Zu Unrecht in der Kritik sehen sich sie Wörgler Stadtwerke anlässlich heuer wiederholt auftretender Überflutungen nach Starkregenereignissen, bei denen die Wassermassen vom Kanalsystem nicht mehr bewältigt wurden. In ihrer Stellungnahme analysieren Stadtwerke-Geschäftsführer Dr. Klaus Kandler und Abwasser-Bereichsleiter Jakob Unterberger die Ursachen und schildern, weshalb eine geforderte Vergrößerung der Kanalinfrastruktur kein Lösungsansatz sein kann. Betroffenen raten Beide zum Eigenschutz, denn: „Es gibt keine Lösung für Starkregenereignisse.“
Zu den Auswirkungen des Klimawandels zählen extremer werdende Wetterereignisse. Die warmen Wassertemperaturen im Mittelmeer verursachen viel mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre und damit vermehrten Niederschlag und Unwetter. Wie also darauf reagieren? Wohin mit den Wassermassen?
Historisch gewachsenes Kanalsystem
Zunächst ein Blick auf die bestehenden Wasserableitungen. Wörgls Kanalnetz ist historisch gewachsen und fällt in unterschiedliche Zuständigkeiten. Für Straßenabwässer sei die Stadt und damit der Bauhof zuständig. Das Abwasserkanalsystem der Stadtwerke umfasse eine Länge von 57 Kilometern, wobei hier Oberflächenwasser- und Schmutzwasserkanäle im Stadtzentrum in Form eines Mischwasserkanals bestehen – außerhalb werden auch getrennte Ableitungen vorgenommen.
Wörgls erster Kanal wurde 1927 gebaut. Als in den 1980er Jahren die Kirchbichler Verbandskläranlage errichtet wurde, erfolgte die größte Kanalbau-Offensive. Verbunden mit der Anschlusspflicht für Haushalte. „Das Kanalnetz wurde vorausschauend unter Berücksichtigung aller Baulandreserven geplant und war anfangs zu groß dimensioniert“, erklärt Dr. Kandler. Weshalb die Einleitung von Oberflächenwasser sogar vorgeschrieben wurde, um den Abtransport des Abwassers zu gewährleisten. Das ist aber seit dem Jahr 2000 strikt untersagt – seither muss anfallendes Oberflächenwasser auf eigenem Grund und Boden versickert werden.
Mit dem Wegfall dieses Wassers sei das Wörgler Kanalnetz für die Abwasserentsorgung ausreichend dimensioniert. Eine Erweiterung komme auch aus einem anderen Grund nicht in Frage: Gemeinden dürfen Oberflächenwasser nicht sammeln und in die Vorfluter ableiten, da das die Hochwassergefahr für alle flussabwärts verschärft. Dazu kommt, dass ins Abwasser eingeleitetes Regenwasser dazu führt, dass bei den Regenüberlaufstationen dieses dann ungeklärt in die Vorfluter abfließt – was auch verhindert werden soll.
Rückstau-Problematik
Was bleibt, ist also die Rückstau-Problematik bei großem Wasseranfall in kurzer Zeit. Die Stadtwerke unterzogen die Schadensereignisse dieses Sommers einer detaillierten Analyse. „Starkregen kommt meist mit Wind, oft mit Hagel. Laub und Eis verstopfen Gullis, das Wasser rinnt nicht mehr ab, es bilden sich Seen“, erklärt Jakob Unterberger eine der Ursachen. Werden die Gullis ausgeräumt, fließe das Wasser auch wieder ab. Und Klaus Kandler verweist darauf, dass „Straßen auch als Retensionsflächen gedacht sind.“ „Wie beim EKZ. Dort gibt es keinen Oberflächenwasseranschluss ins Fäkalkanalsystem. Beim Bau wurde die Parkfläche vom Bauherrn als Retensionsraum vorgesehen, das wurde der Behörde auch so mitgeteilt. Die Tiefgaragenzugänge wurden auch entsprechend mit einer Wasserbarriere ausgestattet“, erklärt Unterberger.
Eine andere Ursache haben die Überflutungen bei den Schulen in der Innsbruckerstraße. Dort kommt der bestehende Kanal nicht mit dem anfallenden Oberflächenwasser zurecht. Das Nadelöhr ist hier aber nicht der Gemeindekanal, sondern die Zuleitung in diesen in Form eines Mischkanals – das Wasser staut sich in diesem. „Und diese wird auch nicht vergrößert, da wir sonst das Problem in den Gemeindekanal verlagern“, erklärt Unterberger. Bei beiden Schulen sind große Flächen versiegelt, eine Versickerung auf eigenem Grund schwer bis unmöglich. Was also tun?
Technische Lösungen
„Der Kanal hat eine Rückstauebene auf dem Geländeniveau, auf dem die Ableitung erfolgt. Deshalb sind Wasserabflüsse im Keller nur mit Hebeanlage erlaubt. Wenn Gullis oder Waschbecken unterhalb dieser Rückstauebene liegen, tritt dort das Wasser aus“, erklärt Unterberger den Sachverhalt. Um das künftig zu verhindern, seien bauliche Maßnahmen in den Gebäuden durch die Bundesimmobiliengesellschaft erforderlich.
