Deutschlands erfolgreichste Regionalwährung, der Chiemgauer, feiert heuer das 20jährige Bestehen des Gründungsvereines und lud am 5. Mai 2023 zum Jubiläumsfest im Saal Campus Chiemgau in Traunstein und tags darauf zu einem partizipativen Geldworkshop mit Oliver Sachs unter dem Motto „Beziehung neu gestalten – Geld neu denken“. Am Dienstag, 16. Mai 2023 kommt Chiemgauer-Vorstand Stefan Schütz auf Einladung des Unterguggenberger Institutes nach Wörgl und referiert ab 19:30 Uhr über internationale Regionalwährungen.
Mit dem Vergleich mit dem berühmten „gallischen Dorf“ eröffnete Stefan Schütz, erster Vorsitzender des Chiemgauer Vereines, die 20-Jahr-Feier am Freitag und wies auf die weltweite Ausstrahlung der Währungsinitiative und ihre Vorbildwirkung hin. Schütz betonte das enorme ehrenamtliche Engagement, das diesen Erfolg erst möglich macht.
Derzeit werden über eine Million Chiemgauer von 3.914 Verbrauchern als Zahlungsmittel genützt, knapp 400 Unternehmen machen mit. Der Chiemgauer kann an 20 Ausgabestellen in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein gegen Euro erworben werden und unterstützt durch sein integriertes „Chiemgauer“-Förderprogramm 289 gemeinnützige Vereine, die 3 % der 5%igen Rücktauschgebühr erhalten. Rund 825.000 Chiemgauer wurden bereits ausbezahlt. Dabei kann der Chiemgauer-Nutzer festlegen, welcher Verein die Unterstützung erhalten soll.
„Der Chiemgauer ist die umsatzstärkste Regionalwährung in Deutschland und ein Erfolgsmodell – die Idee ist simpel und genial“, erklärte Traunsteins Bürgermeisterin Walburga Mörtl-Körner, selbst begeisterte Chiemgauer-Nutzerin. Die Regionalwährung stärke nachhaltig die regionale Wertschöpfung und sei gemeinschaftsfördernd. „2022 wurde ein Umsatz von 6 Millionen Chiemgauern erzielt“, hob Mörtl-Körner hervor und dankte den Initiatoren, vor allem Christian Gelleri „für seinen Mut und sein außerordentliches Engagement – Christian ist der Kopf und das Herz des Chiemgauers“. Trotz des Erfolges sei der Chiemgauer kein Selbstläufer: „Da stecken viel Arbeit, Leidenschaft und Idealismus dahinter.“ Mörtl-Körner dankte weiters namentlich Stefan Schütz und Christophe Levannier vom Vereinsvorstand, Chiemgauer Geschäftsführerin Elke Mathe und Annelies Kiermaier, Klimabonus-Projektleiterin. „Der Klimabonus bringt Ökologie und Ökonomie zusammen. Die Stadt Traunstein belohnt für Energie-effizientes Bauen, die Errichtung von PV-Anlagen und Stromspeichern mit Förderungen, die in Chiemgauern ausbezahlt werden“, erklärt Mörtl-Körner.
In der Stadt Traunstein wurden im Vorjahr 417.328 Chiemgauer eingewechselt, 100.000 davon durch die Stadt. Wie die Chiemgauer-Zirkulation in der Praxis funktioniert, erläuterte Christian Gelleri, Geschäftsführer der Sozialgenossenschaft Regios eG, die als Träger der Regionalwährung fungiert: „Das Kernelement der Regionalwährung ist der Multiplikationseffekt durch die Zirkulation.“ Ganz praktisch gezeigt am Beispiel der Stadt Rosenheim – dort wurden 2022 nicht zirkulierende City-Gutscheine im Wert von 400.000 Euro ausgegeben, damit also ein Umsatz von 400.000 Euro regional erzielt. Die Chiemgauer, die sowohl digital als auch als Gutscheine umlaufen, werden 3,3 Mal in der Region weitergegeben, bevor sie gegen die Gebühr von 5 % in Euro zurückgewechselt werden. So lukrierten die Chiemgauer in Traunstein 2022 einen Umsatz von rund 1,4 Millionen Euro und eine Gemeinwohlförderung für Vereine im Wert von 12.520 Chiemgauern.
