Harsche Kritik an Tiroler Hochwasserschutz-Politik

Eine breite Front von Gegnern des vom Land Tirol favorisierten Hochwasserschutzes fürs Unterinntal formierte sich am 30. Juli 2020 in Wörgl und trat gemeinsam mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Harsche Kritik wurde dabei an den vorgelegten Plänen des Landes laut, denenzufolge große Flächen im Inntal als Wasserrückhaltezonen geflutet werden sollen. Das Land verweigere sich der Diskussion, Wasserrückhalt im Oberlauf und in den Seitentälern bereits zu bewerkstelligen und damit wertvolles Ackerland im Inntal zu schonen. Verraten und verkauft fühlen sich Betroffene von der Landespolitik und aus Wörgl wird neuerlich die Forderung laut, endlich den 1,2 km langen Schutzdamm in Wörgl-West zu errichten und die Rote Zone schon jetzt aufzuheben, da durch mobilen Hochwasserschutz Wörgl vor einem Hochwasserereignis wie 2005 sicher sei.

„Seit 2005 kämpfen wir für den Hochwasserschutz“, eröffnete Gerhard Unterberger von der Wörgler Hochwasserschutz-Bürgerinitiative die gemeinsame Protest-Versammlung und stellte gemeinsam mit Willi Aufschnaiter fest, dass Wörgl seine Hausaufgaben längst erfüllt habe: „Ein Hochwasser wie 2005 gibt es in Wörgl nicht mehr, die erforderlichen Schutzbauten wurden gemacht und mobiler Hochwasserschutz angeschafft. Deshalb gibt es auch keine Rechtfertigung für die Rote Zone mehr“, argumentieren die Wörgler Hochwasseropfer, die mit dem Schritt in die Öffentlichkeit ihrer Enttäuschung über die Landespolitik Luft machen und ihre „Ängste, Zorn und Sorgen vermitteln“ wollen, so Aufschnaiter.

„Die Tiroler Politik bestiehlt uns“,  bringt es Aufschnaiter auf den Punkt und weist auf die sehr negativen Auswirkungen der Roten Zone-Verordnung hin: „Das heißt für uns absolutes Bauverbot, keine Neuansiedelung von Unternehmen und für Private eine Halbierung ihrer Grund- und Immobilienwerte.“ Wobei den Geschädigten das Verständnis dafür fehlt, dass Wirtschaftsbetrieben Bautätigkeiten erlaubt, Privaten aber nach wie vor strikt untersagt werden: „Das wurde die größte Dieseltankstelle Westösterreichs erweitert und ausgebaut, eine Fleischfabrik gebaut und Private dürfen nicht einmal eine Garage errichten oder ein Haus umbauen.“ Dabei gehe es nicht darum, „Firmen ins schlechte Licht zu stellen. Es geht um die Anerkennung, dass Wörgl bereits hochwassersicher ist und deshalb die Rote Zone aufzuheben ist“, so Unterberger.

Hochwasserschutz-Intiative Wörgl will Damm vor gesamt Tiroler Lösung

Besonders enttäuscht sei man vom Land: „Die Regensburger Verträge wurden immer als Grund genannt, warum bei uns der Damm nicht gebaut wird. Dabei sind das nur Absichtserklärungen, bei denen es darum geht, Unterlieger bei Hochwassergefahr frühzeitig zu informieren“, so Aufschnaiter. Statt des versprochenen „raschen und unbürokratischen Handelns“  – der fehlende Damm in Wörgl wurde vom Landeshauptmann bis 2018 versprochen – habe es nur leere Versprechen gegeben und die Verantwortlichen seien nicht einmal mehr für die Hochwasseropfer erreichbar – man erhalte keine Antwort auf Briefe, komme telefonisch nicht durch: „Wir haben den Glauben an die Politik verloren“, so Aufschnaiter.

