Die Tage der Dallnkapelle, die direkt an die Wildschönauer Straße angrenzent, sind gezählt – die Heiligenfiguren der Muttergottes und der Hl. Bernadette sind bereits ausgezogen. Die Kapelle steht einem Wohnbau im Weg, und durch die krasse Gehsteig-Verengung wohl auch der Verkehrsplanung entlang der Landesstraßen-Hauptzufahrt ins Hochtal Wildschönau. Jetzt soll sie übersiedelt werden. Der Wörgler Gemeinderat gab am 28. Oktober 2021 einstimmig grünes Licht für das Bauvorhaben und damit die Zustimmung, die Kapelle auf stadteigenen Grund zu übersiedeln. Damit soll sie aus bisherigem Privatbesitz auch in den Besitz der Stadt übergehen, die damit für die weitere Erhaltung und Pflege aufzukommen hat. Wer die Kosten der Übersiedelung zu tragen hat und wie diese erfolgen soll, das wurde im Gemeinderat nicht thematisiert.
Wie´s in der Kapelle einmal ausgesehen hat, kann man online beim EU-geförderten Projekt der Erfassung der Flur- und Kleindenkmäler Österreichs unter dem Link https://www.marterl.at/index.php?id=99&no_cache=1&oid=17534#.YiXrrNIxnIU ansehen. Die Historie stammt aus dem Wörgler Heimatbuch, verfasst von Dr. Günther Moschig: „Die Dallnkapelle an der Wildschönauer Straße wurde nach der Baubewilligung des Salzburger Konsistoriums 1889/90 erbaut. Angeregt und geplant wurde der Bau dieser Lourdeskapelle vom Wörgler Krippenbauer Johann Seisl (1861-1933), neben dessen Haus sie auch errichtet wurde. Die einschiffige Kapelle mit dreiseitigem, leicht eingezogenem Chorschluß wird von einem Satteldach gedeckt. Der Türsturz an der Straßenseite ist in Rustica-quadermauerung mit hochgezogenem Schlußstein ausgeführt. Die Lourdesgrotte im Inneren mit den gefassten Holzstatuen der Madonna und der heiligen Bernadette stammt aus der Zeit der Kapellenerrichtung und wurde von Johann Seisl selbst gestaltet.“
„Urbanes Wohnen am Wörgler Bach“
Um die Wohnbebauung zu ermöglichen, fasste der Gemeinderat am 28.10.2021die nötigen Beschlüsse, um zwei Grundstücke mit 14 Wohneinheiten und einer Tiefgarage zu bebauen. Dazu ist der Abriss des bestehende Wohnhauses nötig. Im Zuge „dieser Entwicklung“ solle die Dallnkapelle nach Richtung Süden versetzt werden. Vermarktet wird das Wohnbauprojekt nun mit 13 Eigentumswohnungen in Form von 4- und 2-Zimmerwohnungen und einem „Luxus-Penthouse“ im Dachgeschoss von der Raiffeisen Bezirksbank Kufstein.
Wie soll nun die Kapellenübersiedlung von statten gehen und wohin sind die Heiligenfiguren übersiedelt? Der Wörgler Krippenverein, der sich um die Traditionspflege des Krippenbaues und das Andenken an den Krippenvater Seisl kümmert, ist jedenfalls nicht involviert, wie Obmann Ernst Graus auf Anfrage mitteilt: „Von der Übersiedelung höre ich heute zum ersten Mal. Wir wurden darüber nicht informiert und haben damit auch nichts zu tun.“ Vor zwei Jahren habe man sich Gedanken über eine Renovierung oder eine Neugestaltung der Kapelle gemacht und dahingehend angefragt, aber danach herrschte Funkstille.
Eine Nachfrage im Stadtamt erbrachte weitere Details zur Übersiedelung. „Zum beschlossenen Bebauungsplan sind noch zwei, drei Adaptierungen notwendig. Der Grundeigentümer hat sich verpflichtet, die Übersiedelung der Kapelle vorzunehmen“, informiert Stadtamtsleiter Mag. Philipp Ostermann-Binder über den Verfahrensstand. Grundsätzlich sei eine Übersiedelung in einem Stück angedacht – wenn das aufgrund der angegriffenen Bausubstanz so möglich ist. Die bereits entfernten Figuren wurden vom Eigentümer in Gewahrsam genommen, sie sollen nach dem Wiederaufbau wieder in die Kapelle einziehen. Die Kosten für die Übersiedelung liegen, so Ostermann-Binder, beim jetzigen Eigentümer. Die Stadt habe zudem eine Spende erhalten, um den Fortbestand des Kleinodes zu sichern.
Die bevorstehende Kapellen-Übersiedlung weckt Erinnerungen an das Verschwinden einer anderen Wörgler Kapelle, der Gratl-Kapelle an der Bundesstraße am Gelände des heutigen M4 Einkaufszentrums.
Die Geschichte der Gratlkapelle – Kapelle zum Heiligen Kreuz
Die im Volksmund als Gratlkapelle bekannte Wegkapelle zählte zu den ältesten Kapellen im Raum Wörgl. Sie wurde 1777 erbaut, 1977 restauriert und im Juni 2000 abgerissen. Laut Eintrag im Wörgler Heimatbuch dürfte hier schon vorher eine Kapelle existiert haben. Die Innenausstattung der Gratlkapelle zum Heiligen Kreuz bestand aus volkstümlicher Dekorationsmalerei mit Blumen, Kartuschen, Putti und gemalter Architektur im Deckenfresko, datiert in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ihre Bedeutung im Bewusstsein der Wörgler Bevölkerung verdeutlichte nach dem Ersten Weltkrieg der Umstand, dass die Ansicht der Kapelle als Motiv den 30-Heller-Notgeldschein der Marktgemeinde Wörgl zierte.