Christian Gelleri ging in seinem Festreferat „Von den Anfängen bis heute“ auf die historischen Wurzeln des Chiemgauers im Wörgler Freigeld, der 1908 erstmals ausgegebenen Bethel-Mark und der WIR-Bank in der Schweiz ein und erinnerte an den Start als Schülerunternehmen an der Waldorfschule Prien 2002 sowie die Inspiration durch Michael Ende´s „Momo“ und Joseph Beuys. „Das Geldsystem ist von Menschen gemacht. Es liegt an uns, es so zu verändern, dass es allen Menschen dient“ – dieses Zitat von Michael Ende ziert die Chiemgauer-Sonderedition 2014/15, die sich auf den Literaturklassiker bezieht und zum Ausdruck bringt, dass Geld aktiv gestaltet werden kann.
Dass Regionalwährungen effiziente Zahlungsmittel sind, die das Gemeinwohl, die Wertschöpfung und die Solidarität in der Region fördern , dem komme künftig noch mehr Bedeutung zu. Das zeige sich nicht nur beim Chiemgauer. Beim Eusko, einer von 10 Jahren gegründeten Regionalwährung im Baskenland in Nordspanien (weitere Infos zum Eusko, der sich auch auf Vorbilder wie Chiemgauer und Wörgler Freigeld bezieht, auf deutsch: https://www.baskultur.info/kultur/wirtschaftspolitik/444-eusko-regionalgeld), seien mittlerweile drei Millionen in Umlauf. „In den vergangenen 15 Jahren hat sich der Umsatz lokaler Einzelhändler halbiert. Es braucht ein gemeinsames Bewusstsein, um diesen Trend zu stoppen“, so Gelleri.
Geld und Demokratie
In seinem Impulsreferat „Partizipation in demokratischen Systemen“ ging Prof. Dr. Roland Roth aus Berlin auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen seit den 1970er Jahren ein. Das Entstehen von Alternativbewegungen, Dualökonomie, die Eurokrise, über Bürgerbeteiligung und Postwachstumsgesellschaft bis hin zum aktuellen Trend zur Deglobalisierung, nachdem durch die Pandemie Schwachstellen ausgelagerter Wirtschaftsbereiche und langer Lieferketten zum Vorschein kamen.
Die Pandemie habe weltweit große Schwierigkeiten verursacht. So wurden autoritäre Regime ausgebaut, antidemokratische Rechtspopulisten sind am Vormarsch und die repräsentative Politik schwächelt. Roth verwies aber auch auf gegenläufige, positive Entwicklungen wie den Ausbau Direkter Demokratie mit Bürgerentscheiden, Bürgerbeteiligung und Bürgerfonds. So sei Geld, das Kommunen für Bürgerprojekte zur Verfügung stellen, „vor allem bei der Jugend ein Renner!“ Schülerhaushalte seien eine „Selbstwirksamkeits-Erfahrung“, die zur Beteiligung animiere.
Die „Selbstwirksamkeits-Erfahrung“ machen übrigens auch alle, die Regiogeld verwenden und damit ihr Umfeld mitgestalten. Und so bezeichnet Roth die Währungsinitiativen als „Alltagsdemokratie“. Die Zukunft sieht er positiv: „In der BRD sind 30 Millionen Leute bürgerschaftlich engagiert und erleben, dass sie im Kleinen etwas gestalten können.“
Gäste aus Nah und Fern
Zur Chiemgauer-Feier kamen zahlreiche UnternehmerInnen und Chiemgauer-Mitglieder, aber auch Gäste aus der Ferne. Darunter die beiden Komplementärwährungsexperten Jens Martignoni und Leander Bindewald. Glückwünsche der Wörgler Stadtführung zum 20-Jahr-Jubiläum überbrachte Unterguggenberger Instituts-Obfrau Veronika Spielbichler, die sich nach bereits gemeinsam durchgeführtem Interreg-Projekt auf weitere gute Zusammenarbeit bei der Vermittlung von Währungsdesign-Know-How freut.