Die Kunst, die Geld in Frage stellt

Unser Verständnis von Geld immer wieder neu in Frage stellen – darauf zielen drei Kunstprojekte des Berliner Künstlers Sven Kalden, die seit 2021 im öffentlichen Raum Licht ins Dunkel rund um das letzte große Tabu-Thema unserer Zeit bringen. Am 10. November 2023 stellte er seine Arbeiten und das dazu heuer erschienene Buch „LBB MAD XXL“ auf Einladung des Unterguggenberger Institutes unter dem Motto „Kunst_Geld_Versprechen“ im Kulturraum Wörgl vor, tags darauf auf Einladung des Chiemgauer Regiogeld-Vereines in Traunstein.

LBB: „Wir machen unser Geld jetzt selbst“

In Wörgl gab´s 1932/33 das Wörgler Freigeld, in Traunstein zirkuliert heute die erfolgreichste deutsche Regionalwährung, der Chiemgauer. Beim Slogan „Wir machen unser Geld jetzt selbst“ knüpft Sven Kaldens „Lina Braake Bank“ an, die er im Rahmen der Aktion „Kunst im Stadtraum“ 2021 in der Karl Marx Allee in Form eines Bank-Containers aufstellte. Seine Protagonistin Lina Braake ist dem gleichnamigen Spielfilm von Bernhard Sinkel aus dem Jahr 1975 entnommen. Eine Bank entzieht der älteren Dame ihr geerbtes Wohnrecht, als das alte Haus durch einen Neubau ersetzt werden soll. Lina Braake rächt sich an der Bank.

Zeitlich angesiedelt war Kaldens Lina Braake Bank zur Zeit des Volksentscheides über die Enteignung und Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen in Berlin aufgrund steigender Mieten und unterlassener Instandsetzungen. Was wiegt das Recht auf leistbares Wohnen gegen Rendite-Ansprüche von Geldanlegern? Was bedeutet es, wenn internationale Investmentgesellschaften wie Black Rock bei Wohnungsunternehmen wie „Deutsche Wohnen“ beteiligt sind? Die Verdrängung durch Interessen der Finanzwirtschaft und davongaloppierende Wohnkosten sind ja auch in Tirol keineswegs fremd, im Gegenteil.

Kalden nimmt die zentrale Frage ins Visier: „Wer gibt das Geld aus?“ Macht es Sinn, das gewinnorientierten Privatbanken zu überlassen? Warum nicht der Staat? Warum muss sich dieser Geld borgen? Staatsausgaben seien zu sehen wie Kinotickets – der Staat gibt das Ticket aus, durch Steuerzahlen wird es „gelöscht“. „Geld ist nicht Thema im politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Geld wird nur als Werkzeug gesehen, nicht als Beziehungsgeflecht und die Maschinerie rund herum. Die Idee des neutralen, unpolitischen Geldes ist eine politische Fiktion und gefährlich“,  lautet sein Fazit.

So adaptierte Kalden den sperrigen Spielfilmuntertitel „Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ dahingehend, das „nicht“ zu streichen.  Rund um den Bank-Container fanden Vorträge und Diskussionen über die Ökonomisierung von Wohnraum statt und an festgelegten Tagen wurden die sogenannten „Braakteaten“ gedruckt, um symbolisch Wohnraum frei zu kaufen. Kalden beruft sich auf den Anthropologen David Graeber, der den Zusammenhang von Geld und Kredit ausführlich in seinem Buch „Die ersten 5000 Jahre“ beschrieben hat. Eine seiner Thesen lautet, Geld bestehe aus gesellschaftlich zirkulierenden Versprechen, die man auch ganz anders organisieren könnte.

MAD as hell Bank

Ebenfalls auf einen Spielfilm aus Mitte der 1970er Jahre bezieht sich Sven Kaldens „Mad as hell Bank“. Ein entlassener TV-Moderator wird in „Network“ von Sidney Lumet vor laufender Kamera zum Wutbürger und ruft zum Aufstand, prangert den Krieg, die Russen, die Inflation, fehlende Luft zum Atmen und vergiftetes Essen an. Themen, die heute noch aktuell sind. Die Wutrede mit der Aufforderung „You´ve got to get mad“ (werdet verrückt, wütend, wahnsinnig) wird zum Quotenhit – doch als der entfesselte TV-Star aufruft, Konzerne zu sabotieren, wird er abgesetzt. Kapital-Interessen wiegen schwerer – der Kapitalismus sei „die natürliche Ordnung auf dem Planeten.“ Was bedeutet es, wenn heute Konzerne über mehr Macht verfügen als Nationen? Ist Wut ein Wert? Und wie äußert sie sich? Die wachsende Unzufriedenheit aufgrund gesellschaftlicher Polarisierung thematisierte Kalden bei einer Ausstellung zur Frage der Werte, verwendete dazu das Logo der TV-Sendung. Kaldens Schlussfolgerung: „Der Staat hat sich zwei Monopole vorbehalten – Geld und Gewalt. Menschen haben den Preis des Geldes zu zahlen – als Arbeits- und Wohnungslose, mit Rüstung und Krieg.“

