Steigende Inflation, Wirtschafts- und Klimakrise, zunehmende Armut nach Jahrzehnten des Wohlstandes – aktueller denn je ist heute das Wörgler Freigeld-Experiment, mit dem die Gemeinde in den 1930er Jahren mittels selbst gedrucktem Geld wirkungsvoll Krisenselbsthilfe umsetzte und die Wirtschaft auf regionaler Ebene wieder ankurbelte. Die Erinnerung daran hält in Wörgl seit 2003 das Unterguggenberger Institut wach, das am 5. Oktober 2022 bei der Generalversammlung Bilanz über ein veranstaltungstechnisch schwieriges Pandemiejahr zog.
Die Bildungsarbeit umfasst die Themen Währungsdesign ebenso wie Nachhaltigkeit und die Auswirkungen unseres Geld- und Finanzsystems auf unsere Art des Wirtschaftens. In Kooperation mit dem Tagungshaus Wörgl vermitteln Dokumentarfilme und Vorträge Wissen und Fakten, geben aber auch Anregungen fürs eigene Handeln. So stießen im vergangenen Vereinsjahr Vorträge über die Artenvielfalt im Wörgler Feuchtbiotop Filz und die Anwendung von Aktivkohle im Terra Preta-Verfahren auf großes Publikumsinteresse. Am 18. Oktober befasst sich ein Film- und Diskussionsabend mit TIWAG- und Feuerwehr-Experten mit dem Thema „Wasserstoff – Brennstoff der Zukunft?“, die Doku „Der Waldmacher“ am 15. November zeigt, wie in Afrika erfolgreich Wüste begrünt wird.
Mit Fragen rund um den digitalen Wandel, Blockchainanwendungen und Kryptowährungen befasst sich seit 2017 der monatliche CryptoCircle, der 2021 in die Zone Wörgl übersiedelte und auch während der Lockdowns als Online-Format fortgeführt wurde. Via Zoomsession ist nach wie vor auch online die Teilnahme möglich. Bei den Impulsvorträgen wird leicht verständlich Expertenwissen vermittelt. Die Themenauswahl legt die Gruppe selbst fest. Das bunte Spektrum reichte im vergangenen Jahr von der praktischen Anwendung von Blockchain und Kryptos, klassische und neue dezentrale Finanzmärkte über digitale Spielwelten wie Decentraland und das Web 3.0 bis zur E-Residency in Estland und zu lokalen Einkaufsgenossenschaften. Am 12. Oktober gibt´s Wissenswertes zu digitalem Zentralbankgeld und am 16. November steht der Energieverbrauch von Kryptowährungen im Fokus.
Die Vermittlungsarbeit des Unterguggenberger Institutes geht über Wörgl weit hinaus. Hier Treffen Anfragen von Medien ebenso ein wie von Kulturschaffenden. TV-Teams aus Korea sowie von ARTE drehten zum Thema Freigeld in Wörgl. Das Jenbacher Museum zeigt das Wörgler Schwundgeld in der aktuellen Sonderausstellung „Dokumente aus Krisenzeiten“, die noch bis 29. Oktober sowie an allen Adventsamstagen zu sehen ist. Die Burgfestspiele Reichenau im Mühlkreis/OÖ brachten von 14. Juli bis 6. August 2022 das eigens erarbeitete Theaterstück „Das Wunder von Wörgl“ in der Theaterfassung von Nici Neiss und Doris Harder mit Musik von Ernst Aigner auf die große Freilichtbühne, über 3.000 Menschen sahen die gelungene Produktion.
Das Jubiläum 90 Jahre Freigeld feierte das Unterguggenberger Institut mit zwei geselligen Events. Der nach Figuren von Manfred Deix hergestellte Animationsfilm „Rotzbub“ wurde als Open-Air-Fahrrad-Kino beim Kooperationspartner Zone gezeigt und am 31. Juli, dem Erstausgabetag der Freigeldscheine 1932, gab´s nach der Besichtigung des Museums-Schauraumes im Unterguggenberger Institut und einem Spaziergang am Freigeldrundweg beim gemütlichen Grill-Abend in der Zone ein eigens erstelltes Pubquiz rund ums Thema Geld. Da das Wörgler Heimatmuseum aufgrund des Gebäudeumbaues seit zwei Jahren geschlossen ist, richtete das Unterguggenberger Institut im eigenen Vereinslokal in der Unterguggenberger Straße 3b im Vorjahr einen musealen Schauraum ein, der nach Anmeldung besichtigt werden kann. SchülerInnen des BRG Wörgl erhielten hier ebenso Infos wie die Jugendlichen der Jugend-Sozialaktion „72 Stunden ohne Kompromiss“.
Um Bewusstsein für die Bedeutung des heute noch weltweit beachteten Wörgler Freigeldes auch in der Stadt Wörgl zu schaffen, setzt das Unterguggenberger Institut auf die Zusammenarbeit mit Institutionen wie Heimatmuseum und Stadtmarketing. Mit der Kulturpreis-Verleihung in der Sparte Darstellende Kunst und Literatur an den Drehbuchautor des TV-Dramas „Das Wunder von Wörgl“ Thomas Reider würdigte die Stadt dessen Arbeit, die für Wörgl eine unbezahlbare Imagewerbung bedeutet – der Spielfilm wurde wiederholt in Österreich, Deutschland, Schweiz, Südtirol und Frankreich ausgestrahlt und laut epofilm von rund 5 bis 6 Millionen Menschen im Fernsehen gesehen. Unter dem Titel „Shillings From Heaven“ vermittelte epofilm weltweit über 20 Filmvorführungen, der Weltvertrieb läuft noch zusätzlich über Bavaria München. Beide Versionen können nach wie vor gestreamt werden.
Zur Vorbereitung einer Währungsdesign-Akademie arbeitete das Unterguggenberger Institut 2019/20 mit der Regionalwährung Chiemgauer unter Federführung des Vereins Komm!unity an einem EU-geförderten Interreg-Projekt mit. Gespräche zur Fortsetzung des Bestrebens, Währungsdesign auf Hochschul-Niveau zu vermitteln, finden seit 2021 Gespräche mit der Fachhochschule Kufstein statt.
Die Generalversammlung, bei der auch Wörgls Kulturreferent Sebastian Feiersinger begrüßt werden konnte, bestätigte mit einstimmigem Beschluss eine personelle Änderung im vierköpfigen Vereinsvorstand. Richard Gaun übernimmt von Stefan Ossanna die Schriftführerfunktion, weitere Vorstandsmitglieder sind Jutta Seethaler, Heinz Hafner und Veronika Spielbichler. 2023 begeht das Unterguggenberger Institut, das dank der Unterstützung der Familie Rigler-Unterguggenberger seit 2006 seinen Sitz in der Unterguggenberger Straße 3 hat, das 20-jährige Bestandsjubiläum. Neue Mitglieder und Anregungen sind herzlich willkommen.