebendige Tracht zu schaffen, nichts Festgeschriebenes“. So gäbe es auch keine Schnittmuster, sondern lediglich stilisierte Bilder. „Die Tracht ist eine Diskussion, die immer weitergeführt werden muss“, so Berger.

Tracht und Mode

Tracht und Trachtenmode – dieses Thema wählten drei Schülerinnen der Höheren Lehranstalt für Mode und Bekleidungstechnik in Innsbruck für ihre Diplomarbeit. Magdalena Habel und Miriam Kirchmair stellten deren Inhalt am Podium vor. „Was ist Tracht überhaupt? Es gibt Volks- und Berufstrachten – wo findet man sie heute und wo bestehen Verbindungen zu Musik und Politik?“ gab Magdalena einen Einblick. Die Geschichte der Tracht in Tirol,  Handwerkstechniken früher und heute sind ebenso Themen wie Brautmode. „Wir beschäftigen uns mit Hochzeitstrachten, mit alpenländischer Brautmode und Hochzeitsbräuchen“, erklärte Miriam Kirchmair. Die Jugendlichen erhoben mittels Umfrage auch die Meinung vorwiegend junger Erwachsener zur Frage, ob ein Unterschied zwischen Trachtenmode und Tracht gesehen wird: „71 % der Befragten sehen den Unterschied. Tracht sollte unverändert bleiben, das Dirndl kann individuell gestaltet werden.“ Die Schülerinnen sprachen sich dafür aus, trotz Bewahrung der Tradition offen für Neues zu sein, eine langsame Weiterentwicklung und Trachtendetails auch in der Alltagsmode zu verwenden. „Die Tracht verankert das Handwerk in der Region“, stellte Magdalena fest.

Emotionale Diskussion

Das Thema Tracht ist vielfach mit Emotionen verbunden, das zeigte sich bei der anschließenden regen Publikumsdiskussion. Da prallten die Meinungen und Wünsche aufeinander – einerseits jene, die an jetzigen Trachten nichts verändern wollen und diese auch nur in der zugewiesenen Region, aber nicht bei Auswärtigen sehen wollen, auf liberal Gesinnte, die für Weiterentwicklung und breitere Verwendung eintreten. Kopfschütteln lösten Erfahrungsberichte von Trachtenträgerinnen aus, die mit Freude ihre vielfach auch selbstgenähte Tracht tragen und dann für Details wie Gummizug in der Bluse, Ärmellänge oder Farbe, ja sogar für Frisur und Schminke kritisiert und ausgegrenzt werden. In Tirol werde Trachtenmode durch den Tourismus zudem oft mit Arbeitskleidung assoziiert, während sie im Alltag von der Bevölkerung wenig getragen wird.

„Bei so vielen Vorschriften wundert mich das nicht“, stellte Gexi Tostmann fest und auch Karl C. Berger räumte ein, „dass es leider Realität ist, dass Bekleidungsvorschriften gemacht werden.“ Er appellierte, sich nicht an Vorlagen zu klammern und erteilte auch jenen Wortmeldungen eine Absage, die sich heute mit Verweis auf Tradition Festlegungen wie einheitliche Talschaftstrachten oder verwendete Materialien wünschen: „Auf welchen Zeitpunkt der Geschichte soll sich diese Tradition beziehen? Auf Standestrachten im Mittelalter?“ Tradition sei Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche. Es gelte, traditionelle Formen aufzunehmen und diese weiter zu entwickeln: „Wenn wir starr an historischen Formen festhalten, haben wir nur mehr Theaterkostüme.“ Berger plädierte unisono mit den Volkskundlerinnen am Podium dafür, „nicht in der Historie gefangen zu sein und eine Weiterentwicklung nicht als Widerspruch zu sehen.“ Und einig sind sich die ExpertInnen auch darüber, dass die Pflege des Handwerks und die Weitergabe von Wissen um Arbeitstechniken und Material wichtige Grundlagen sind. Moderatorin Angelika Neuner-Rizzoli  wünschte sich abschließend  für den Weiterbestand der Tracht Respekt und Weitsicht, da die Tracht wichtiger Teil der Volkskultur sei.