Deutsch lernen erleichtern

Wie wird Spracherwerb kinderleicht? Die Stadtgemeinde Wörgl startete dazu einen Beteiligungsprozess zur Erstellung eines neuen Sprachbildungskonzeptes, dessen Auftakt am 9. Dezember 2024 im Seminarraum der Freiwilligen Feuerwehr PädagogInnen aus Kinderbetreuungseinrichtungen und Pflichtschulen mit externen ExpertInnen zusammenbrachte. „Hauptziel ist, dass die Kinder in der Schule Deutsch sprechen“, erklärt Wörgls Familien-Referent Vizebürgermeister Kayahan Kaya zur Maßnahme im Rahmen der Aktion „familien- und kinderfreundliche Gemeinde“.

„Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass trotz zusätzlicher Bemühungen beim Spracherwerb viele Kinder in den ersten Volksschulklassen nicht folgen können“, erklärt Wörgls Kinderbetreuungs-Koordinatorin Astrid Ellmerer beim anschließenden Pressegespräch den Handlungsbedarf, der nicht nur in den Einrichtungen, sondern breiter ansetzt und Eltern und Umfeld inkludiert – ganz nach der afrikanischen Weisheit „um ein Kind zu erziehen, braucht es ein Dorf“.

Vor welchen Herausforderungen die PädagogInnen stehen, zeigt ein Blick in die Statistik: In Wörgls beiden Volksschulen werden derzeit rund 550 Kinder in 26 Klassen unterrichtet, fünf davon sind Mehrstufenklassen. Aktuell werden in der Schule 24 unterschiedliche Sprachen gesprochen! „Derzeit gibt es zwei Deutschförderklassen in der Vorschulstufe für Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen. Beim Schuleintritt wird der Sprachstatus erhoben, wobei die Kinder in drei Kategorien unterteilt und dementsprechend in die Förderklassen, in Regelklassen mit zusätzlicher Deutschförderung oder in Regelklassen zugewiesen werden“, erklärt VS-Direktor Reinhard Angerer das Prozedere. Bei neuerlicher Einstufung nach einem Jahr geht´s weiter im Regelunterricht, bei weiterhin mangelhaften Sprachkenntnissen folgt ein zweites Schuljahr in der ersten Schulstufe.

Mit der Problematik des Spracherwerbes sind vermehrt auch die Kinderbetreuungseinrichtungen vor Schuleintritt konfrontiert. Derzeit besuchen rund 100 Kinder im Alter zwischen 18 Monaten und 3 Jahren die fünf städtischen und drei privaten Kinderkrippen in Wörgl, wobei hier berufstätige Eltern vorrangig Betreuungsplätze erhalten. 34 % dieser Kinder haben Deutsch als Zweitsprache, bei der Muttersprache wird hier vor allem Rumänisch, Türkisch und Ungarisch angegeben.

In Wörgls vier städtischen und zwei privaten Kindergärten sowie im Kindergarten Bruckhäusl werden 451 Wörgler Kinder betreut, wovon 61 % Deutsch als Zweitsprache angeben. Hier sind die größten Gruppen türkisch, arabisch, bosnisch-kroatisch-serbisch, rumänisch und albanisch. „In Wörgl gibt es 487 Kinder im Kindergartenalter. 92,6 % davon sind in den Kindergärten untergebracht“, weist Kayahan Kaya auf die hohe Betreuungsquote hin. Wobei in Wörgl alle Kindergarten-Kinder mindestens zwei Jahre – eines davon ist bereits gesetzlich verpflichtend – betreut werden und die Vormittags-Betreuung kostenlos ist. Um weitere Betreuungsplätze zu schaffen, kündigt Kayahan Kaya den Bau des nächsten städtischen Kindergartens an der Hagleitner Straße an: „Der Platz ist jetzt fix, der Bau in Holzbauweise soll 2025 erfolgen und der Kindergarten mit Waldkindergarten-Konzept im Herbst 2025 in Betrieb gehen.“