Ärger über die „Zwangsverpflichtung“ Radfelds zum Wasserverband herrscht nicht nur dort – die Argumente der Radfelder werden zwar nicht vom Land, wohl aber in anderen Gemeinden und bei Betroffenen gehört und mitgetragen. „Wir haben mit den Radfeldern geredet, uns dort selbst ein Bild von der Lage gemacht und für ihre Haltung Verständnis“, so Aufschnaiter. Die geforderten Flächenabtretungen für Retentionsbecken seien zu groß: „Da soll eine Fläche fünf Mal so groß wie der Hechtsee geflutet werden. Anstatt sich die Argumente der Gemeinde anzuhören, wurde Radfeld zwangsverpflichtet  – das ist nicht Demokratie, sondern Diktatur.“

„Dass wir heute hier gemeinsam auftreten hat einen Grund – wir haben alle die gleiche Leidensgeschichte“, erklärte Gerhard Unterberger, der den Grund fürs Beharren des Landes am vorgelegten Hochwasserschutzprojekt in Tirols Verkehrspolitik sieht: „Es geht um die ÖBB. Beim Bau des Brenner Basistunnels und der Unterinntaltrasse fallen enorme Mengen an Grabungsmaterial an. Aus Medien war zu erfahren, dass mit einem Teil davon die Angerberger beglückt werden – mittels eigener Autobahnabfahrt soll dort Material zur Verfüllung von Gräben hintransportiert werden. Aber das reicht nicht. In einer Animation der ÖBB betreffend die Unterinntaltrasse ist der Damm Radfeld schon enthalten – errichtet mit Aushubmaterial!“

„Heute geht es nicht mehr um einzelne Gemeinden, es geht um ganz Tirol“, erklärte Helmut Drack von der Hochwasserinitiative Wörgl. 2005 stand das Wasser in seiner Wohnung 1,6 Meter hoch. Er engagiert sich seit Jahren, war bei Landtagssitzungen und Landespolitikern: „Unterschriften zählen nichts. Wir werden nicht ernst genommen, erhalten keine Antworten. So geht man mit Leuten in einem demokratischen Land nicht um“, lautet sein Fazit.

Wasserrückhalt in Seitentälern

Zu den Hauptargumenten Radfelds zählt, Wasserrückhalt im Oberlauf des Inns und in Seitentälern bereits zu bewerkstelligen. Die Gemeinde stelle Retentionsflächen zur Verfügung – aber nicht im geforderten Ausmaß. Eine Argumentationslinie, auf der auch Alfred Enthofer aus Strass im Zillertal, Obmann des Tiroler Hochwasserschutzvereins folgt: „Dass der Wasserrückhalt in Seitentälern funktioniert, zeigt das Beispiel des Zillertales. Seitdem die Speicherseen bestehen, ist der Ziller unter Kontrolle.“ Er wirft dem Land vor, diese Möglichkeiten außer Acht zu lassen: „Das Land lässt nur das eigene Projekt gelten“, so Enthofer und er kritisiert, dass das Land die Gemeinden gegeneinander ausspiele. Als „charakterlos“ wertet er die Stellungnahme des Landes zum Ergebnis einer Studie der Energie West, bei der 50 Standorte für weitere Speicherkraftwerke untersucht wurden: „Klar, dass man nicht weitere 50 Kraftwerke umsetzen kann, das ist illusorisch – wir brauchen nur wenige.“ Um die Retentionsflächen im Inntal zu verkleinern: „Unsere Vorfahren haben sich bemüht, das Inntal für Lebensmittelproduktion fruchtbar zu machen. Und jetzt soll das Gegenteil passieren, indem riesige Flächen bis in Dörfer hinein geflutet werden sollen. Geflutete Flächen können nicht mehr bewirtschaftet werden“, hält Enthofer fest, denn da komme nicht sauberes, sondern kontaminiertes Wasser, das eingestaut wird.

Alle betroffenen Gemeinden seien bereit, Retentionsflächen zu stellen – aber eben nicht im vom Land geforderten Ausmaß, sieht Enthofer einen Schulterschluss im Inntal und verweist auf Vorteile des Wasserrückhaltes im Oberlauf und in Seitentälern, zitiert dazu dem emeritierten Professor Bernhard Pelikan der Universität für Bodenkultur in Wien: „Bei diesen Speichern können Biotope, wertvolle Lebens- und Erholungsräume geschaffen werden. Speicher sind Sparbücher für Wasser!“

Wasserspeicher im Klimawandel

Wasserrückhalt im Oberlauf diene nicht nur der Energiegewinnung – er habe aufgrund des Klimawandels auch für kommende Trockenperioden und schon jetzt trockene Zonen im Oberinntal in der Zukunft große Bedeutung: „Wir brauchen ein langfristiges Projekt für unser Land, nicht dieses unsinnige vorliegende Projekt. Der Widerstand dagegen wächst, auch im Oberland“, so Enthofer.