Eine Problematik, die nicht nur die Schulen betreffe, sondern auch vielfach Privathäuser. Wer sich dagegen bisher mit einer Rückstauklappe wappnete, sei aber nicht auf der sicheren Seite, so Unterberger: „Da können Steine eindringen und damit ist kein 100 %iger Schutz mehr gegeben.“ Den bieten nur entsprechende Hebeanlagen.
Das Wasser sucht sich seinen Weg. Und das führt bei Starkregen dann auch dazu, dass Kanaldeckel aufspringen und ausfließendes Wasser den Straßenraum flutet. „Das darf sein“, weist Unterberger auf die geplante Funktionsweise des Abwasserleitungssystemes hin, die vor allem in tieferliegenden Wörgler Stadtgebieten wie in der Prandtauer und Opperer Straße zu Überflutungensproblemen führen. Hier helfe nur Eigenschutz etwa durch den Bau von entsprechend hohen Gartenmauern.
Ein Fall für die Bauordnung?
Stehen Häuser in überflutungsgefährdeten Zonen, so war früher klar, dass kein Keller gebaut oder das Erdgeschoss mit Wohnfläche durch Aufschüttungen im Gelände angehoben wurde. Man lebte mit dem Hochwasser. Das änderte sich in den vergangenen Jahrzehnten. Hohe Grundpreise und optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Fläche führten dazu, dass der Untergrund immer mehr für Wohnzwecke verwendet wird. Nicht nur Technikräume für Heizung und Wirtschaftsräume, auch Hobbyräume, Sauna, selbst Schlafzimmer sind „untertags“ eingerichtet.
Die Tiroler Bauordnung gibt Mindestabstände zum Nachbarn vor. Bei der Bebauung werden Höhenpunkte festgelegt. Um dann die mögliche Wohnnutzfläche zu maximieren, wird nach unten gebaut. Auch bei gemeinnützigen Wohnbauträgern. Würden die ebenerdigen Flächen erhöht oder nicht für Wohnzwecke genützt, verringert sich die Wohnfläche und damit die Wirtschaftlichkeit des ganzen Bauwerkes. Sollte also die städtische Bauordnung darauf reagieren? „Das ist derzeit kein Thema“, sagt Kandler. „Wir geben bei Bauwerbern Stellungnahmen ab, die als Empfehlung gelten. Die Risiko-Abwägung machen diese selbst.“ Wenn diese nicht befolgt werden, könne es nicht sein, dass die Stadtwerke dann als „die Buhmänner“ dastehen.
Betroffene informieren und beraten
„Wir haben uns alle Überflutungsfälle heuer angeschaut. Bei keinem war die Dimensionierung unseres Kanals die Schuld, der Kanal war frei“, stellt Dr. Kandler fest und räumt ein: „Für die von den Feldern kommenden Wassermassen gibt es keine Lösung. Das ist höhere Gewalt. Für Betroffene wird der Eigenschutz immer wichtiger. Wir bemühen uns, Betroffene zu informieren und über mögliche Maßnahmen im konkreten Fall zu beraten. Technische Maßnahmen gibt es für alles – was aber auch eine Frage der Kosten ist.“
Keine Einleitung von Regenwasser ins Abwasserkanalnetz setzt Versickerung am Standort voraus, die aber oftmals nicht funktioniert. In der Praxis müssen Bauherren diese nachweisen, wobei Wasserrechtsbescheide für Versickerungsprojekte bis zu einem 30jährlichen Hochwasser vorzulegen sind.
Keine Engstelle des Kanalsystems sei die Bahnunterführung in Wörgl, wie Jakob Unterberger erklärt: „Dort läuft nicht ein Hauptkanal, sondern drei Kanalstränge durch – mit Durchmessern von 1800, 900 und 600 Zentimetern.“ Unterberger weist auch das Argument zurück, dass durch wiederholte Asphaltierungen das Straßenniveau in der Prandtauer Straße erhöht worden sei und es deshalb zu vermehrten Problemen komme.
Laufende Instandhaltung
„Wir investieren jedes Jahr 500.000 Euro ins Kanalsystem“, weist Kandler auf die laufende Wartung und Instandhaltung hin. Aktuell erfolgt die Erneuerung eines 80 Jahre alten „Wehrmachts-Abwasserkanals“ in der Brixentaler Straße. Bis Jahresende sollen die abschnittsweise durchgeführten Grabungsarbeiten abgeschlossen sein. Die Kanaldimension bleibt übrigens gleich. „Mit der Kanalerneuerung werden die Rohre vom Privatgrund weg in die Straßenmitte verlegt“, erläutert Unterberger die laufenden Bauarbeiten, die zur Umleitung des Schwerverkehrs über die Egerndorfer Straße sowie zu immer wieder auftretenden Verkehrsbehinderungen im Abschnitt der Brixentaler Straße zwischen SPAR und Werburg-Straße führen.