Um sich Hilfe bei der Erstellung des neuen Sprachbildungskonzeptes zu holen, engagierte die Stadt die Dipl. Sprach- und Heilpädagogin Ute Preiss als Entwicklungsprozessbegleiterin. Nach dem gemeinsamen Auftakt geht´s im Februar 2025 weiter mit dem Besuch der Einrichtungen, um deren Bedürfnisse zu erheben, sowie mit ersten Schulungen für PädagogInnen. Es gehe nicht darum, alle Sprachen zu sprechen, sondern um ein Miteinander und die Einbeziehung der Familien: „Jede Einrichtung hat ihren eigenen Kosmos. Was wird da gebraucht? Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse für die pädagogischen Fachkräfte in der Praxis anfassbar zu machen und Netzwerke für sprachliche Bildung, Inklusion, Vielfalt und Medienbildung zu schaffen, im Übergang von Kinderkrippe zu Kindergarten und Schule zusammen zu arbeiten.“ Im Rahmen des zweijährigen Projektzeitraumes sollen nachhaltige Strukturen geschaffen werden, um den Spracherwerb bestmöglich zu unterstützen. Dabei wird auf Methodenvielfalt für die Vermittlung in der Praxis gesetzt – das reicht von Online-Tools zum Vorlesen lassen über ein durchgehendes Bebilderungskonzept bis zum forschenden Lernen. „Es geht darum, auch zu den Eltern Beziehungen aufzubauen“, so Preiss.

„Das Thema Sprachförderung bekommt in der Elementarbildung immer mehr Bedeutung“, weiß Astrid Ellmerer, die sich wünscht, „die Eltern möglichst frühzeitig zu erreichen“. Wobei hier vermehrt Augenmerk darauf gelegt werden soll, wie die Elterninfos gestaltet sind – werden sie verstanden? Kann mit Bebilderung und einfacher Sprache mehr erreicht werden?  Mit diesem Ansatz entstand die Broschüre „Mir geht es gut“, die Eltern bei Kindergartenbeginn erhalten und die Bedürfnisse von Kindern in Bildern und einfacher Sprache auflisten – von ausreichend Schlaf über Ernährung, Spiel, Bewegung bis hin zu sozialen Kontakten (weitere Info https://kommunity.me/elternbildung/)

Laufende Schulungen und Austausch seien ebenso nötig wie ausreichend Personal. „Derzeit sind in jeder Kinderkrippen- und in jeder Kindergartengruppe drei MitarbeiterInnen beschäftigt“, berichtet Kayahan Kaya.

„Sprachbildung ist ein Ressourcen-intensives Thema. Wir reagieren damit auf die gesellschaftliche Entwicklung“, erklärt Angerer, der sich auch mit den Hintergründen beschäftigen will, warum Kinder ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen. Und festhält: „Die Muttersprache ist das wichtigste Kriterium für den Spracherwerb. Erst wer in seiner Muttersprache die Wörter kennt, kann sie in einer Zweitsprache erlernen.“ So gehe es darum, generell den Wortschatz zu erweitern und Anreize zum Vorlesen und Lesen zu schaffen. Muttersprachlicher Unterricht wird an Wörgls Schulen derzeit in türkisch, arabisch, bosnisch-kroatisch-serbisch, bulgarisch, chinesisch, Farsi und ungarisch angeboten, wobei die Angebote unterschiedlich angenommen werden. Je größer die Sprachgruppen, umso geringer die Akzeptanz.

Ins Boot geholt wird beim neuen Sprachbildungskonzept auch der Verein komm!unity, der sich laufend mit Jugendarbeit und Integration befasst. Auf die Bedeutung der Vernetzung von Systempartnern und Akteuren weist Integrationskoordinator DI Peter Warbanoff hin und schildert eine Reihe von externen Angeboten wie Frauen-Café, Elterncafé im Pfarrkindergarten, Eltern-Kind-Café und Beratungseinrichtungen. Zu weiteren Systempartnern zählt der Verein der Lesepatenschaft – in fast allen Klassen sind LesepatInnen ehrenamtlich aktiv, seit kurzem auch in Form von Mathe-Patenschaften, wobei es um das Textverständnis bei Sachaufgaben geht. Nach wie vor „super!“ läuft das Lernfreude-Projekt beim Jugendprojekt I-motion, bei dem ältere Kinder jüngere bei den Hausaufgaben und beim Deutschlernen unterstützen. „Neu ist eine Wörgler Nachhilfebörse, bei der schon über 10 Lehrpersonen mitmachen“, teilt Kayahan Kaya mit. Die Freude am Lesen vermitteln übrigens auch die Volksschulkinder selbst – sie lesen Kindergarten-Kindern vor!