Beim Bau des Einkaufszentrums M4 wurde vom Bauherren versprochen, die Kapelle abzutragen und dann wieder neu aufzubauen. Als es dann soweit war, fuhr ein Bagger auf. In Erinnerung an die Kapelle wurde dann im ersten Stock des Einkaufszentrums ein Andachtsraum eingerichtet. Dieser musste kurze Zeit später der „Bridge“ zum neuen „mplus“ auf der anderen Straßenseite weichen. Heute steht unter dem Fußgängerübergang über der Bundesstraße ein Bronzekreuz des aus Wörgl stammenden, in der Wildschönau lebenden Künstlers Hubert Flörl. Wörgl dürfte damit wohl europaweit einzigartig ein Einkaufszentrum mit christlichem Kreuz als Fassadenschmuck aufweisen.
Und um noch kurz beim Thema Religion zu bleiben: Die Gratlkapelle spielt eine wichtige Rolle in der Sage vom „Buchmandl im Wörglerboden“, die vom Wörgler Heimatforscher Georg Opperer aufgezeichnet und in den Wörgler Heimatschriftchen veröffentlicht wurde. Der überlieferten Erzählung haftet durch die Beschreibung des Buchmandls als „Kreuzwegjuden“ die über Jahrhunderte bestehende judenfeindliche Haltung und damit verbundene Vorurteile an. Von den Sagen um Wörgl habe sich jene vom Buchmandl am längsten erhalten, schrieb Opperer. Dem Geist wurden Krankheiten des Menschen und des Viehs zugeschrieben, auch Feindschaften zwischen Nachbarn und Familien. Als besonderes Vergehen wertete man, dass das Buchmandl zu nächtlicher Stunde erschien und verhinderte, dass Schwerkranke die Tröstungen der Religion – also die Krankensalbung durch den Pfarrer erhielten. Ein Ende wurde dem Spuk schließlich von einem furchtlosen Zillertaler Auswanderer und Wilderer gesetzt. Dessen Vater wollte lieber wieder katholisch werden und nicht wie die anderen „Lutherischen“ auswandern – so fanden Vater und Sohn beim „Trauböck-Bauern“ Zuflucht.
Als ein Holzknecht beim Boar im Winkl eines Tages bei der Holzarbeit verunglückte und „todwund“ vom Berg nach Hause gebracht wurde, schickte man nach dem Geistlichen. Der entsandte Knecht sah am freien Feld von weitem ein Licht, das näherkam und sich als mannshoher glühender Baumstumpf entpuppte. Er erinnerte sich ans Buchmandl und rannte verstört zurück zum Bauern, der daraufhin selbst losging. Und ebenfalls unverrichteter Dinge umkehrte – er sah am Dallnfeld einen Mensch ohne Kopf stehen, der leuchtete, als sei er glühend. Schließlich wandte man sich an den Wildschütz. Der gab der Bäuerin noch Tipps zur Krankenpflege und ging unerschrocken los. Ihm raubte ein anhaltend starker Wind den Atem, beim Trauböckbauern krachte vor ihm ein abgebrochener Ast zu Boden. Doch der Höllriegl ließ sich nicht aufhalten. Auch er sah das Lichtlein, ließ sich von ihm zunächst in die Irre – und damit wieder zurück zu den Häusern im Winkl leiten. Ganz geheuer war ihm nicht mehr – aber er trat den Weg zum Vikari erneut an.
Diesmal lenkte ihn kein Lichtlein mehr ab. Aber als er in die Nähe des Postkreuzes am Eingang des Dorfes kam, lag quer über dem Weg ein schwarzer Sarg. Höllriegl wollte vorbei, aber der Sarg bewegte sich. Ein paarmal versuchte er, vorbeizukommen. Als Ausweichen nicht half, sprang er mit einem Juchizer über den Sarg. Der sich daraufhin in Rauch auflöste, aus dem sich eine menschliche Gestalt formte – Höllriegl glaubte, einen „Kreuzwegjuden“ vor sich zu haben. Die Gestalt versperrte ihm den Weg und gab sich als Buchmandl zu erkennen. Und gab gleich eine Anleitung dazu, wie es zu erlösen sei. Der Höllriegl müsse ihm helfen, ebenso viele Seelen dem Teufel zu rauben, wie es ihm bisher zugeführt habe. Der Höllriegl ließ sich nicht einschüchtern, fuhr ihn an, er müsse zum Vikari, diesen für einen „Versehgang“ holen. Als der Geist nicht wich, schickte ihn der Höllriegl „gen Westendorf eini“, wo es vielleicht noch ein paar Manharter zu bekehren gäbe – oder ins Zillertal zu die „Lutherischen“ – ihn gehe das jedenfalls nichts an. Der Geist flehte, ihn nicht auf halbem Weg zur Seligkeit stehen zu lassen. Der Höllriegl solle ihn anhören, warum er büße und das unter die Leut´ bringen. Er solle dem Buchmandl Zeit und Ort angeben, es werde ihm überall hin folgen. Der Höllriegl gab, um seine Ruhe zu haben, dem Buchmandl die Weisung, ihn in der Gratl-Kapelle zu erwarten. Daraufhin verschwand der Geist, und Höllriegl holte den Vikari. „Vom Buchmandl sah man von da ab nichts mehr. Wohl aber geisterte es lange Zeit noch in der Gratl-Kapelle“, mit diesen Worten beendete Georg Opperer die Sage in dem zu Ostern 1957 veröffentlichten Büchlein.