Was macht eine Stadt lebens- und liebenswert? Worauf legen Bewohner wie Gäste Wert? Und ist die Zeit für Veränderung hin zu mehr Lebensqualität in der Stadt auch in Wörgl reif? Kann das aus Italien kommende Cittá Slow-Konzept dazu eine Basis sein? Um darüber zu diskutieren, luden die Grüne Bildungswerkstatt Tirol und die Wörgler Grünen am 14. Jänner 2016 ins Tagungshaus Wörgl zum Vortrag mit Gabi Pils, deren Arbeit als Prozessbegleiterin Enns zur ersten zertifizierten Cittá Slow-Stadt Österreichs machte.
„Das Auto hat die Stadt im Griff. Der Platz für nichtmotorisierten Verkehr ist knapp und freie Plätze sind Mangelware – so wie regionale Geschäfte Kaufhausketten gewichen sind. Seit 30 Jahren läuft diese Entwicklung – und deshalb ist Wörgl so wie´s ist. Man kann nicht alles umkrempeln, aber neue Wege suchen und gehen, um die Stadt wieder liebens- und lebenswerter zu machen“, erklärte Grün-Gemeinderat Richard Götz zum Beweggrund, das Cittá Slow-Konzept im Hinblick auf seine Tauglichkeit für die Anwendung in Wörgl anzusehen.
„Wörgl hat teilweise Ähnlichkeit mit Enns“, sieht Gabi Pils Parallelen. Die aus Linz stammende PR-Fachfrau begleitete mit ihrer Kommunikationsagentur agora die 1212 gegründete Stadt in Oberösterreich auf dem Weg zur ersten Cittá Slow-Stadt Österreichs und ist jetzt Ansprechpartnerin für weitere Zertifizierungen. Die Cittá Slow-Bewegung enstand aus der 1986 gegründeten Slow-Food-Vereinigung, die bei Qualität beim Essen ansetzt. Das Cittá-Slow Netzwerk umfasst mittlerweile rund 200 Städte weltweit.
„Cittá Slow bedeutet, dass Kommunen so gut auf sich aufpassen, dass unsere Urenkel noch gerne und gesund hier wohnen, noch unsere alten Bauten bestaunen, unsere Traditionen leben, Essen und Trinken von unseren Bauern und Wirten bekommen, ihre Events feiern, ihre Schule und Arbeit hier vorfinden und damit wirklich Zeit fürs Leben haben“, so Pils. Sechs Themenschwerpunkte weisen eine Cittá Slow aus: Alternative Energien und Recycling in der Umweltpolitik, behindertengerechte und Grünraum-orientierte Infrastrukturpolitik, urbane Qualität bei der Stadtentwicklung, authochtone Qualität durch das Bewahren von gewachsenen Traditionen und Brauchtum, Gastfreundschaft etwa durch Städtepartnerschaften, maximal 50.000 Einwohner und ein Cittá Slow-Bewusstsein in der Politik und Öffentlichkeitsarbeit.
In Enns zählte Innenstadtbelebung, die Umkehr sinkender Einwohnerzahl hin zu Bevölkerungszuwachs, Verkehrsberuhigung im historischen Zentrum durch Shared Space und Tempo 20 auf der Durchzugsstraße, Betriebsansiedelungen und Nächtigungszuwächse im Tourismus zu den umgesetzten Maßnahmen. Markttage mit regionalen Produkten mit bis zu 30 Ständen tragen zur Lebensqualität in der Stadt ebenso bei wie der Erhalt von Obstgärten, deren Äpfel vor Ort veredelt werden. Als erster Schritt wurden Tourismusverband, Stadtmarketing und Kaufleute-Vereinigung zusammengezogen zur TSE – Tourismus Stadtmarketing Enns GmbH. Die Handlungsfelder – „Märkte“ – teilt Gabi Pils in Stadtbewohner und Vereine, Stadttouristen, Hausbesitzer/Vermieter, Gastronomie, Geschäfte und Gewerbe sowie Events. Das Ziel: Geborgenes Aufwachsen und genussvolles Leben in einer historischen Kleinstadt. Mit der Ennser Bevölkerung wurde erarbeitet, welche strategischen Schritte dazu führen – von der Ansiedelung eines Herrenmodengeschäftes im Zentrum über Gourmet-Treffs, „Kunst- und Kulturnester“ und Kinder- und Altenbetreuung bis hin zur Kommunikationsarbeit, die Positives über Presse und Image-Initiativen sichtbar macht.
„In Enns haben wir unsere gesetzten Ziele um ein Vielfaches übertroffen. Binnen 10 Jahren konnten wir 6,5 Millionen Euro Fördermittel lukrieren“, stellte Pils fest, wobei die Stadt die TSE mit einem Jahresbudget von 240.000 Euro unterstützt hat. Das „genussvoll andere Stadtleben“ und der Prozess dazu braucht aber auf jeden Fall eines: Einen „Kümmerer“ – also eine Person, die sich konsequent um die Umsetzung kümmert. „Die Lokale Agenda 21 ist eine Grundvoraussetzung und Grundlage für Cittá Slow Städte“, erklärte Gabi Pils. Während in Enns der Stadtturm zum Aushängeschild wurde, sei in Wörgl das Wörgler Freigeld als weltweit bekannte historische Wirtschaftsgeschichte dafür prädestiniert.
Würde in Wörgl die bestehende Ausrichtung als Einkaufsstadt mit einem hohen Anteil von Konzern-Ketten eine Cittá Slow-Zertifizierung überhaupt ermöglichen? „Bei der Erfüllung der Kriterien reichen 50 %“, so Pils. Durch den mit Cittá Slow in Enns bewirkten Aufwärts-Trend wollten sich auch dort Ketten wie Hartlauer und Palmers in der historischen Altstadt ansiedeln. „Dafür haben wir Kriterien erarbeitet – es geht, wenn das Geschäft in Ennser Besitz bleibt, dort Ennser MitarbeiterInnen arbeiten und ein Zusatz-Sortiment möglich ist“, erklärte Pils. Die Cittá Slow-Zertifizierung ist allerdings nicht ein Gütesiegel, das automatisch für immer gilt – bei Änderung der strategischen Ausrichtung kann die Zertifizierung auch wieder aberkannt werden.
Wie weit das Cittá Slow-Konzept nun tatsächlich ein Weg für Wörgl sein kann, ließ sich an diesem Abend nicht festmachen. Das magere Publikumsinteresse an der Veranstaltung trotz guter Ankündigung – es kamen gerade einmal 13 Interessierte ins Tagungshaus – zeigt, dass es auf jeden Fall ein weiter Weg wäre. Die Richtung würde zugunsten von mehr Lebensqualität in der Stadt aber auf jeden Fall stimmen.