Kerbhölzer im XXL-Format

„Geld und Schulden gehören zusammen – mit den Kerbhölzern kann man Geld aus einem neuem Blickwinkel zeigen“, erklärte Kalden zu seiner Installation am Rolandufer vor der Berliner Senatsverwaltung im Jahr 2022, bei der er 14 baumstammgroße Kerbhölzer, den Schuldenstand der Stadt Berlin darstellend, und die „Gini-Bank“ aufstellte. „Die 14 XXL-Hölzer stehen für Gläubiger-Kategorien. Wem schuldet die Stadt Berlin über 60 Milliarden Euro?“ so Kalden. Der Versuch, den zweiten Teil der Spalthölzer bei den Gläubigern aufzustellen, scheiterte – keine einzige Einrichtung erklärte sich bereit, beim Kunstprojekt mit zu machen.

Zur Kunstaktion gehörten auch Diskussionsrunden. Kalden lud Vertreter der von ver.di in Berlin aufgestellten Reichtumsuhr und der ebenfalls in Berlin öffentlich tickenden Schuldenuhr vom Bund der Steuerzahler. Während einerseits eine Reichen- und Vermögensbesteuerung gefordert wird, vertreten die anderen neoliberale Ansätze. Wie groß die Schieflage der Vermögensverteilung in Deutschland mittlerweile ist, zeigt die „Gini-Bank“ – eine Holzbank, die mit dem Gini-Vermögenskoeffizient die Ungleichheit thematisiert: Bei 0 ist das Vermögen an alle gleichmäßig verteilt, bei 1 gehört einem alles. Der Index lag 2020 in Deutschland bei 0,81, in den USA bei 0,86.

Kaldens XXL-Installation wirft die Frage „nach dem Verhältnis von steigender gesellschaftlicher Verschuldung und hohen privaten Vermögen bei einigen wenigen“ und unseren Umgang damit auf.

Das Geldsystem als Frage der Demokratie begreifen

„Schuldenschnitt jetzt!“ lautet deshalb auch eine seiner Forderungen. Kalden erinnerte  an die Schuldenerlass-Praxis im Judentum, wo mit dem „Jubeljahr“ alle 50 Jahre  ein Schuldenerlass und Landbesitzausgleich für alle Israeliten geboten ist.

Dass die beiden Vortragstermine in Wörgl und Traunstein vor und mit dem Fest des Heiligen Martin zusammentrafen, war bei der Veranstaltungsplanung nicht beabsichtigt – passte aber thematisch ins Konzept. Martini unterscheide sich von anderen  Volksbräuchen dadurch, dass es nicht nur einen bäuerlichen und kirchlichen, sondern auch einen politischen Hintergrund habe. „Martini war Zinstag, für private Darlehen ebenso wie für die Abgabe des Zehent an den Grundherrn“, so Kalden. Martini war in vielen Gebieten Westeuropas der Steuerzahltag, traditionell wurden auch viele Verträge mit diesem Datum geschlossen.  „Der 11. November ist der Tag des heiligen Martin und des unheiligen Zinses. Frieden braucht Entschuldung und die Aufhebung des Zinses“, lud Kalden abschließend ein, über den ungerechten Zins nachzudenken.

Buchtipp

Im 108 Seiten umfassenden Katalog „LBB MAD XXL“, gestaltet von Michael Rudolf, sind weiters Texte zu den Themen Mythos Geldknappheit, Erinnerung an David Graeber, über die politische Fiktion monetärer Neutralität, die moderne Beglaubigung des Geldes durch das Opfer und die Versprechen von Geld und Kunst  enthalten. TextautorInnen sind Christina von Braun, Stefan Fuchs, Samirah Kenawi, Aaron Sahr, weiters zwei Transkriptionen von Karin Baumert und Maurice Höfgen, Bankanfragen von Christina Kolbe und ein Interview von Stefan Ripplinger. Der Katalog, ISBN: 978-3-86485-293-09, gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa der Stadt Berlin, erschienen im Textem Verlag Hamburg 2023, ist um 30,- Euro erhältlich. Sprache: Deutsch/ Englisch
Weiter Info zum Künstler: https://www.sven-kalden.de

Der Abend mit Sven Kalden war eine Veranstaltung des Unterguggenberger Institutes im Rahmen des 20-Jahr-Jubiläums In Kooperation mit dem Chiemgauer Regiogeld Verein und die erste öffentliche Veranstaltung im neuen Wörgler Kulturraum. Arbeiten von Sven Kalden sind dauerhaft im Museum Wörgl im „Zahlenraum“ zu sehen.