Am 18. Juni 2018 fand in der Buchhandlung Zangerl in Wörgl die Präsentation des Buches „1938 – Der Anschluss in den Bezirken Tirols“ durch die beiden Buchautoren Horst Schreiber und Gisela Hormayr statt, das sich mit dem Verhalten der Tiroler Bezirke bei der Machtübernahme durch das Deutsche Reich 1938 beschäftigt. Unter den Gästen waren auch der Wörgler NR Christian Kovacevic und der stellvertretende SPÖ Stadtparteiobmann Bastian Wiedl. Leider war die Buchpräsentation relativ spärlich besucht, gerade dieses Thema hätte sich ein größeres Publikumsinteresse verdient.
80 Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich liegt erstmals eine Studie vor, die den Anschluss in allen Bezirken Tirols beleuchtet. In zwölf Beiträge wird der Aufstieg der NSDAP, der NS-Terror und die deutschnationale Traditionen einer Grenzstadt vor 1938, Verhaftungen und Rache, Umbruch, Gleichschaltung und Propaganda analysiert. Außerdem das Eindringen in sozialdemokratische Milieus und die Herstellung der „Volksgemeinschaft“ durch Gewalt und Ausgrenzung, aber auch durch sozialpolitische und alltagskulturelle Angebote einer Zustimmungsdiktatur.
In ihrem Beitrag „Grenzen, die keine waren, sind nicht mehr“ nimmt die Autorin Dr. Gisela Hormayr speziell auf den Bezirk Kufstein Bezug“. Die Präsentation des zeitgeschichtlichen Werkes erfolgte durch den Herausgeber Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber selbst. Gewalt und Ausgrenzung, aber auch sozialpolitische und alltagskulturelle Angebote werden beschrieben. Sie schmiedeten die NS-Volksgemeinschaft zusammen.
Das vorliegende Buch macht dies auch aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive sichtbar. Nutznießerinnen aus dem Kreis des Bundes deutscher Mädel kommen ebenso zu Wort wie ein betagtes jüdisches Ehepaar und eine jüdische Familie, deren umfangreicher Briefverkehr vorliegt. Der Bezirk Kufstein wird auf 40 Seiten geschichtlich beleuchtet. Die bekannte Historikerin, die bereits mehrere Bücher veröffentlichte, stellt dieses Thema unter den Blickwinkel: „Grenzen die keine waren, sind nicht mehr!“
Aber auch das Tiroler Oberland insbesondere die Vorgangsweise der NSDAP und der Naziangehörigen gegen die jüdischen Mitmenschen werden kulturhistorisch beleuchtet und sind auch dementsprechend belegt. So bestand der echte Kader der NS damals aus Akademikern und Akademikerinnen, erklärt Horst Schreiber. Junge Männer konnten besser politische Karriere als Frauen machen. In dieser Zeit wurde der Sozialstaat Österreich faktisch abgeschafft. Der österreichische Staat hatte ab 1935 seinen Beschützer Italien nicht mehr und näherte sich deshalb sukzessive an Deutschland an. In diesem NS-Regime ging es nicht nach sozialer Herkunft sondern einzig und allein nach Leistung, so Schreiber.
Interessant auch, dass sich die Kufsteiner bereits damals mehr als Deutsche gesehen haben, sehr viele deutsche Geschäftsleute lebten in Kufstein, Kufstein hat eine kerndeutsche Geschichte, so die Historikerin Gisela Hormayr. So wurde in Kufstein eine der ersten Ortsgruppen der NSDAP bereits 1922 gegründet. Hatten doch zu dieser Zeit bereits der Kufsteiner Turnverein und auch der Alpenverein in ihren Statuten einen „Arier“ Paragraphen in ihren Aufnahmekriterien. Auch spielt die Festung Kufstein in der NS-Propaganda eine enorm große Rolle. In dieser Zeit gab es auch zahlreiche Terroranschläge im Raum Kufstein wie etwa der Anschlag auf die Kufsteiner Wasserleitung. Auch gab es eine Ausbürgerungsliste, auf der 19 Personen aufschienen, gewesen sind es aber viel mehr, so Hormayr. Diese Liste mit den Namen wurde in der Zeitung veröffentlicht. Im Raum Wörgl, Kirchbichl und Bad Häring war die Situation eine etwas andere, da die Arbeiterschaft hier besser durchorganisiert war. Es kam wohl in Wörgl ständig zu Zusammenstößen, aber es gab keine Todesopfer so wie in Kufstein. So wehte am Heiligen Abend des Jahres 1933 vom Turm der Wörgler Kirche auf einmal eine Hakenkreuzfahne, auch in Wörgl hatte die NSDAP einen dementsprechenden Zulauf. Viele Informationen aus dieser Zeit stammen aus Gendarmeriechroniken, allerdings ab dem Jahr 1935 wurden die Eintragungen immer weniger da auch die Gendarmerie von den NSDAP-Mitgliedern unterwandert wurde.
Text: Wilhelm Maier