„Thaur ist der Gemüsegarten Tirols, von hier wird auch München und Vorarlberg beliefert. Auf dieser Fläche würde dann das Wasser geparkt!“, ärgert sich Martin Appler aus Thaur. Ein Bodenaustausch nach einem Hochwasserereignis sei unmöglich aufgrund der anfallenden Menge: „Die alpine Retention ist die einzige Möglichkeit“, ist er überzeugt und verweist auf den Wasserbedarf im Oberland: „Dort ist es jetzt schon sehr trocken, man lechzt nach Wasser. Wasserspeicher können dort auch für die Bewässerung verwendet werden.“

Josef Kröll aus Schlitters spricht sich ebenso für Wasserspeicher am Berg aus wie Andreas Egger aus Schwaz, der dafür plädiert, beim Hochwasserschutz von der Natur zu lernen: „Auch Schnee hält Wasser oben zurück. Wir können nicht das ganze Land zusammenleiten.“ Und er weist auf noch einen Aspekt hin, der für viele dezentrale Wasserspeicher zur Verringern von Hochwasserereignissen spricht: „Der Inn liefert an zwei Tagen Hochwasser gleich viel Geschiebe wie sonst das ganze Jahr über.“

Radfelder fürchten Grundwasseranstieg

„Wir haben 1.200 Unterschriften gesammelt, zwei Drittel der Wahlberechtigten haben unterschrieben“, erklärt Peter Margreiter von der Radfelder Bürgerinitiative. Was offenbar nichts nütze: „Unsere Argumente werden nicht gehört, das Land will sie nicht hören und verweigert.“  In Radfeld sind nicht nur Bauern betroffen, sondern vom ansteigenden Grundwasser des Inns große Bereiche – das habe der Hochwasser führende Fluss 2019 gezeigt. Durch das Hochwasserschutzprojekt des Landes würde der Inn noch höher gestaut, die Grundwasserproblematik sich enorm verschärfen.

Wörgler und Radfelder Betroffene bringen nach gegenseitigen Besuchen und Lokalaugenschein großes Verständnis füreinander auf. „Wir verstehen die Wörgler jetzt. Wir wollen auch Flächen hergeben, diese aber reduzieren und Wasser im Oberlauf zurückhalten“, so Margreiter. Beeindruckt vom Lokalaugenschein in Radfeld ist auch Gerhard Unterberger: „Allein der Einflutungskanal umfasst eine Fläche von einem Hektar, der mit Steinen ausgelegt werden soll. Das Wasser würde dann auf 146 Hektar verteilt!“  Unklar sei, wie die massiven Bauten, die bis 10 Meter unter die Erde reichen sollen, den Wasserhaushalt im Tal beeinflussen. Zweifel herrschen am Gutachten des Landes, da kommen auch durch das Energie West-Gutachten auf, so Unterberger.

Kritik am Wasserverband

Kritisch wird der gegründete Wasserverband Unteres Unterinntal gesehen. Warum nur  7 Gemeinden und nicht alle? Wieso konnten von Angath Inn-abwärts alle Gemeinden ihren Hochwasserschutz gleich umsetzen und Wörgl nicht? Kein Verständnis herrscht hinsichtlich der Vorgangsweise: „Wir verlangen den 1,2 km langen, fixen Damm in Wörgl-West jetzt, vor einer gesamt Tiroler Lösung. Wenn man vernünftig denkt, gehören doch  zuerst die gefährdeten Gebiete geschützt“, so Unterberger, der sich gegen die vermutete Haltung verwehrt, „Wörgl lieber nochmals absaufen zu lassen, weil das billiger als die erforderlichen Schutzbauten ist.“ Er rät Wörgl, vom Wasserverband auszusteigen: „Warum soll Wörgl 50 % der Kosten der Schutzbauten des Wasserverbandes tragen? Der Inn ist ein Tiroler Problem. Dann soll auch das Land für die Kosten geradestehen und sie nicht den Gemeinden aufbürden!“

„Wir verlangen einen Dialog mit der Bevölkerung zu starten. Transparent. Und dann einen Konsens finden, der von allen getragen werden kann“, formuliert Helmut Drack den Wunsch aller Betroffenen. Man wolle von der Politik eingebunden werden und Antworten auf offene Fragen erhalten.

Inn-Hochwasser 2005- ein Rückblick